Wenn nichts mehr geht

Wenn das eigene IT-Projekt zum Rechtsfall wird

Uhr | Aktualisiert

IT-Projekte verlaufen selten wie geplant. Das muss nicht unbedingt schlecht sein, kann aber bös enden. Was kann ein Anwalt tun, wenn sein Klient in Schwierigkeiten steckt? Und wie lassen sich Probleme im Projektmanagement grundsätzlich vermeiden? Die Netzwoche hat bei Spezialisten aus der Branche nachgefragt.

Wer kennt sie nicht, die "Projektmanagement- Schaukel"? Der Weg, den ein IT-Projekt von der Planung bis zur Realisierung durchläuft, ist nicht immer geradlinig. Vieles kann dabei schiefgehen, und wenn ein Projekt abgeschlossen ist, heisst das nicht, dass es dem entspricht, was ursprünglich geplant war. Im Prinzip ist das auch nicht weiter schlimm, solange die fertige Lösung befriedigend ausfällt.

Es stellt sich die Frage, welche Konsequenzen sich ergeben, wenn ein IT-Projekt eben nicht so verläuft wie geplant. Es kann sein, dass ein Auftraggeber aus einem Vertrag mit einem IT-Dienstleister aussteigen will. Ein Auftragnehmer kann aber auch Probleme mit einem Auftraggeber haben und nicht wissen, wie er sie lösen kann. In manchen Fällen können die beiden Parteien auftretende Konflikte untereinander klären. Manchmal brauchen sie aber auch rechtliche Hilfe.

Ein Projekt in Schieflage

Lars Bechtold (Name von der Redaktion geändert), Mitarbeiter eines Schweizer Softwareunternehmens, hat sich gegenüber der Netzwoche zu einem laufenden IT-Grossprojekt geäussert, das nicht so abläuft wie geplant. Zwar mussten die Parteien bisher keine rechtliche Hilfe in Anspruch nehmen, aber das Projekt verläuft zäh. Einerseits geht es darum, ein altes System durch ein neues zu ersetzen und gleichzeitig neben der darunterliegenden Architektur eine neue, moderne Architekturlösung aufzubauen, um eine schrittweise Migration damit verbundener Systeme zu ermöglichen.

Die Probleme fingen an, als der Auftraggeber verlangte, dass die alte Lösung eins zu eins nachgebaut werde. "Leider ist diese schlecht dokumentiert, besser gesagt wir kommen nicht an die Dokumentation heran", erklärt Bechtold. Ohne Dokumentation bleibt dem Projektteam zurzeit nichts anderes übrig, als die Geschäftslogik mithilfe von Reverse Engineering aus dem Quellcode zu rekonstruieren. Als Grundproblem sieht Bechtold eine Führungsschwäche beim Auftraggeber. "Der Kunde versteckt sich gewissermassen hinter dem System. Er ist nicht wirklich bereit, mit uns zusammenzuarbeiten." Die Konsequenz: Die Kosten laufen aus dem Ruder, und vor allem im administrativen Bereich entsteht ein grosser Mehraufwand, weil die Vertragsbedingungen laufend angepasst werden müssen.

Um das Problem zu lösen, haben die beiden Parteien verschiedene Massnahmen definiert. Eine davon war die Lieferung des Quellcodes. "Auch darum mussten wir lange kämpfen." Der zähe Verlauf hat auch Auswirkungen auf das Projektteam: "Ferien zu beziehen oder eine Ausbildung anzufangen ist derzeit nicht einfach", erklärt Bechtold. Das Unternehmen steckt momentan einen Grossteil seiner Ressourcen in das Projekt, das das Team noch eine Weile beschäftigen wird. Geplanter Einführungstermin der neuen Lösung ist in knapp zwei Jahren. Danach wird es diverse Folgeprojekte geben, die bereits jetzt schon aufgegleist worden sind.

Auf dem Tisch des Anwalts

Können sich der Auftragnehmer und der Kunde in einem IT-Projekt nicht gemeinsam auf eine Lösung einigen, landet der Streitfall nicht selten auf dem Tisch eines Anwalts. Oft sind die Fronten dann so verhärtet, dass es keinen Weg mehr zu geben scheint, das betreffende Projekt zu einem gütlichen Ende zu bringen.

Soll ein Projekt frühzeitig abgebrochen werden, ist es mehrheitlich der Kunde, der dies wünscht. "Der Auftragnehmer will ja meist nicht aus dem Projekt raus, sondern will es abwickeln und abschliessen können. Wenn hingegen Auftraggeber zu uns kommen, wollen sie meistens aus dem Projekt aussteigen", sagt Matthias Ebneter, Rechtsanwalt bei Rentsch und Partner. Er hat sich auf Rechtsdienstleistungen im IT-Bereich spezialisiert und leitet zusätzlich das IT-Team der Firma. Die Gründe für das endgültige Scheitern eines Projekts können vielfältig sein. Oft liegt es daran, dass die gewünschten Anforderungen nicht erfüllt sind. Es kann aber auch sein, dass die Software zu spät geliefert wurde. Manchmal kommt es auch zu einem Vertrauensbruch zwischen dem Kunden und dem Auftragnehmer. "Wenn das Vertrauen zwischen dem Kunden und dem Projektpartner nicht mehr vorhanden ist, dann bringt es eigentlich nichts mehr, das Projekt noch abschliessen zu wollen", sagt Ebneter.

Kommunikationsprobleme

Genau eine solche Situation ergab sich in einem Fall zwischen einem Westschweizer und einem Deutschschweizer Unternehmen. Die beiden hatten einen Wartungsvertrag für eine Software vereinbart. Erste Probleme traten auf, als die Westschweizer ein Upgrade dieser Software bestellten. Die Deutschschweizer reagierten auf einmal nicht mehr rechtzeitig. Es gab Verzögerungen im Projekt, Meilensteine wurden nicht eingehalten. Aufgrund der Verzögerungen entstand seitens der Westschweizer der Eindruck, die Deutschschweizer hätten das Projekt nicht mehr im Griff. Zudem vermuteten sie, dass die nötigen Kompetenzen bei den Deutschschweizern fehlten. "Vielleicht stimmte das gar nicht", so Ebneter – aber das Misstrauen sei nun einmal dagewesen.

Die Westschweizer wollten daher möglichst aus dem Vertrag austreten. "Wir schlugen dann vor, dass die beiden Parteien eine Sitzung vereinbarten und eine klare Traktandenliste festlegten, um die Probleme anzusprechen." Die beiden Unternehmen konnten sich an der Sitzung darauf einigen, den Vertrag aufzulösen. Die Westschweizer bezahlten den Deutschschweizern einen Betrag für die bereits geleistete Arbeit und kauften zusätzlich ein paar Softwarelizenzen, um den finanziellen Verlust auszugleichen. So kam es für beide zu einem befriedigenden Abschluss.

Sachverhaltsanalyse ist das A und O

Was aber tut ein Anwalt eigentlich genau, wenn sich ein Klient an ihn wendet, weil ihm das Wasser bis zum Hals steht? Christian Laux, Inhaber der Kanzlei Laux Lawyers und Rechtsanwalt, der sich wie Ebneter auf Rechtsdienstleistungen für die IT-Branche spezialisiert hat, sagt dazu: "Der Klient hat in so einer Situation ein Problem: Ihm fehlt das rechtliche Fachwissen." Also muss ihm der Anwalt helfen. Er soll ihn aber auch managen, damit er das Richtige tut – beispielsweise wenn es darum geht, auf eine "böse" E-Mail zu antworten.

Als Erstes analysiert der Anwalt die Situation, sprich, er muss den genauen Sachverhalt kennen. Zeit spielt dabei eine wesentliche Rolle. "Es ist wichtig, dass wir den Sachverhalt innerhalb einer vernünftigen Zeit erfassen können und nicht Stunden damit verbringen, zu verstehen, was unser Kunde uns eigentlich erklären will." Dennoch muss er sicher sein, dass er die gegebene Situation genau erfassen und analysieren kann, denn wenn er aufgrund falscher Annahmen der rechtlichen Situation ungerechtfertigte Forderungen stellt, könnte sich das Blatt sehr schnell gegen ihn wenden. Dann schadet er nicht nur sich selbst, sondern auch seinem Klienten.

Technisches Know-how gefragt

Damit dies nicht passiert, muss ein Anwalt auch technische Kenntnisse mitbringen. Wie wichtig diese sind, erklärt Laux anhand eines einfachen Beispiels: Ein Klient wendet sich an einen Anwalt, weil er einen Vertrag für eine Software aufsetzen will. "Vielleicht geht es bei dem Vertrag aber gar nicht um Software, sondern um Daten." Software – oder ein Computerprogramm, wie es im Gesetz heisst – ist urheberrechtlich geschützt, was bei Daten nicht der Fall ist. Ginge es also um Daten, müsste der Anwalt sofort erkennen, dass er sich nicht auf geltendes Recht verlassen kann, sondern einen komplett neuen Vertrag aufsetzen muss. Die technische Kenntnis ist besonders wichtig, da es sich bei IT-Rechtsdienstleistungen um ein Querschnittsthema handelt. "Es gibt nicht ‹das IT-Recht›. Wir haben in unserer Kanzlei unter anderem mit Vertragsrecht, Urheberrecht und Wettbewerbsrecht sowie Datenschutzrecht, Haftpflichtrecht und Strafrecht zu tun", sagt Laux.

Hat der Anwalt den Sachverhalt analysiert, informiert er seinen Klienten über die rechtliche Lage und hilft ihm, eine klare Position einzunehmen. "In einem Gespräch kann man sich nur äussern, wenn man die eigene Position kennt. Ansonsten kann man keine Aussage machen und bleibt unbestimmt, um nichts Falsches zu sagen." Die Positionsfindung des Klienten ist nicht einfach und erfordert einiges Geschick seitens des Anwalts. "Manchmal muss ich ihn auch darauf hinweisen, dass er eine bestimmte Sache gar nicht wollen darf."

Ein Anwalt muss herausfordern

Um die Position seines Klienten zu festigen, fordert ihn der Anwalt heraus. "Wir müssen ihn testen, sprich, wir starten Testangriffe, um herauszufinden, ob der Klient seine Position wirklich gefunden hat und auch dahintersteht." Erst wenn die beiden diese Aufgabe gemeistert haben, kann der Klient auf die Gegenseite zugehen – je nachdem mit oder ohne Anwalt. Die darauf folgende Situation nennt Laux die "Konfrontationsphase", in der sich die Parteien miteinander auseinandersetzen und diskutieren.

Laux konnte in den meisten seiner Fälle, die er im vergangenen Jahr behandelte, einen Vergleich erwirken. Das heisst, dass beide Parteien einen Schritt aufeinander zugingen und sich auf einen Kompromiss einigten. Dass gescheiterte IT-Projekte vor Gericht landen, ist nach seinen Aussagen selten. "Bei einem Streitwert von unter 50 000 Franken lohnt sich ein Prozess erst gar nicht." In einem solchen Fall müsse man natürlich trotzdem die Rechtslage definieren – und beispielsweise einen Vergleich erwirken.

Muss ein IT-Projekt wie geplant verlaufen?

"Es gibt Schätzungen, dass 70 bis 80 Prozent aller IT-Projekte nicht auf einer geraden Linie verlaufen", sagt Ebneter. Meistens gebe es zeitliche Verzögerungen – beispielsweise weil jemand krank wird oder in den Ferien weilt. Es kann aber auch sein, dass der Aufwand für eine bestimmte Sache falsch eingeschätzt wird oder der Kunde auf einmal noch Zusatzleistungen fordert, die nicht vereinbart waren. Auch bei den Kosten gebe es meist Diskussionen, sagt Ebneter. Aber nur weil etwas nicht planmässig verläuft, heisst das noch lange nicht, dass das Resultat zwangsläufig schlecht sein muss. "Ich glaube nicht, dass es IT-Projekte gibt, bei denen wirklich alle Anforderungen wie geplant erfüllt werden. " Es könne aber sein, dass dann die Lösung, die beispielsweise nur zu 30 Prozent den ursprünglichen Anforderungen entspreche, vielleicht um einiges besser sei als diejenige, die der Kunde am Anfang gewünscht habe. Schwierigkeiten fangen meist mit schlechter Kommunikation an, sagt Ebneter. "Vielleicht kommt noch mangelnde Transparenz dazu oder man sieht sich zu selten", fügt er hinzu. Aus Erfahrung weiss er, dass ein Projekt normalerweise zu einem guten Ende geführt werden kann, solange die Kommunikation stimmt und kein Vertrauensbruch zwischen den beiden Parteien stattgefunden hat.

Um dieses Vertrauen zu erhalten, gilt es, auf beiden Seiten gewisse Dinge zu beachten. So lässt sich das Risiko für ein Scheitern des Projekts eventuell minimieren. Einerseits sollte der Auftraggeber genau wissen, was er will, und die Anforderungen klar definieren, sei es nun für eine neue Software, ein SLA oder einen Outsourcing-Vertrag. Denn unklare Requirements führen zu Missverständnissen. Andererseits ist auch eine genaue Kenntnis über die betroffenen Prozesse wichtig. "Manchmal weiss der Projektverantwortliche selbst nicht genau, was die Mitarbeiter einer Firma benötigen", gibt Ebneter zu bedenken. Er hat die Erfahrung gemacht, dass Use Cases sehr gut sind, um Anwendungsfälle zu definieren. "So muss sich der Kunde nicht schon im Voraus technisch festlegen, schliesslich kennt er sich in diesem Bereich auch nicht unbedingt aus." Der Kunde sollte vielmehr definieren, was er mit der Software oder der IT-Lösung genau machen will und welches Resultat sie ihm liefern soll.

Offen kommunizieren

Eine klare und offene Kommunikation auf beiden Seiten ist wichtig, vor allem, wennunvorhergesehene Probleme auftreten, Dinge unklar sind, neue Anforderungen hinzukommen oder sich eine Überschreitung von Kosten oder Zeit abzeichnet. Letztere beinhaltet für den Auftragnehmer zwar das Risiko, dass der Kunde das Projekt vorzeitig abbrechen will, auch wenn er dann unter Umständen für die Schadloshaltung des Auftragnehmers zahlen muss. Versucht der Auftragnehmer aber, das Projekt doch irgendwie vor dem Abgabetermin reinzudrücken, wird wiederum die Qualität seiner Arbeit leiden, was mit grosser Sicherheit zu neuen Problemen führt. Führungsstärke wird auch immer wieder als Plus erwähnt: Der Projektmanager sollte tun, was er tun muss und das Projekt mit einer sicheren Hand führen. Und, wie Christian Laux meint: "Falls ernsthafte Probleme auftreten, sollten Sie lieber früher als später zu einem Anwalt gehen."