Digitale Transformation

Der Kunde bleibt König

Uhr | Aktualisiert
von David Klier

Was wollen Kunden? Was sind ihre Bedürfnisse? Der Smart Business Day 2015 sollte Antworten liefern. Unternehmen wie Biketec, Victorinox und Mammut sprachen über ihre Transformation.

Die Jungs von Uber fahren nicht seit 20 Jahren Taxi. Sie besitzen auch keine Taxis. Aber sie führen das grösste Taxiunternehmen der Welt.

Die Gründer von Airbnb führten nie ein Hotel. Sie besitzen auch keines. Aber sie sind die erfolgreichsten Vermittler von Ferienunterkünften der Welt.

Diese Menschen, die Jungs von Uber, die Gründer von Airbnb, werfen Branchen über den Haufen, von denen sie keine Ahnung haben. Branchen, deren Kunden sie einst waren. Unzufriedene Kunden. Deshalb schufen sie ein neues System nach ihren Vorstellungen und Wünschen. Ein System, das ihren Bedürfnissen gerecht wird.

Etwas Neues erschaffen ist einfacher, als Bestehendes zu verändern

Um diese Bedürfnisse, die Kundenbedürfnisse, drehte sich der diesjährige Smart Business Day. Seit 2010 lädt der Webdienstleister Namics ein Mal im Jahr zu dem Anlass. Das übergeordnete Thema ist die digitale Transformation. 2015 ging es um die digitale Transformation aus Kundensicht.

Auf der Bühne im Gottlieb-Duttweiler-Institut in Rüschlikon sprachen Vertreter von Unternehmen wie Biketec (Hersteller der Elektrofahrräder Flyer), UBS, Victorinox und Mammut über ihre Transformation.

Der CEO von Biketec, Simon Lehmann, nannte Uber und Airbnb als Prototypen für die digitale Transformation aus Kundensicht. Allerdings würden sich diese beiden Fälle in einer Sache von der Transformation seines Unternehmens unterscheiden: Uber und Airbnb seien zwei neue Geschäftsmodelle. Es habe sie vorher nicht gegeben.

"Die digitale Transformation eines bestehenden Geschäfts ist eine weitaus grössere Challenge, als etwas völlig Neues zu entwickeln", sagte Lehmann. Der Mann ist seit 2014 CEO des Fahrradherstellers. Seither krempelt er das Unternehmen komplett um.

Wer sich vor dem Internet verschliesst, bekommt Probleme

Als Lehmann dort anfing, hatte Biketec null Stellenprozent im E-Commerce. "Der Fahrradfachhandel sieht im Internet den Teufel", sagte er am Smart Business Day.

Die Kunden seien aber im Internet. Wer sich vor dem Internet verschliesse, werde mittelfristig ein Problem haben. Denn der Kaufprozess habe sich grundlegend verändert, sagte Lehmann. Früher sei man in die Migros gegangen und habe das Produkt gesucht. Heute suche man erst das Produkt und wähle dann den Anbieter.

Für Lehmann ist die digitale Transformation deshalb etwas, das Mut voraussetzt. Das Problem sei, dass in vielen Unternehmen das Scheitern nicht erlaubt sei. Dieses Denken hindere Menschen daran, neue Dinge auszuprobieren. Das wiederum bremse die digitale Transformation.

Erst den Kunden verstehen, dann das Unternehmen verändern

Lehmann hat den nötigen Mut. Er holte sich externe Partner, implementierte ein neues ERP, brachte die Logistik auf Vordermann und reduzierte das Angebot - früher gab es über 2000 Variationen für 20 Modelle. "Das war ein logistischer Alptraum", sagte Lehmann.

Alles, was Lehmann bei Biketec veränderte, war von den Kundenerwartungen getrieben. Lehmann fragte sich, was der Kunde will und was er nicht will. Erst wenn das alle verstanden hätten, könne man sich auf das Unternehmen selbst konzentrieren.

Eine ähnliche Geschichte erzählte Christian Wiesendanger. Er leitet das Wealth Management der UBS in der Schweiz. "Kunden werden älter und massiv digitaler", sagte er. Sein derzeitiges Projekt sei deshalb das digitale Wealth Management. Wiesendanger will die persönliche Kundenberatung mit der Onlineberatung kombinieren.

UBS hat keine Digitalstrategie

Die Integration eines Onlineportals bedeutet für die UBS, dass Kunden und Kundenberater die gleichen Informationen haben. Wie steht es um das Portfolio des Kunden? Beide wissen es.

Mit dem Portal kann die UBS jetzt ihren Kunden online visualisieren, wie es um ihr Portfolio steht. Wie gesund dieses ist. In der nächsten Ausbaustufe will Wiesendanger auch die "medikamentöse Behandlung" integrieren. Der Kunde soll direkt Vorschläge erhalten, wie er sein Portfolio verbessern kann.

Das macht bisher noch der Kundenberater. Die Informationen dazu bekommt aber auch er auf Knopfdruck. Dahinter stecke Rechenleistung, die mit der des Cerns vergleichbar sei, sagte Wiesendanger. Jede Nacht analysieren diese Server die Portfolios der Kunden.

Wiesendanger nennt das aber nicht Digitalstrategie. Die UBS habe gar keine Digitalstrategie. Digital sei eher ein integraler Bestandteil der Geschäftsstrategie.

Wissenschaftliche Sichtweise: Kundenverhalten verändert sich

Und dennoch. Es geht um den Kunden. Alle Veränderungen sollen den Kunden binden, Vertrauen schaffen, Mehrwerte generieren.

Nach Wiesendanger brachte Christiane Lehrer, Leiterin des Competence Center Social CRM der Hochschule St. Gallen, die wissenschaftliche Sichtweise ein. "Wir beobachten ein verändertes Kundenverhalten", sagte sie.

Der Kunde möchte demnach in Austausch treten. Er wolle Feedback geben und erhalten. "Digital Natives wollen alles auf sich zugeschnitten haben. Und zwar sofort", sagte sie.

Damit das möglich werde, brauche es eine 360-Grad-Kundensicht. Der gläserne Kunde sei aber nicht das Ziel. Trotzdem sollen Unternehmen über die sozialen Medien in den sozialen Kontext der Kunden vordringen. Kunden und Kundenberater sollen miteinander interagieren. Social CRM nennt Lehrer das.

Die Interaktion könne über Wearables oder weiter gefasst über sogenannte Sensordaten erfolgen. Über diese könnte man Kunden über den Produktverkauf hinaus begleiten. Big Data lässt grüssen.

Sammelwut in Big-Data-Manier ist der falsche Ansatz

Wahllos Daten sammeln wäre aber nicht sinnvoll. Unternehmen sollten sich Use-Cases anschauen und dann gezielt Daten sammeln. Sammelwut in Big-Data-Manier sei ohnehin mit rechtlichen Restriktionen verbunden und gefährde das Vertrauen des Kunden.

Unternehmen müssten sich vor der Umsetzung eines Social CRM Gedanken darüber machen, was sie erreichen wollen. Ist das klar, könne das Social CRM die persönliche Kundenbeziehung stärken.

Daran arbeitet derzeit der Messerhersteller Victorinox. Messerhersteller stimmt allerdings nur noch bedingt. Seit 1989 stellt Victorinox Uhren her. Seit 1999 hat er auch Gepäck, also Reisetaschen und -koffer, im Sortiment. 2001 stieg das Unternehmen ins Bekleidungsgeschäft ein und eröffnete den ersten eigenen Laden in New York. Seit 2007 gibt es Victorinox-Parfüm.

Kunden denken nicht in Kanälen

In New York, also 2001 und damit fast 120 Jahre nach der Gründung, kam Victorinox zum ersten Mal in direkten Kontakt mit Kunden. Heute gehört Kundenkontakt zur Tagesordnung für Victorinox. Das Unternehmen hat 80 Läden rund um die Welt.

"Wir entwickeln uns zu einem kundenzentrierten Anbieter", sagte Kilian Eyholzer. Er ist Global Head of E-Commerce bei Victorinox. Eyholzer spricht von Multi Channel Retail.

Doch er sieht ein Problem dabei. "Der Kunde denkt nicht in Kanälen", sagte Eyholzer. "Er will das Produkt in jeder Situation kaufen können." Auf dem Sofa über das Tablet, unterwegs über das Smartphone oder im Laden an der Bahnhofstrasse in Zürich. Der Kunde wolle immer das gleiche Einkaufserlebnis.

Dazu muss Victorinox seine Kunden besser kennenlernen. Deshalb entschied sich Victorinox, einen eigenen Webshop aufzubauen. Das sei zudem auch ein klares Kundenbedürfnis gewesen.

Victorinox hat viele Baustellen

Gleichzeitig erhofft sich Victorinox mehr Kontrolle über die Onlinedistribution. Diese sei zurzeit eher in einem schlechten Zustand. Händler wie Amazon würden die Preise kaputtmachen und Victorinox könne nichts dagegen tun.

Bei Victorinox gibt es aber noch ganz andere Baustellen. So setzt das Unternehmen derzeit drei verschiedene ERP-Systeme ein. Eines in den USA, eines in Europa und ein weiteres in Japan. "Wir sind noch ganz am Anfang der digitalen Transformation", sagte Eyholzer dazu.

Ähnliches passiert bei Mammut. Die Vision des Bekleidungsherstellers: Nahtlose Einkaufserlebnisse für den Kunden über Läden und im Internet.

Mammut ist schon nah am Kunden dran

Die aktuelle Situation: Eine Mischung aus eigenen "Mono Brand Stores" mit Läden von Franchisenehmern und eine grosse Online-Community. Mammut hat 53'000 Follower auf Twitter und setzte bisher rund 8600 Tweets ab.

Mammut interagiert ausserdem über Facebook direkt mit einzelnen Kunden. Michael Kocher, CIO von Mammut, erzählte von einem US-Kunden, der mit Wanderschuhen von Mammut und dem Kundenservice in den USA unzufrieden war. Er verbreitete seinen Unmut auf der Facebook-Seite von Mammut.

Der Hersteller reagierte, meldete sich bei dem Kunden. Der Kunde erhielt neue Schuhe und war am Ende zufrieden.

Mammut ist also schon nah dran am Kunden. Doch: "Wir sind auf allen Kanälen, aber sie sind isoliert", sagte Kocher. Zwischen den Verkaufs- und Interaktionskanälen gebe es kaum Synergien. Mammut erkenne Kunden am POS nicht wieder.

Den Kunden klar definieren

Warum? Bislang war das ERP der Dreh- und Angelpunkt. Das reiche aber nicht mehr aus. Die IT soll nun helfen, die Isolation aufzubrechen. Sie soll Daten vereinheitlichen, den Datenaustausch ermöglichen.

Kocher und sein Team entwickelten einen Enterprise Application Integration Layer, kurz eine Datensteckdose, wie er es nannte. Mammut will an diese Steckdose alle Systeme anhängen. Vom Kassensystem bis zum ERP. Die Basis für die Steckdose bildet Microsoft Biztalk.

Doch das ist nur die technische Komponente. Am Ende dreht es sich wieder nur um den Kunden. "Es ist eminent wichtig, dass man den Kunden klar definiert", sagte Kocher.

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