"Schauen Sie mal nach draussen! – Wo sehen Sie selbstfahrende Autos?"
Rolf Pfeifer ist Keynote-Speaker am nächsten CNO-Panel. Er ist ehemaliger Direktor des Artificial Intelligence Lab der Universität Zürich, Wissenschaftsberater bei Living with Robots Inc. und nahm zwei Professuren in Osaka und Shanghai an. Die Redaktion sprach mit ihm über den Hype rund um Robotik und Artificial Intelligence.
Sie werden am nächsten CNO-Panel im Stade de Suisse die Keynote halten. Was dürfen die Teilnehmer von Ihrem Referat erwarten?
Rolf Pfeifer: Ich werde über den Hype rund um Robotik und Artificial Intelligence sprechen. Und über die nächste Generation von intelligenten Maschinen. Eine wichtige Aussage wird sein, dass künstliche Intelligenz viel mehr ist als bloss ein Algorithmus.
Was bedeutet Intelligenz für Sie?
Gegenfrage: Sind Ameisen intelligent?
Ja, für mich sind Sie intelligent.
Einverstanden, aber das ist genau der Punkt. Für Sie sind Ameisen intelligent. Ich könnte Ihnen aber auch mehrere Gründe nennen, die dagegen sprechen. Es ist darum müssig, Intelligenz genau zu umschreiben. Jeder versteht darunter etwas anderes. Ich forsche seit über 40 Jahren auf dem Gebiet und habe das Wort nie definiert.
Verlief die Entwicklung von KIs in dieser Zeit für Sie etwa wie erwartet?
Ich mache keine Voraussagen. Sie sind häufig langweilig. Alle sagen dasselbe: mehr Vernetzung, mehr Internet der Dinge, selbstfahrende Autos, mehr künstliche Intelligenz, Arbeitsplätze fallen der Robotik und der KI zum Opfer. Während die wirklich disruptiven Entwicklungen, wie etwa das Internet und soviel ich weiss GPS, niemand voraussagte. Der dänische Physiker Niels Bohr hat einmal gesagt, dass Prognosen schwierig seien – besonders wenn sie die Zukunft beträfen. Daran sollten wir uns halten.
Trotzdem: Rechneten Sie vor 40 Jahren damit, dass selbstfahrende Autos jetzt schon auf unseren Strassen unterwegs sind?
Ich habe gar nicht damit gerechnet, und vor 40 Jahren war das auch kein Thema. Und was heisst «jetzt schon»? Man müsste sagen «erst jetzt». Der deutsche Robotiker Ernst Dickmanns entwickelte das erste selbstfahrende Auto bereits 1987 an der Universität der Bundeswehr in München. Es konnte schon damals auf einer normalen Strasse fahren, mit 90 Kilometern pro Stunde. Seither sind 30 Jahre vergangen. Schauen Sie mal nach draussen! – Wo sehen Sie selbstfahrende Autos?
Das widerspricht der These, dass Technologien heute exponentiell wachsen und kaum mehr zu kontrollieren sind.
Obwohl gewisse Entwicklungen exponentiell verlaufen, gilt diese These nicht allgemein. Voraussagen für die Zukunft basieren oft auf einem isolierten Faktor, anstatt das Gesamtsystem zu betrachten. Die Annahme, dass sich nur ein Element – etwa eine Technologie – verändert und alles andere gleich bleibt, ist schlicht falsch.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Da gibt es viele. Etwa der Mietvelo-Boom in China. Er wäre ohne GPS und dem Aufkommen der Shared Economy nicht passiert. Es veränderten sich mehrere Faktoren in einem Gesamtsystem gleichzeitig, um das Bikesharing zu ermöglichen. Darum ist es auch fast unmöglich, solche Dinge vorauszusagen.
Chinesische Forscher sagten kürzlich, dass Googles KI zwar schlau, aber immer noch dümmer als ein Erstklässler sei. Sehen Sie das auch so?
Ja. Ein Erstklässler muss nicht zuerst 10 Millionen Bilder von Katzen sehen, um zu erkennen, was eine Katze ist. Googles KI schon. Viele Menschen verstehen nicht, dass wir hier zwischen Performance und Kompetenz unterscheiden müssen. Alphago hat eine super Performance, ist aber nicht kompetent. Alphago weiss nicht einmal, dass es Go spielt. Es weiss auch nicht, dass Go ein Spiel ist oder was überhaupt ein Spiel ist. Letztlich ist Alphago ein Algorithmus, ein faszinierender, aber ein Algorithmus.
Sind die Algorithmen für KIs also gar nicht so leistungsfähig?
Im Gegenteil, sie sind extrem leistungsfähig und auch sehr nützlich. Aber sie verarbeiten nur Daten, mehr nicht. Ich habe mit vielen Big-Data-Spezialisten gesprochen, die hinter den Algorithmen stehen. Sie sagten mir, dass sie einen Grossteil ihrer Zeit damit verbringen würden, Daten zu sammeln und aufzubereiten. Damit sie die Algorithmen – häufig wird von KIs geredet – verarbeiten könnten. Es ist ja nicht so, dass sich die Algorithmen selbst weiterentwickeln, superintelligent werden und die Menschheit versklaven. Solche Befürchtungen sind Quatsch.
Was ist denn heute die grösste Herausforderung in der KI-Forschung?
Kommt darauf an, wen Sie fragen. Wer mit Deep Neural Networks arbeitet, wird darauf antworten, dass wir unbedingt die Algorithmen weiterentwickeln müssen. Gewisse Forscher sagen, dass es die grösste Herausforderung sei, das menschliche Gehirn zu simulieren. Das versucht zum Beispiel das von der EU mit einer Milliarde Euro finanzierte Human Brain Project. Dabei gibt es aber ein Problem: Unser Hirn ergibt keinen Sinn, wenn es nicht in einen Körper eingebettet ist. Evolutionsgeschichtlich hat sich das Gehirn immer als Teil eines gesamten Organismus entwickelt. Und: Ein Gehirn ist nicht einfach ein Algorithmus.
Was sind weitere Herausforderungen?
Es gibt zu viele Herausforderungen im Zusammenhang mit KI, um alle zu nennen. Sie haben ein riesiges Potenzial im Umweltbereich, in der Gesellschaft, in der Energiebranche, im Bereich soziale Medien, im Gesundheitswesen, in der Industrie und der Wirtschaft allgemein, im Onlinehandel und im Finanzwesen. Es stellt sich aber immer die Frage, ob der Mensch die neuen Technologien auch akzeptiert.
Wie meinen Sie das?
Als Bankomaten aufkamen, lehnten viele Menschen diese ab. Heute geht es nicht mehr ohne. Das Gleiche gilt für Mobiltelefone. So oder so ist es eine gute Idee, mit den neuen Technologien zu experimentieren. Das rate ich auch Schweizer Unternehmen. Für viele ist es sinnvoll, sich jetzt mit künstlicher Intelligenz zu beschäftigen. Wer früh Erfahrungen macht, wird auch früh von der KI profitieren.