Offene Datenbanken treten gegen Oracle an
Oracle und Microsoft sind Leader im Markt für Enterprise-Datenbanken. Andere Optionen gab es lange Zeit nur wenige. Das hat sich geändert. Vor allem PostgreSQL könnte Oracle das Leben schwer machen.
Wer Zahlen zu Enterprise-Datenbanken sucht, hat es nicht leicht – es gibt fast keine. Einen Hinweis gibt die Website db-engines.com. Sie wertet unter anderem Bing, Google, Linkedin, Stack Overflow, Twitter und Yandex aus. Sie errechnet so einen Wert, der die Beliebtheit einer Datenbank verrät. Oracle führte das Ranking per Oktober mit 1348,80 Punkten an, gefolgt von MySQL (1298,83) und Microsoft SQL (1210,32).
46 Prozent aller Punkte fielen im Oktober auf offene Datenbanken. Das sind 10 Prozentpunkte mehr als im Januar 2013. Die Beliebtheit der proprietären Datenbanken sank hingegen von 64 auf 54 Prozent. 6 Datenbanken in den Top 10 sind quelloffen: Ausser MySQL auch PostgreSQL (Rang 4), MongoDB (5), Cassandra (8), Redis (9) und Elasticsearch (10). Gartner sagt voraus, dass bis 2018 70 Prozent aller neuen Applikationen auf Open-Source-Datenbanken laufen werden.
Offene Datenbanken holen gegenüber den kommerziellen auf. (Source: db-enginges.com)
Der Druck auf Oracle wächst
Ist dieser Trend auch im Schweizer Markt spürbar? Ja, sagt Sandro Köchli, Mitgründer und Verwaltungsrat des Open-Source-Dienstleisters Adfinis Sygroup. «Vor allem Oracle ist massiv unter Druck geraten. Viele Schweizer CIOs ärgern sich über die Lizenzbedingungen des Unternehmens und wollen Oracles Ökosystem verlassen», sagt Köchli.
Eine Umfrage von Euro-CIO zeigt, dass dieser Eindruck nicht täuscht. Die Organisation befragte letztes Jahr 100 europäische Informatikleiter. 80 Prozent der Grossfirmen fanden die Verträge von Oracle zu starr. 75 Prozent sagten, dass die Lizenzbedingungen zu unflexibel seien. Und 60 Prozent gaben an, dass sie lieber auf andere Lieferanten zurückgreifen würden. 50 Prozent der befragten CIOs seien sogar daran, eine Exit-Strategie zu entwickeln, um ihre Beziehung zu Oracle zu beenden.
Die Redaktion wollte von Oracle wissen, was das Unternehmen dazu sage. Offenbar gar nichts – Oracle wollte sich nicht zur Umfrage von Euro-CIO äussern. Auch auf alle anderen Fragen der Redaktion ging der Datenbankspezialist nicht ein.
Wer einmal drin ist, kommt fast nicht mehr raus
Unternehmen müssen sich gut überlegen, wo sie ihre Daten lagern. Denn der Wechsel einer Datenbank ist nicht trivial. Viele Anbieter nageln ihre Kunden fest: Wer ein geschlossenes Ökosystem verlassen will, dem werden Steine in den Weg gelegt. Diese Taktik nutzt nicht nur Oracle, aber der Konzern ist besonders gut darin. «Oracle bietet eine Oracle-Cloud für Oracle-Kunden an», heisst es in einem Newsletter der Analystenfirma 451 Research treffend.
Wer die Datenbank trotzdem wechseln will, kann mittlerweile auf spezialisierte Dienstleister zurückgreifen. Etwa auf Open-SCG. Der Anbieter hat Oracle-Kunden im Visier und hilft ihnen bei der Migration auf PostgreSQL – auch in Europa. Die Kunden würden oft schon nach 6 bis 12 Monaten – spätestens nach zwei Jahren – finanziell von einem Wechsel profitieren. Köchli sagt im Gespräch, dass der Return on Investment oft sogar schon nach 3 bis 6 Monaten erzielt sei.
Adfinis arbeitet mit dem niederländischen PostgreSQL-Spezialisten Splendid Data zusammen. Er bietet Service Level Agreements für Unternehmen mit 24/7-Support und ohne Vendor Lock-in an. Adfinis wiederum übernimmt die Projektleitung, kümmert sich um die Architektur, den Betrieb und betreut die Schweizer Kunden vor Ort.
Es gibt Alternativen
Open-Source-Datenbanken hatten lange den Ruf, nicht Enterprise-ready zu sein. Das ist vorbei. Heute gibt es gleich mehrere Alternativen. Unter anderem MariaDB, MongoDB und PostgreSQL. Wer von Oracle weg will, beschäftigt sich meist mit PostgreSQL. Der Hauptgrund dafür dürfte sein, dass die Datenbank eine sehr hohe Kompatibilität mit Oracle-Datenbanken hat und ein Wechsel machbar ist.
Gartners Magic Quadrant für Operational Database Management Systems zeigt, wer den Markt anführt. (Source: Gartner)
Die Technologie entstand in den 80er-Jahren an der University of California in Berkeley und hiess zuerst Postgres und Postgres95. Am 8. Juli 1996 wurde die erste Version unter dem Namen PostgreSQL veröffentlicht. Heute bietet die Datenbank moderne Funktionen wie Back-up und Point-in-Time-Recovery, Server Side Programming, NoSQL-Datentypen, logische Replikationen und unzählige Erweiterungen für fast jeden Anwendungsfall.
Die Entwicklung der Datenbank verläuft ähnlich wie beim Linux-Kernel. Hinter der Technologie steht nicht ein Unternehmen, sondern eine Community. Im Gegensatz zu vielen proprietären Datenbanken läuft PostgreSQL auf etlichen Betriebssystemen. Unter anderem auf diversen Linux-Derivaten, Microsoft Windows, OSX, HPUX, AIX, Solaris und BSD-Variationen.
Entwickler bevorzugen PostgreSQL
«Wir glauben, dass Oracle unglaublich verwundbar ist, weil das Unternehmen die Herzen und Seelen der Entwickler verloren hat», sagte Dev Ittycheria, CEO von MongoDB, gegenüber dem Magazin Crainsnewyork.com. Ein Blick auf die Ergebnisse der Developer Survey 2017 von Stack Overflow, der grössten Entwicklerumfrage der Welt mit rund 64 000 Teilnehmern, stützt diese Aussage.
63,1 Prozent aller Entwickler, die mit der Oracle-Datenbank arbeiten, wollen sie künftig nicht mehr einsetzen. «Oracle ist die meistgefürchtete Datenbank überhaupt», bilanzieren die Studienautoren. Hingegen sagten 60,8 Prozent der Entwickler, die PostgreSQL nutzen, dass sie die Datenbank auch in Zukunft verwenden wollen.
Wenn die Cloud plötzlich das Doppelte kostet
Oracle hat noch ein weiteres Problem: die Cloud. Wichtige Technologien des Unternehmens laufen zwar auch in den Public Clouds von Amazon und Microsoft. Die Lizenzierung ist allerdings teuer und kompliziert. Oracle könnte das ändern, tut aber genau das Gegenteil. Ende Januar verschärfte der Anbieter seine Lizenzbedingungen für Azure und AWS, sodass sich der Preis für die Nutzung der Clouds mit Oracle-Software fast verdoppelte. Die Redaktion fragte Oracle, ob es bei diesem Schritt nur darum gehe, Kunden in die eigene Cloud zu locken. Das Unternehmen liess die Frage unbeantwortet.
Die Taktik ist nicht verwunderlich. 2017 machte Oracle satte 69 Prozent seines Umsatzes mit dem Lizenzgeschäft aus On-Premise-Installationen. Laut CEO Mark Hurd betrieben im März 2016 über 350 000 Kunden ihre Datenbanken in einem eigenen Rechenzentrum.
Der PostgreSQL-Spezialist Splendid Data verglich sein Angebot mit dem von Oracle. Basis: Oracle Database Enterprise Edition 3, MySQL Enterprise Edition 4, EnterpriseDB Postgres Plus Advanced Server 5, x86-Standard-Server mit 2 Sockets, jeder mit 6 Kernen.
Kunden haben die Wahl – trotz Lock-in
Doch wo ziehen Oracles Kunden hin, wenn sie in die Cloud wollen? Und mit welchen Technologien? Das Unternehmen stellte 2011 seine eigene Cloud vor und bietet Infrastructure-as-a-Service, Platform-as-a-Service und Software-as-a-Service an. Es generiert mit der Oracle Cloud aber erst rund 13 Prozent seines Umsatzes.
Dazu kommt, dass Amazon die Kunden von Oracle in seine AWS-Cloud bringen will. Amazons Aurora-Datenbank ist kompatibel mit MySQL und PostgreSQL. MySQL gehört Oracle, und PostgreSQL hat eine hohe Kompatibilität mit Oracles relationaler Datenbank. Auch Microsoft bietet Migrationstools an, um Oracle-Datenbanken auf Azure zu bringen.
Lizenzwahnsinn und Planungsunsicherheit
Die französische Anwendervereinigung CIGREF und die European CIO Association werfen Oracle sogar vor, die Beziehung zu seinen Kunden massiv beschädigt zu haben. Die Verbände baten das Unternehmen laut Heise im Februar 2016 um ein Gespräch über die Lizenzkonditionen für virtualisierte Umgebungen. Oracle reagierte nicht auf die Anfrage.
Der Grund für den Streit war, dass Oracle x86-Virtualisierungslösungen wie Hyper V, VMware und Xen als Soft-Partitioning einstufte. Wer Oracle-Produkte lizenziert, muss das darum für einen ganzen Server tun – auch wenn sie nur auf einer begrenzten Zahl Prozessoren laufen. Der Betrieb von Datenbanken in virtualisierten Umgebungen, die nicht auf den Lösungen von Oracle selbst basieren, verteuerte sich so massiv.
«Oracle müsste dringend an einer transparenten Kommunikation gegenüber seinen Kunden arbeiten, um ihnen Planungssicherheit zu bieten und die Komplexität der Lizenzierungsthematik zu verringern», kommentierte Michael Paege, stellvertretender Vorsitzender der DOAG und Leiter des Competence Center Lizenzierung. Geändert hat sich bis heute nichts.