Wie aus Daten die Medizin von morgen entsteht
Die Tagung "Life in Numbers" hat sich dem Potenzial der Digitalisierung für das Gesundheitswesen gewidmet. Ob Krebszellenmutation, Bilderkennung oder Wearables: Forscher zeigten verschiedene Ansätze. Eine Gemeinsamkeit hatten alle – sie wollen die Medizin mit Data Science voranbringen.
Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat auf ihrem Campus in Wädenswil die Tagung "Life in Numbers" durchgeführt. Thema war der Einsatz digitaler Technologie im Gesundheitswesen. "Digital Health" ist ein weites Feld, das von einem starken Hype geprägt ist, wie Sven Hirsch vom Institute of Applied Simulation zum Auftakt der Veranstaltung sagte. Das Potenzial für eine bessere Medizin sei jedoch eindeutig vorhanden. Dazu dürfe Digitalisierung aber nicht zur technokratischen Übung werden, sondern müsse den Menschen ins Zentrum stellen.
So vielfältig wie das Gesundheitswesen selbst sei auch das Programm der Tagung gestaltet. Ziel der Veranstaltung sei es, Akteure aus unterschiedlichen Disziplinen zu versammeln, zum Austausch anzuregen und Netzwerke aufzubauen. "Wir müssen eine gemeinsame Sprache finden und unsere Stärken zusammenbringen", sagte Hirsch.
Digital Health - wieso, weshalb, warum?
Den Einstieg machte Alfred Angerer von der School of Management and Law der ZHAW. Er stellte den aktuellen Stand und die Aussichten der digitalen Medizin in der Schweiz vor. Es gebe kaum ein Thema, bei dem so viele Unsicherheiten und unterschiedliche Ansichten bestünden wie Digital Health. Manch einer stelle sich darunter Organe aus dem 3-D-Drucker vor. Für viele Ärzte stehe aber immer noch der Fax im Zentrum der digitalen Praxis.
Als erstes gelte es deshalb, den Begriff Digital Health zu definieren. Er umfasse die Bereiche "Tech Health" (Robotik, Sensorik, 3-D-Druck), "Data Health" (Internet der Dinge, Big Data, künstliche Intelligenz), "Trend Health" (Wearables, Social Media, Fitness) und "E-Health" (EPD, Telemedizin, E-Medikation). Vor allem die beiden Letzteren seien Treiber eines rasch wachsenden Marktes, sagte Angerer. Entsprechend sei auch das Medieninteresse an diesen Bereichen am grössten.
Die zweite Frage, die sich beim Einsatz von Digital Health stellt, ist laut Angerer das Verhältnis von Kosten und Qualität. Die ZHAW habe Experten gefragt, wie es hier bei den Trendthemen EPD, Wearables, Telemedizin und Fitness aussehe. Das Ergebnis: Alle Innovationen versprechen eine Verbesserung der medizinischen Versorgung. Ob damit allerdings auch Kostensenkungen einhergehen, wird in einigen Fällen bezweifelt.
Alfred Angerer gab dem Publikum einen Überblick zum Stand von Digital Health in der Schweiz. (Source: Netzmedien)
Digital Health komme ihm manchmal vor wie ein Zug, der gerade abfährt, von dem man aber noch nicht weiss, wohin er fährt und was das Billett kostet, sagte Angerer. Wie sollen Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen mit diesen Unsicherheiten umgehen? Zum einen gehe es darum, sich für eine von drei Basisstrategien zu entscheiden:
Das beste Produkt am Markt anzubieten
Den Herstellungsprozess zu vereinfachen
Den Kunden besser kennenzulernen
Zum anderen müssten die bestehenden Prozesse vereinfacht und alle unnötigen Schritte daraus eliminiert werden - beispielsweise im Spital. Erst dann sei der Punkt gekommen, um über Automatisierung und Digitalisierung nachzudenken. Bestehe das Potenzial von Digital Health nicht gerade darin, völlig neue Märkte zu schaffen, fragte ein Teilnehmer. Das stimme, entgegnete Angerer, aktuell sei im Schweizer Gesundheitswesen der Druck aber noch nicht da, der eine Revolution auslösen könnte.
KI hilft bei Forschung und Entwicklung
Wie Forscher aus Daten und IT zu neuen Erkenntnissen gelangen, zeigten im Anschluss Katharina Jahn von der ETH Zürich, Eric Durand vom Novartis Institute of Biomedical Research (NIBR) und Spencer Bliven von der ZHAW. Jahn untersucht, wie sich Krebszellen durch Mutationen verändern. Durand ist mit Machine Learning neuen Wegen in der Krebs-Behandlung auf der Spur. Bliven entwickelt am PC neue Formen sogenannter "Armadillo repeat"-Proteine.
Eric Durand widmet sich in den Labors von Novartis der Bekämpfung von Krebs. (Source: Netzmedien)
Nach dem Blick auf die Forschung waren die Hersteller an der Reihe. Lisa Falco, Director of Data Science bei Ava Women, stellte die gleichnamige Lösung des Zürcher Start-ups vor. Sie soll Frauen mittels künstlicher Intelligenz (KI) dabei helfen, schwanger zu werden. Ein Wearable misst hierfür laut Falco neun verschiedenen Parameter. In der Cloud werden diese Daten dann verwendet, um die einzelnen Phasen des Menstruationszyklus vorherzusahen. Eine App zeigt der Trägerin anschliessend an, wann die Chancen für eine Empfängnis am höchsten sind.
Ava Woman sei mit dem Produkt auf starke Nachfrage gestossen. Aktuell laufe die internationale Expansion, sagte Falco. Der Weg zu einer zuverlässigen Prognose der Fruchtbarkeit sei nicht immer leicht gewesen. Das Training des Machine-Learning-Systems habe mit wenigen Daten starten müssen. Durch das Sammeln von Userdaten und dem Einsatz von Neural Networks seien die Algorithmen aber immer besser geworden.
Das nächste Ziel von Ava Woman sei es nun, neben der Schwangerschaft auch die Verhütung planen zu können. Die Erfolgsquote liege hier aktuell bei 90 Prozent - zu tief noch für eine Marktreife. Mit zunehmendem Abstraktionsgrad werde Machine Learning leistungsfähiger, es werde aber auch immer mehr zur Black Box. Neben dem Anspruch, dass Digital Health den Kunden einen echten Mehrwert bieten müsse, sei es deshalb zentral, die Kontrolle über die eigenen Systeme zu behalten, sagte Falco.
Jonas Richiardi will mit Machine Learning nicht nur Krankheiten erkennen, sondern auch die Behandlung planen. (Source: Netzmedien)
Um Machine Learning ging es auch im Referat von Jonas Richiardi, der bei Siemens Healthineers und am Lausanner Centre hospitalier universitaire vaudois arbeitet. Richiardi zeigte, wie KI bei der Auswertung von medizinischen Bilddaten verwendet werden kann. So liessen sich nicht nur Diagnosen, sondern auch Prognosen über die Entwicklung der Gesundheit erstellen und die Planung der Behandlung unterstützen. Wie das gehen kann, demonstrierte Richiardi anhand der Erkennung von Läsionen bei Multipler Sklerose und der Prognose von Alzheimer-Erkrankungen.
Seine Vision sei es, dass Daten verschiedener medizinischer Analysemethoden zu einer "integrativen Analyse" verknüpft werden, sagte Richiardi. So könnten Datenbanken, Computerleistung und KI-Algorithmen künftig einen Beitrag zur Verbesserung der Medizin leisten. Die Grundlagen hierzu seien an vielen Orten bereits vorhanden. "Spitäler sitzen auf einer Goldmine und wir beginnen erst, darin zu graben", fasste er seinen Vortrag zusammen.