Warum der physische Verkauf digitalisiert werden muss
Die Digitalisierung des physischen Verkaufs steckt noch in den Kinderschuhen. Dabei steckt ein riesiges Potenzial darin. Ein Forschungsprojekt mit einem Autohaus zeigt eindrücklich, wie die Nutzung von handlungsrelevanten Kundeninformationen einen signifikant positiven Einfluss auf das Einkaufsverhalten haben kann.
Das Stichwort Digitalisierung des PoS lenkt die Gedanken schnell auf das Thema E-Commerce. Die Schweiz ist neben dem Vereinten Königreich führend beim Anteil der Bevölkerung, der online einkauft.[1] Insgesamt ist der E-Commerce in der Schweiz im Jahr 2017 um 10 Prozent auf knapp 9 Milliarden Franken gewachsen.[2]
Wenn aber die unterschiedlichen Angebotskategorien genauer betrachtet werden, fällt auf, dass dieses Wachstum äusserst unterschiedlich verteilt ist. In den meisten Branchen dominiert (noch) der physische Verkauf und zwar sehr deutlich. Daher verwundert es, dass die Digitalisierung des physischen Verkaufs völlig in Vergessenheit zu geraten scheint. Studien zur Digitalisierung bestätigen, dass die Digitalisierung des physischen Verkaufs im Vergleich zum E-Commerce völlig in den Kinderschuhen steckt.[3] Im Ergebnis erzielt anscheinend aktuell kein Schweizer Unternehmen ein hervorragendes Kundenerlebnis und die meisten dümpeln im "genügend"-Bereich.[4] Mit der Konsequenz, dass die Umsätze stagnieren oder gar rückläufig sind. Wenn der physische Verkauf nicht nur als Kostenblock gesehen wird und es nicht gilt, die komplette Verdrängung durch den E-Commerce abzuwarten, stellt sich folgende Frage: Wo sollten Unternehmen ansetzen, um die Digitalisierung für den physischen Verkauf optimal zu nutzen und bessere Kundenerlebnisse zu bieten?
Handlungsrelevante Kundeninformationen haben oberste Priorität
Zwei Erfolgsfaktoren für die Digitalisierung des physischen Verkaufs sind massgeblich:
(1) Kundendaten und (2) Kundenschnittstellen, die wertvolle Kundendaten sammeln und für die Verkäufer darstellen können.[5] Nur wenn Verkäufer einen Live-Zugriff auf relevante Kundeninformationen haben, werden sie fähig sein, den immer besser informierten und gleichzeitig von der Masse an Angeboten erschlagenen Kunden ein begeisterndes Erlebnis zu bieten. Unternehmen statten ihre Verkäufer inzwischen mit Smartphones, Tablets und Computern aus. So unterstützen beispielsweise In-Store-Bestellmöglichkeiten oder 3D-Displays die Angebotsauswahl für die Kunden.[6] Die Sammlung von wertvollen, handlungsrelevanten Kundendaten für die Gestaltung eines besseren Einkaufserlebnisses wird dabei allerdings kaum je in Betracht gezogen. Was genau sind handlungsrelevante Kundendaten? Schlagwörter wie Big Data, Smart Data oder Artificial Intelligence suggerieren, dass Unternehmen schon wertvolle Daten besitzen, die es nur zu bereinigen, analysieren und nutzen gilt. Die Realität im Umfeld des physischen Verkaufs ist allerdings erschreckend anders. Die wenigen vorhandenen relevanten Kundendaten werden kaum gepflegt, liegen oft in unterschiedlichen (veralteten) Systemen und werden, wenn überhaupt, nur rudimentär ausgewertet. Unternehmen geben der Verbesserung der Qualität der Kundeninformationen deshalb die oberste Priorität.[7] Dem physischen Verkauf kommt dabei ein besonderer Stellenwert zu. So gaben über 60 Prozent der Teilnehmenden einer repräsentativen Studie an, dass sie Kundendaten am physischen PoS bei einer extensiven Kaufentscheidung preisgeben würden.[8] Diesem Anteil stehen nur 15 Prozent der Teilnehmenden gegenüber, die ihre Daten online preisgeben würden. Somit scheint der physische Verkauf besonders dazu geeignet, Kundendaten zu sammeln. Bisher existieren hierzu keine weiteren Forschungsergebnisse. Die Fachstelle für Sales & Distribution der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich und die WATC Consulting AG haben ein gemeinsames Forschungsprojekt lanciert. Ziel war es zu verstehen, welchen Mehrwert bessere Kundeninformationen mithilfe der Digitalisierung im physischen Verkauf ermöglichen. Da es bisher keine Anwendungen in diesem Bereich gibt, wurde auf die cloudbasierte Saas-Anwendung CE-PoS (Customer Engagement at the PoS)[9] zurückgegriffen, um die Fragestellung am Beispiel des Autoverkaufs zu beantworten.
CE-PoS besteht aus einer Live-Berechnungs-Engine, die auf adaptiven Algorithmen zur Bestimmung des Kundenpotenzials basiert. Darüber hinaus beinhaltet die Anwendung ein Content-Managementsystem sowie ein Dashboard für die Visualisierung der Ergebnisse sowohl für die Verkäufer vor Ort als auch das Management. CE-PoS wird über eine API-Schnittstelle an ERP/CRM- und Marketing-Automation-Anwendungen angeschlossen. Die Anwendung kommt in vier Stufen zum Einsatz.
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Selbstnutzung auf einem Tablet durch den Kunden zu Beginn des Einkaufes, um ihm ein Markenerlebnis zu vermitteln
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Entscheidungsunterstützung bei der Angebotsauswahl und bezüglich des Beratungserlebnisses
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Nutzung durch den Verkäufer für das Bieten eines individuellen Verkaufserlebnisses
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Unterstützung des Beziehungsmanagements über den Kauf hinaus
Aufbau von CE-POS. (Source: HWZ)
Hohe Akzeptanz der Teilnehmenden
Die im Test benutzte Anwendung erlaubt die Gewinnung handlungsrelevanter Kundendaten durch die Kombination mehrerer Elemente. Im Rahmen der Selbstnutzung wird dem Kunden zu Beginn des Besuchs über ein Tablet, einen Touchscreen oder ein Smartphone ein digitales Markenerlebnis vermittelt. Das Erlebnis besteht im Kern aus einem Gamification-Ansatz[10] zur spielerischen Gewinnung von Kundendaten. Es kann mit Bildern und Videos zur Marke und/oder Angeboten ergänzt werden. Integriert in diesen Schritt ist eine Entscheidungsunterstützung für den Kunden sowohl hinsichtlich des Angebots als auch hinsichtlich Zusatzservices und Informationsbedürfnissen über den aktuellen Kauf hinaus. Dies erlaubt die Gewinnung von Einsichten bezüglich des Lebensstils, der Informationsbedürfnisse, der allgemeinen Präferenzen und des Werts, den ein Kunde für das Unternehmen darstellt. Diese Daten werden mithilfe der Algorithmen zu einem Kundenpotenzial verdichtet. Mit diesen handlungsrelevanten Kundeninformationen können anschliessend die Verkäufer die Verkaufssituation und das Kundenerlebnis individualisieren und möglichst begeisternd gestalten.[11]
In unserem Test kam die Anwendung in Zusammenarbeit mit einem Autohändler während drei Monaten zum Einsatz. Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse zu drei Themen ausgeführt: (a) die Datenqualität, (b) die Vorhersagegüte der Daten auf das Kaufverhalten sowie (c) die Nutzung durch die Verkäufer.
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(a) Die Teilnahmequote belief sich auf über 50 Prozent aller Kunden des Autohauses, was dem Ergebnis anderer Studien entspricht. Über 90 Prozent der teilnehmenden Kunden gaben die Daten vor dem Hintergrund einer anschliessenden persönlichen Beratung frei und über 60 Prozent der teilnehmenden Kunden willigten in den Versand von E-Mails mit weiterführenden Informationen auch nach dem Besuch ein. Befürchtungen, die Kunden würden aufgrund der Verkaufssituation die Daten manipulieren, konnten nicht bestätigt werden. Durch den Einsatz von Gamification-Elementen und der Aussicht auf eine passgenaue Beratung war die Datenqualität sehr hoch.
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(b) Darüber hinaus wurde die Vorhersagegüte der Informationen auf das Einkaufsverhalten analysiert. Die berechneten Kundenpotenziale stimmten zu über 90 Prozent mit dem Einkaufsverhalten überein. Diese hohe Zahl überrascht nicht, da Autokäufer einer europaweiten Studie zufolge schon zu 70 Prozent entschieden haben, was sie kaufen werden, wenn sie das Autohaus zum ersten Mal betreten.[12] Ergänzend wurde der Einfluss der Anwendung auf die Verkaufsberatung und im Anschluss auf das Kaufverhalten untersucht. Zu diesem Zweck hatten die Verkäufer nach jedem Kundenbesuch festgehalten, wie stark die erhobenen Kundeninformationen im Verkaufsgespräch benutzt wurden und wie zielführend sie aus ihrer Sicht waren. Die Verkäufer schätzten den Nutzen der Anwendung bei Kunden, die auf Basis der Selbstangaben ein geringes Potenzial hatten, im Durchschnitt wesentlich höher ein als bei Kunden mit einem zu Beginn schon hohen Verkaufspotenzial. Dies kann ein Indiz dafür sein, dass die gewonnenen zusätzlichen Kundeninformationen besonders bei unentschlossenen Kunden oder Kunden mit geringer Markenloyalität den vollen Wert entfachen. Abschliessend wurden die ermittelten Kundeninformationen noch im Rahmen einer E-Mail-Kampagne getestet. Die Kunden wurden dazu von der Anwendung mittels Berechnungen in vier Erlebnissegmente eingeteilt. Anschliessend wurde für jedes Segment ein eigener Newsletter erstellt. Parallel wurde eine Standard-E-Mail an eine Vergleichsgruppe geschickt. Im Ergebnis waren die Öffnungs- und Klickraten bei den auf die Segmente angepassten E-Mails um 60 Prozent höher als bei der Standard-E-Mail. Die Analysen bestätigen, dass die Nutzung von handlungsrelevanten Kundeninformationen einen signifikant positiven Einfluss auf das Einkaufsverhalten haben kann.
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(c) Abschliessend wurde die Nutzung durch die Verkäufer analysiert. Im Vergleich zum E-Commerce gilt es bei der Digitalisierung des physischen Verkaufs neben den Kundenbedürfnissen auch die Bedürfnisse der Verkäufer zu berücksichtigen. Nach Aussagen der Verkäufer war die anschliessende Beratung deutlich effizienter, weil die Anwendung aufzeigte, welches Erlebnis der Kunde beim Besuch erwartet. Was die Verkäufer sehr schätzten, war die Anzeige des Kundenpotenzials und von konkreten Handlungsvorschlägen auf dem Tablet. Manche Kunden hatten ein zu geringes Budget für das ausgewählte Modell, andere wiederum hatten nur eine durchschnittliche Markenloyalität.
In beiden Situationen konnte der Verkäufer direkt reagieren und systematisch auf ein anderes Modell hinweisen beziehungsweise die Vorteile der Marke und der Angebote deutlicher hervorheben. Eine zentrale Herausforderung für die Verkäufer war die Nutzung der vielen ungewohnten Informationen. Die Mitarbeitenden taten sich zu Beginn schwer damit, auf Basis der ausgewerteten Daten ihren über die Jahre angewöhnten Verkaufsprozess anzupassen bzw. das Kundenerlebnis zu individualisieren.
Illustration der Anwendung von CE-POS für den Kleiderhandel. (Source: HWZ)
Noch am Anfang
Die Digitalisierung des physischen Verkaufs steht noch ganz am Anfang. Dieses erste Experiment konnte aufzeigen, dass die Gewinnung und die Nutzung von handlungsrelevanten Kundendaten einen deutlichen Mehrwert für Unternehmen genieren können. Im Vergleich zum E-Commerce besteht die Herausforderung, neben der Technologie auch noch die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Verkäufer zu berücksichtigen.[13]
So setzen viele Unternehmen im physischen Verkauf auf eine hohe Standardisierung im Verkaufsprozess zur Qualitätsabsicherung. Dies gilt es, bei dem Anspruch eines möglichst individuellen Kundenerlebnisses zu berücksichtigen.
Literatur
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https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kultur-medien-informationsgesellschaft-sport/informationsgesellschaft/gesamtindikatoren/haushalte-bevoelkerung/e-commerce-e-banking.html
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https://blog.carpathia.ch/2018/02/20/vsv-gfk-zahlen-2017/
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Digitalisierung – wo stehen Schweizer KMU (2017), S. 11
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Customer Experience Monitor 2018, S. 23
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Die Qualität der Kundendaten ist einer drei wichtigsten Erfolgsfaktoren zur Verbesserung der Kundenorientierung. Vgl. http://whataboutthecustomer.com/wp-content/uploads/2018/05/Auswirkung_Kundenorientierung_auf_Profitabilitaet.pdf
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Beispielhaft: https://locationinsider.de/breuninger-baut-digitale-services-aus/
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https://www.absatzwirtschaft.de/exzellente-datenqualitaet-im-crm-system-11298/
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https://www.bsi-software.com/fileadmin/daten/Medien/Studien/Identifikationsstudie/Kunden-Identifikations-Studie_2015.pdf
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http://www.ce-pos.com
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https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/gamification-53874/version-276936
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http://whataboutthecustomer.com/wp-content/uploads/2018/09/WATC_Opinion_Paper_Customer_Experience.pdf
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http://whataboutthecustomer.com/wp-content/uploads/2018/10/WATC_Wie_Autohaendler_die_Beduerfnisse_ihrer_Kunden_missachten.pdf
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Vgl. Staudacher, J. (2018) Kundendaten als Einflussfaktor auf Reorganisationen in Marketing und Vertrieb in Swiss Marketing Review (3), S. 18-20
Dieser Artikel erschien in der Swiss Marketing Review 6/2018 .