Swiss eHealth Forum 2019

Reality Check für Apps und KI in der Medizin

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Am zweiten Tag hat sich das E-Health Forum 2019 um zwei Hype-Themen der digitalen Medizin gedreht. Künstliche Intelligenz und E-Health-Apps mussten zeigen, was sie drauf haben. Es gab Lob und Kritik.

Emanuela Keller vom USZ zeigte die KI-Projekte auf der Intensivstation der Neurochirurgie. (Source: Netzmedien)
Emanuela Keller vom USZ zeigte die KI-Projekte auf der Intensivstation der Neurochirurgie. (Source: Netzmedien)

Der erste Tag des E-Health Forums 2019 hat sich dem Thema EPD gewidmet. Am zweiten Tag der Veranstaltung stand dann die Technik im Zentrum. Es ging um die Frage, ob künstliche Intelligenz (KI) und Apps für das Gesundheitswesen bereits einen konkreten Nutzen erbringen, oder ob es bloss Buzzwords sind.

 

KI-Duell

Die Antwort lag irgendwo dazwischen, wie die Referenten in der Bernexpo zeigten. Ein Novum für das Forum war ein KI-Duell, dass Michael Dahlweid, CTO der Inselgruppe Bern, und Christian Lovis, Head Medical Information Sciences am Universitätsspital Genf, austrugen. Lovis und Dahlweid bekamen auf der Bühne jeweils eine Ausgabe zum Thema KI angezeigt und hatten zweieinhalb Minuten Zeit, dazu Stellung zu nehmen.

 

 

 

Dahlweid nahm zu Beginn des Duells stärker für die Pro-KI-Fraktion Partei. Er vertrat den Standpunkt, dass KI schon in absehbarer Zukunft zu einem alltäglichen Werkzeug der Medizin werde. Ärzte würden durch dieses Werkzeug zwar nicht überflüssig, aber es werde eine Zeit kommen, in der die Öffentlichkeit den Einsatz von KI in der Medizin erwarte. Wer sie nicht verwende könne als "unethisch" wahrgenommen werden.

Mehr zum Thema E-Health finden Sie in unserem aktuellen Special "IT for Health".

 

Michael Dahlweid und Christian Lovis (v.l.) sprachen unter Zeitdruck über Pro und Contra von KI. (Source: Netzmedien)

 

Christian Lovis machte sich dagegen zum Anwalt der KI-Kritiker. Er betonte, dass die Technik zwar Forschritte mache, aber noch weit vom zuverlässigen Einsatz entfernt sei. Auf einen speziellen Fall trainierte Algorithmen könnten heute zwar bereits eindrucksvolle Resultate vorweisen, wenn man aber nur einige wenige Schrauben verstelle oder die Technik verwirre, gerate sie schnell aus dem Konzept und produziere Unsinn. Was es unbedingt brauche seien mehr Tests, Studien und Nüchternheit, sagte Lovis. Dem pflichtete auch Michael Dahlweid zu, wodurch sich die Positionen der beiden Kontrahenten gegen Ende des Duells annäherten.

Die erste Hälfte der Infosocietydays war dem Thema E-Gov gewidmet. In den Artikeln zum ersten und zum zweiten Tag, erfahren Sie mehr darüber.

 

Daten und Technik beherrschen

Wie KI heute bereits im Spitalalltag genutzt werden kann, demonstrierte im Anschluss Emanuela Keller, Abteilungsleiterin der Intensivmedizin Neurochirurgie am Universitätsspital Zürich (USZ). Polymorbidität, eine Vielzahl von Monitoring-Systemen und gewaltige Datenmengen stellten ihre Intensivstation heute vor grosse Herausforderungen, sagte Keller. Die verschiedenen Sensoren am Krankenbett verfügten über keinen übergreifenden Standard. Zusammen erzeugten sie pro Patient bis zu 700 Fehlalarme am Tag.

Hier könne ein System Abhilfe schaffen, welches das USZ zusammen mit Partnern entwickelt habe, so Keller. Dabei handle es sich um eine Bilderkennungs-KI, die eine Pflegeperson identifizieren könne, wenn sie sich aktiv um einen Patienten kümmere – eine häufige Quelle von Fehlalarmen. KI soll auch helfen, um aus den im Spital erhobenen Daten neue Erkenntnisse zu gewinnen. Ein System könne frühzeitig erkennen, wenn ein Patient aus einem stabilen in einen instabilen Zustand abdriftet. Ein anderes sage auf Grundlage von Bewegungsmustern die Wahrscheinlichkeit von epileptischen Krampfanfällen voraus.

 

Michael Lehmann gab Auskunft zum Stand von E-Health-Apps. (Source: Netzmedien)

 

Um KI im Spital auf breiter Front durchzusetzen, müssten die verwendeten Algorithmen nun validiert werden. Auch eine Vernetzung mit anderen Intensivstationen sei nötig, sagte Keller. Wo das USZ auf diesem Weg steht, zeigte Roland Naef, Bereichsleiter Medizinische Applikationen & Services des Spitals. Entscheidungsunterstützung mittels KI sei am USZ bereits seit 10 Jahren im Einsatz, etwa in der Radiologie. Das Ziel sei, dass ein KI-System eines Tages die multifaktorielle Mustererkennung aus verschiedenen Datenquellen schaffe. Da stehe die Medizininformatik noch ganz am Anfang und vor technischen, finanziellen und organisatorischen Hürden.

 

E-Health-Apps auf dem Prüfstand

Das zweite Schwerpunktthema des Tages waren medizinische Apps. Zunächst gab Michael Lehmann vom Institut für Medizininformatik der Berner Fachhochschule einen Überblick über die Potenziale und Probleme der mobilen Medizin. Smartphones würden heute bereits eine ganze Armada von Sensoren mitbringen, die sich für Diagnose und Behandlung nutzen liessen. Auf der anderen Seite sei die Affinität für solche Lösungen bei Ärzten und Patienten sehr unterschiedlich ausgeprägt, etwa wegen Datenschutz-Bedenken.

 

Eine Expertenjury beurteilte die vorgestellen Apps. (Source: Netzmedien)

 

Fünf Hersteller von Medical Apps bekamen am E-Health Forum die Gelegenheit, ihre Lösungen vorzustellen. Im Anschluss gaben die Juroren Emanuela Keller, Martin Fröhlich und Daniel Tapernoux jeweils ein kurzes Urteil dazu ab. Auf dem Prüfstand waren:

  • Ally Science, eine App zur Unterstützung einer Studie über Pollen-Allergien

  • Nodus Medical, ein digitaler Assistent für chirurgische Teams

  • PalliaCare, ein Service zur Vernetzung der Beteiligten in der Betreuung von Palliativpatienten

  • Benecura, die App der Krankenkasse Swica

  • Phellow, eine Plattform für das persönliche Gesundheits-Management

Die Experten stellten den präsentierten Produkten gute bis sehr gute Zeugnisse aus. Es gab aber auch kritische Hinweise. Ein Problem könne etwa darin bestehen, dass Apps oftmals ein One-size-fits-all-Ansatz zugrunde liege, Patienten und Ärzte aber Lösungen erwarteten, die auf ihre persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten seien. Ausserdem müssten die Entwickler den Themen Datenschutz, Schnittstellen und Usability besondere Aufmerksamkeit schenken. Dann seien die Voraussetzungen gut, dass Medical Apps das versprochene Potenzial auch ausschöpfen können.

 

Stabübergabe: Der bisherige Veranstalter Jürg Lehni übergab die Infosocietydays in die Hände von Pamela Balmer, die den Event in der gleichen Form weiterführen will. (Source: Netzmedien)

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