So stehen die Schweizer Parteien zur Digitalisierung
Dieses Wochenende werden die Karten neu gemischt: Die Schweiz wählt ihr Parlament für die kommenden vier Jahre. Grund genug, die Digitalstrategien der Parteien unter die Lupe zu nehmen. Was sagen sie zu 5G, E-ID und Bitcoin? Wie wollen sie die IT-Welt in den kommenden vier Jahren gestalten? Und wo liegen die Unterschiede zwischen Jung und Alt?
Dieses Wochenende ist es wieder so weit. Die Schweiz wählt zum 51. Mal ihr Parlament. Alle 200 Abgeordneten des Nationalrates sowie 45 der 46 Mitglieder des Ständerats treten zur Wahl an. Es sind nicht nur Dauerbrenner-Themen wie Umwelt, Sozialsysteme, Migration und Krankenkassenprämien, die den Urnengang 2019 prägen. Auch digitale Themen sind in diesem Jahr prominent auf der politischen Bühne vertreten. Gestritten wird etwa über digitales Abstimmen, den neuen Mobilfunkstandard 5G, das elektronische Patientendossier (EPD), die digitale Identität (E-ID) oder den Verlust von Arbeitsplätzen durch die Automatisierung.
Die Digitalisierung wird die Schweiz in den nächsten Jahren prägen. Haben die Politiker einen Plan dafür? Wie sehen die Strategien der Schweizer Parteien rund um EPD, E-ID & Co. für die Legislaturperiode ab 2020 aus? Die Redaktion forderte alle Parteien mit einem Sitzanteil von mehr als 1 Prozent im Nationalrat und landesweiten Aktivitäten per Onlineumfrage auf, zu insgesamt zehn Digitalthemen (E-Voting, Kryptowährungen, Überwachung, Cyberabwehr, 5G, Datenschutz, EPD, Start-up-Förderung, Jobverlust und E-ID) Stellung zu nehmen. Ausserdem baten wir die Politiker, ihre Digitalstrategie für die Schweiz in einem Satz zusammenzufassen. Zum Vergleich nahmen auch die meisten der jeweiligen Jungparteien sowie die auf digitale Themen spezialisierte Piratenpartei an der Umfrage teil.
Welche Themen in der Digitalstrategie eine Rolle spielen
Der ICT-Verband Swico monierte während des Wahlkampfs, dass das Thema Digitalisierung bei vielen Kandidaten für die eidgenössischen Wahlen eine untergeordnete Rolle spiele. Dies, da nur gut 20 Prozent von ihnen an einer Umfrage des "Digitalisierungsmonitors" auf der Website "Smartvote.ch" teilnahmen. Bei den Parteien sieht es anders aus, wie die Befragung der "Netzwoche" zeigt (Grafik 1).
Dass eines der zehn Themen für sie "überhaupt nicht wichtig" sei, gaben nur zwei Mutterparteien an. Die SVP will vom Thema E-Voting nichts mehr wissen. "E-Voting darf in der jetzigen Form nicht eingeführt werden", schreibt SVP-Nationalrat Franz Grüter dazu. "Das bisherige Vorgehen in der Schweiz war stümperhaft und geprägt von Pannen und Schwachstellen, die das Vertrauen in die korrekte Auszählung bei Wahlen und Abstimmungen nachweislich gefährden."
Die EVP stuft ihrerseits Kryptowährungen als gänzlich unwichtig ein. Die Partei halte wenig von Bitcoin und Konsorten, da Überprüf- und Steuerbarkeit nicht gewährleistet seien. Die auf der Blockchain basierenden Zahlungsmittel sind auch über die anderen Parteien betrachtet das Thema mit der geringsten Wichtigkeit. Die grösste Relevanz messen die Teilnehmer der Umfrage dagegen den Themen Cyberabwehr und Datenschutz bei. Alle Parteien wollen mehr für die Cybersicherheit tun. Allerdings gehen die Meinungen darüber auseinander, wer den Auftrag und die Ressourcen dazu erhalten soll. SP, GPS und Piraten wollen hier Zivilbehörden, Bildungswesen und Wirtschaft stärker in die Pflicht nehmen. Die anderen Parteien setzen auf die Cyberabwehr von Armee und dem Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport.
Die Relevanz ist eine Sache – hier sind sich die Parteien im Grossen und Ganzen einig, dass alles Digitale irgendwie wichtig ist. So werden die Themen Überwachung, 5G, EPD und E-ID im Schnitt als "sehr wichtig", die Schlusslichter Kryptowährungen und E-Voting immer noch als "relativ wichtig" taxiert. Vergleichsweise schwach ist das Interesse an der Digitalpolitik bei der SVP. Am stärksten ist es – wenig überraschend – bei den Piraten.
Stärkere Unterschiede zwischen den Politikern provoziert die Frage, ob die Schweiz bei den zehn Themen auf gutem Weg ist (Grafik 2).
So ist etwa die GLP der Ansicht, dass die eingeschlagene Richtung in Sachen 5G "sehr gut" sei. Die thematisch zwar verwandte, im politischen Spektrum aber woanders angesiedelte GPS antwortete dagegen mit "sehr schlecht". Laut GLP-Generalsekretär Michael Köpfli ist 5G für die weitere Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft wichtig. Balthasar Glättli, Fraktionschef der Grünen im Parlament, will dagegen stärker auf Glasfaser statt 5G setzen. Die GPS wolle die Entwicklung neuer Technologien nicht aufhalten. Bevor man über weitere Schritte entschieden könne, müssten aber die Abklärungen der Arbeitsgruppe "Mobilfunk und Strahlung" des Bundesamts für Umwelt abgewartet werden.
Auch bei der E-ID und den Kryptowährungen scheiden sich die Geister. FDP und CVP sind mit dem Kurs der Schweiz beim Thema Bitcoin & Co. ganz einverstanden. Die EVP hält vom heutigen Vorgehen dagegen nichts. Die Regulierung der E-ID (Ende September beschloss das Parlament ein Bundesgesetz dazu) stösst nur bei der FDP auf volle Zustimmung. Die Grünen und die Piratenpartei dagegen sind mit der heutigen Lösung, bei der Private die E-ID im Auftrag des Staats herausgeben, gar nicht zufrieden. "Für die Piraten ist die Herausgabe einer digitalen Identität eine Staatsaufgabe, die nicht an private, wirtschaftlich orientierte Unternehmen abdelegiert werden kann", sagt Pascal Fouquet, Vizepräsident der Piratenpartei Bern. Die Einführung einer E-ID sei im Zeitalter der Digitalisierung richtig und wichtig, so Glättli von der GPS. "Sie muss aber datenschutzkonform sein, Rechtssicherheit und Glaubwürdigkeit gewährleisten und in erster Linie den Bürgern und Bürgerinnen dienen – und nicht privaten Unternehmen." Deshalb müsse der Bund die E-ID anbieten.
Über alle Themengebiete betrachtet, sehen die Parteien die eingeschlagene Richtung beim E-Voting am kritischsten. Auch bei der Überwachung, dem Thema Jobverlust durch Digitalisierung, der Cyberabwehr und dem EPD wollen viele Parteien einen Kurswechsel. Die grösste Zustimmung erhält der 5G-Aufbau.
Lesen Sie zur Schweizer Digitalpolitik auch das Interview mit Politexperte Lukas Golder.
Junge interessieren sich für andere Themen und sind kritischer
Während die etablierten Parteien in Bundesrat und Parlament auch im Jahr 2019 noch von Personen geprägt und vertreten werden, die sich an Zeiten ohne Smartphone, Software-as-a-Service oder Bitcoin erinnern, sind die Digital Natives in den Jungparteien zuhause. Wer in der digitalen Welt aufgewachsen ist, müsste die Stichworte der Umfrage also relevanter finden als die ältere Generation – würde man meinen. Das Gegenteil ist der Fall.
Über alle politischen Gruppierungen und Themen betrachtet, stufen die Altparteien die Relevanz der Digitalisierung leicht höher ein als ihre Jugendorganisationen. Das hat auch mit den stärkeren Unterschieden zwischen den Jungparteien zu tun. Die Jungsozialisten etwa stufen gleich drei Themen – Cyberabwehr, 5G und Start-up-Förderung – als für sie "überhaupt nicht wichtig" ein. Das macht keine andere Partei so, egal ob jung oder alt. Dabei ist die Juso gegenüber der Digitalisierung betont kritisch eingestellt. E-Voting will sie bekämpfen. Kryptowährungen hält sie in erster Linie für "Energieverschwendung". Konzerne, die durch die Automatisierung von Arbeitsplätzen ihre Rendite steigern können, müssten für ihre Angestellten die Aus- und Weiterbildung finanzieren. Und wer dank der Digitalisierung einen Mehrwert erziele, solle diesen in einen Fonds einzahlen, über den die Mitarbeitenden demokratisch entscheiden. Am wenigsten relevant ist für die Jungparteien das Thema 5G, die grösste Wichtigkeit messen sie dem Jobverlust bei. Hier zeigen sich also Unterschiede zu den älteren Politikern.
Bei der Frage "Wie beurteilen Sie die von der Schweiz eingeschlagene Richtung?" gleichen sich die Antworten von Jung- und Altparteien nur auf den ersten Blick. Einverstanden sind die Jungen mit dem 5G-Kurs, am meisten Kritik hagelt es beim E-Voting. Allerdings sind die Zustimmungsraten durchs Band etwas niedriger. Will heissen: Die Jungen stehen der heutigen Digitalpolitik allgemein kritischer gegenüber. Interessant sind die Antworten der jungen SVP. Die Partei will zum Schweizer Kurs bei den Themen Cyberabwehr, 5G, EPD und Start-up-Förderung keine Stellung beziehen. Anders als bei ihrer Mutterpartei ist das Thema E-Voting für die JSVP äusserst wichtig, ebenso wie das Problem des Jobverlusts durch Robotik und Automatisierung. Franz Grüter von der SVP ist der Ansicht, die Digitalisierung werde am Ende mehr Jobs schaffen als vernichten. Der Staat habe hier also nicht aktiv einzugreifen. Auf der anderen Seite schreibt Diego Baratti, Kommunikationschef der jungen SVP: "Unternehmen müssen ermutigt werden, vielleicht durch Steuererleichterungen, nicht Mitarbeiter zu entlassen, sondern sie mit neuen Aufgaben innerhalb des Unternehmens zu verlagern." Ausserdem müssten Angestellte zur Weiterbildung motiviert werden. Dies gelte insbesondere für die über 50-Jährigen, denn ihnen falle es bei Arbeitslosigkeit schwerer, eine neue Anstellung zu finden.
Digitalisierung ist Staatsaufgabe
Neben Einschätzungen zur Wichtigkeit und zum aktuellen Kurs gaben die Parteien auch Auskunft darüber, ob sie die politische Gestaltung eines Themenbereichs dem Staat oder der Privatwirtschaft überlassen wollen (Grafiken 3 und 4).
Einig sind sich alle Umfrageteilnehmer, dass E-Voting, Überwachung des Internets und Cyberabwehr primär Aufgaben des Staats sein müssen. Kryptowährungen und die Förderung von Start-ups sollen dagegen stärker in der Verantwortung der Unternehmen liegen. Nur zwei Parteien wollen je ein Thema vollständig in die Hände von Privaten legen. Die FDP hält dies beim 5G-Mobilfunk für opportun. Es liege nun an den Mobilfunkbetreibern, das Netz zügig auszubauen, damit die Schweiz in dieser Technologie führend werde, so Kommunikationschef Martin Stucki. Die EVP sieht Start-up-Förderung als Wirtschaftsaufgabe. Wenig überraschend: Die Freisinnigen sind es, die am stärksten für eine liberale Digitalpolitik votieren. Grüne, Piraten und BDP sind auf der anderen Seite für mehr staatliches Engagement.
Digitalisierung dürfte die Politik weiter auf Trab halten
Wie der Urnengang am 20. Oktober auch ausgehen wird: Die Politiker sind in den kommenden vier Jahren gefordert, gesetzliche Rahmenbedingungen zu setzen, Entscheidungen zu treffen und Kompromisse auszuhandeln. Dabei sind die Linien zwischen den politischen Gruppierungen weniger deutlich gezogen als bei anderen Themen. Die Umfrage der "Netzwoche" zeigt gemeinsame Haltungen von links bis rechts, Unterschiede zwischen Jung- und Altparteien aus dem selben Lager und seltsame Allianzen. Hinzu kommt, dass die Dynamik der IT-Welt ständig neue Problemlagen schafft und die Spielregeln ändert. Ob sie es wollen oder nicht, die Digitalisierung dürfte die Politiker auch in den kommenden 4 Jahren auf Trab halten.