Was die Umstrukturierung der Migros für die IT-Abteilung bedeutet
Die Migros muss sparen. Die Detailhändlerin trennt sich von vielen Geschäften und Mitarbeitenden. Auch in der IT-Abteilung fallen Stellen weg, wie Migros-Group-CIO Martin Wechsler im Interview sagt. Er spricht auch über laufende Projekte, neue KI-Anwendungen und Cybergefahren von morgen.

Sie verantworten die IT eines der grössten Unternehmen der Schweiz. Wie gross ist die IT-Abteilung der Migros und wie ist sie organisiert?
Martin Wechsler: Der Grossteil der IT ist im Migros-Genossenschafts-Bund, kurz MGB, angesiedelt. Insgesamt haben wir rund 1100 Mitarbeitende in der IT. Davon arbeiten etwa 800 direkt bei mir in der Group IT. Zählt man die Tochterunternehmen wie etwa Digitec Galaxus dazu, sind es rund 2000 IT-Mitarbeitende. Unsere Organisation ist dual aufgebaut. Einerseits gibt es eine Ablauforganisation, die vollständig agil ist. Diese umfasst zwölf agile Release-Trains und über 100 interdisziplinäre Teams, die in kurzen Zyklen an Lösungen arbeiten. Andererseits gibt es die klassische Linienorganisation, bei der wir die Mitarbeitenden in Abteilungen strukturieren. Die Linienorganisation ist allerdings eine sekundäre Perspektive, während die agile Struktur für uns im Fokus steht.
Die Migros sorgte in den letzten Jahren mit mehreren Verkäufen und Stellenstreichungen für Schlagzeilen. Was bedeutet diese Umstrukturierung für Ihren Bereich? Und wie viele IT-Stellen fallen weg?
Diese Veränderungen bedeuten für uns zunächst einmal sehr viel zusätzliche Arbeit. Bei Firmenverkäufen müssen wir beispielsweise Systeme herauslösen, Daten migrieren, Altsysteme zurückbauen oder stilllegen. Gleichzeitig werden wir nach den Verkäufen weniger Leistungen erbringen und müssen damit auch Stellen abbauen. Bereits im Februar 2024 kündigte die Migros an, 1500 Stellen zu streichen. Davon betreffen etwa 90 die IT. Einen Teil davon bauten wir bereits ab. Da aber noch nicht alle Verkäufe umgesetzt oder kommuniziert wurden, dauert dieser Prozess noch.
Beziehen Sie im Zuge dieser Ausrichtung auf das Kerngeschäft mehr IT-Leistungen extern?
Das verändert sich nicht massgeblich. Wir arbeiten schon heute eng mit externen Partnern zusammen und betreiben Teile der IT in der Cloud. Ohne externe Dienstleister könnten wir unsere Aufgaben gar nicht stemmen. Sehr grob geschätzt, liegt das Verhältnis zwischen interner und externer IT bei 50 zu 50, wobei diese Zahl natürlich auch davon abhängt, wie genau wir etwa Cloud-Services quantifizieren.
Welche IT-Grossprojekte hielten Sie 2024 sonst noch auf Trab?
Insgesamt laufen etwa 150 Projekte bei mir. Eines der grössten heisst "Eiger" und umfasst die Modernisierung der Supermarkt-Kernprozesse. Dabei setzen wir auf SAP S/4 Hana. Ziel ist es, die Prozesse nicht nur zu migrieren, sondern auch zu konsolidieren und zu vereinheitlichen. Ein weiteres SAP-S/4-Hana-Projekt nennt sich "One" und betrifft die Industrieprozesse der Migros. Dazu gehören unsere Eigenproduktionen wie Fleischverarbeitung, Fresh Food und Beverage oder andere Produktionsbereiche. Drittens haben wir ein gruppenweites HR-Programm gestartet, um eine neue HR-Lösung einzuführen, die für alle unsere Mitarbeitenden eine einheitliche Basis schaffen soll. Viertens gibt es das Programm "Arven", das sich mit der Neustrukturierung der internen Kostenverteilung innerhalb der Migros-Gruppe beschäftigt.
Gab es Momente, die für schlaflose Nächte gesorgt haben?
Die Firmenverkäufe waren sicherlich eine grosse Herausforderung. Anfang 2024 hatten wir gerade unsere Ziele für die gesamte Einheit definiert, als im Februar die Verkaufsankündigungen kamen. Dank unseres flexiblen Operating-Modells konnten wir jedoch schnell reagieren. Wir haben es geschafft, trotz der unerwarteten Entwicklungen unsere Teams gut einzubinden und den zusätzlichen Arbeitsaufwand zu bewältigen.
Aktuell ist künstliche Intelligenz, vor allem generative KI, in aller Munde. Wann und wie setzt die Migros KI ein?
Bei uns läuft schon eine Vielzahl von KI-Anwendungen. Mitte 2023 führten wir beispielsweise den "Migros AI-Chat" ein. Er ermöglicht es Mitarbeitenden, sicher mit Large Language Models zu experimentieren, ohne dabei externe Systeme nutzen zu müssen. Der Chat wird bereits von über 7000 Mitarbeitenden aktiv genutzt. Ein weiteres Beispiel ist "Digi", eine digitale Verkaufsassistenz auf der Website von Do It. Sie hilft Kundinnen und Kunden bei der Produktsuche und bietet personalisierte Empfehlungen. Auch in "Migipedia", unserer Plattform für Produktbewertungen, haben wir eine KI-Lösung eingeführt, die Kundenbewertungen automatisch zusammenfasst. Darüber hinaus arbeiten wir mit KI an personalisierten Rabatten, der automatischen Promotionsplanung und der Optimierung von Sortimenten für einzelne Filialen.
KI einzusetzen ist eines. Aber rechnet sich der Einsatz für Sie schon?
In klassischen Advanced-Analytics-Fällen, bei denen wir mit Data Scientists zusammenarbeiten, sehen wir bereits klare Vorteile. Bei neueren Technologien wie Large Language Models sind wir noch in einer Lern- und Experimentierphase. Es ist wichtig, dass wir diese Phase nutzen, um zu verstehen, welche Anwendungen tatsächlich einen Mehrwert bringen. Es kam aber auch schon vor, dass wir Projekte gestoppt haben, weil sie sich nicht rechneten.
An welchen künftigen KI-Anwendungen forscht die Migros?
Wir sehen uns eher als "Fast Follower" oder Co-Gestalter denn als Forschende. Unser Ziel ist es, bestehende Technologien sinnvoll zu nutzen und für unsere Mitarbeitenden und Kunden einzusetzen. Forschung zu betreiben oder etwa eigene Large Language Models zu trainieren, gehört nicht zu unserer Strategie. Stattdessen setzen wir auf verfügbare Lösungen, die wir in unsere Prozesse integrieren.
Gibt es bei der Migros ethische Leitlinien für den Einsatz von KI?
Ja, und nicht nur für KI. Alle Digitalprojekte werden in unserem Digital Governance Framework geprüft. Dieses Framework stellt sicher, dass Daten ethisch korrekt genutzt werden und unsere Werte berücksichtigen. Wir prüfen also genau, wozu die Daten genutzt werden. Diese Prüfung entlastet die Projektverantwortlichen und schafft Sicherheit. Transparenz ist ein weiterer zentraler Punkt. Wir legen beispielsweise grossen Wert darauf, dass Kundinnen und Kunden erkennen können, wenn ein Service von KI unterstützt wird. Sie werden bei uns nie mit einem Bot zu tun haben, der sich als Mensch ausgibt.
Migros investiert in quantensichere Verschlüsselung. Warum?
Wir haben in den letzten Jahren sehr stark in Cybersicherheit investiert – investieren müssen – und einen kompetenten Security- und Risikobereich aufgebaut. Das Thema ist für uns essenziell, da wir eine zentrale Rolle in der Versorgung der Schweiz spielen. Sollten wir uns einmal nicht mehr einloggen und nicht mehr arbeiten können, haben wir ein grosses Problem. Entsprechend wollen wir sicherstellen, dass unsere Systeme und Daten auch in Zukunft geschützt sind. Quantencomputer könnten künftig Passwörter schnell knacken. Deshalb bereiten wir uns darauf vor, sichere Authentifizierungsmethoden einzuführen, bevor dies ein Problem wird.
Sehen Sie in Quantencomputern auch einen operativen Nutzen für die Migros?
Die Migros hat selbst keine Quantencomputer. Und aktuell sehe ich für uns nur ein begrenztes Potenzial in der Technologie. Ein möglicher künftiger Use Case könnte sein, in der Logistik die optimale Verteilung unserer Produkte zu planen, von den Produktionsstätten bis in die Filialen. Eine zweite Anwendungsmöglichkeit wären komplexe KI-Anwendungen. Doch bis es so weit ist, werden noch mehrere Jahre vergehen.
Wir sprachen gerade über den Datenschutz von morgen. Wie schützen Sie die Kundendaten heute?
Der Schutz von Kundendaten ist für uns ein sehr wichtiges Thema. Wir setzen auf mehrstufige Schutzmechanismen, sowohl physisch als auch technisch. Dazu gehören klare Berechtigungsverfahren und regelmässige Überprüfungen, ob die richtigen Personen Zugriff auf die entsprechenden Systeme haben. Zudem haben wir ein eigenes Pen-Test-Team, das auch externe Testaufträge vergibt.
Wie sensibilisieren Sie Ihre Mitarbeitenden für Cybergefahren?
Wir haben ein Security-Culture-Team, das obligatorische Schulungen und Tests organisiert. Dabei geht es unter anderem darum, Mitarbeitende auf Phishing-Angriffe und andere Bedrohungen aufmerksam zu machen. Der menschliche Faktor ist nach wie vor das grösste Risiko.
Abgesehen von KI oder Quantencomputern gibt es noch eine Reihe weiterer trendiger Technologien, von VR über Roboter, 5G bis hin zu Krypto. Welche finden Sie besonders spannend?
Robotik finde ich, neben dem Überfliegerthema GenAI, besonders interessant, gerade auch im Kontext der Migros. VR finde ich zwar schön, haut mich persönlich aber nicht aus den Socken. 5G sehe ich als eine natürliche Weiterentwicklung, die einfach kommen wird. Und mit Kryptotechnologie kann ich offen gesagt nichts anfangen und sehe aktuell keinen Mehrwert für unser Geschäft.
Wie ich beim "Quantum-Safety-Projekt" lese, teilt die Migros Quellcode und gesammelte Erfahrungen mit anderen Interessierten. Wie hält es die Migros allgemein mit Open Source oder Closed Source?
Wir haben eine Architekturrichtlinie zur Nutzung und zum Teilen von Open Source. Im Fall von "Quantum Safety" war es für uns selbstverständlich, unsere Erkenntnisse zu teilen, um die Sicherheit insgesamt zu erhöhen. Überhaupt ist die Zusammenarbeit im Security-Bereich sowohl national wie auch international – auch mit Konkurrenten – hervorragend. Insgesamt haben wir über 3000 IT-Anwendungen. Ein grosser Teil davon sind Closed-Source-SAP-Systeme. Diverse Bereiche setzen aber quelloffene Software ein. Das aktive Teilen von Code ist eher die Ausnahme.
Welche (IT-)Pläne haben Sie für 2025?
Neben den Firmenverkäufen und den laufenden Grossprojekten werden wir die neue Supermarktstrategie IT-seitig begleiten. Ein übergreifendes Ziel bleibt es, unsere Mitarbeitenden immer wieder dabei zu unterstützen, die neuen Technologien und Disziplinen kennen und einsetzen zu lernen, von Security über DevOps und agilem Arbeiten bis hin zu KI und GenAI. Das lebenslange Lernen ist eine andauernde Challenge und braucht immer wieder neue Motivation. Abgesehen davon freuen wir uns auf das 100-Jahre-Jubiläum der Migros. Das ist ein besonderer Moment, den wir trotz aller Herausforderungen feiern möchten.
Sie persönlich können 2025 zudem Ihr 5-Jahre-Jubiläum bei der Migros feiern. Blicken wir darum noch einmal weitere fünf Jahre voraus: Wie stellen Sie sich die Migros und ihre IT im Jahr 2030 vor?
Ich stelle mir vor, dass unsere Kundinnen und Kunden in all unseren Unternehmen alle digitalen Services einfach nutzen können, wenn sie dies möchten. Einkaufen und Bezahlen werden noch einfacher geworden sein, und unsere Logistik wird stark konsolidiert und noch stärker automatisiert sein. Auch unsere IT-Infrastruktur wird stärker automatisiert und konsolidiert sein. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass unsere IT-Mitarbeitenden weiterhin hochkompetent sind und mit modernsten Methoden arbeiten.
Zur Person
Martin Wechsler hat an der ETH Informatik studiert und im Bereich Informationssysteme promoviert. Nach seinem Studium arbeitete er vier Jahre als IT-Consultant und Projektleiter bei McKinsey. Seit 2020 ist er Group CIO der Migros im Migros-Genossenschafts-Bund und verantwortlich für die IT im Retail-Geschäft, im Industriegeschäft, für Finance-/HR- und Logistik-Lösungen und für die nationale IT-Infrastruktur. Er berichtet an den Verantwortlichen für Technologie und Logistik in der Geschäftsleitung.

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