Interview mit Andreas Rüst

"5G ist eine zentrale Komponente im IoT – allerdings nicht die einzige"

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Lückenlose Lieferketten, vernetzte Produktionslinien und Prozessoptimierung nahezu in Echzeit: Das Internet der Dinge hebt die Logistik auf ein neues Level. Wo die Schweiz im Wettlauf steht und warum Sicherheitsmassnahmen auf Widerstand stossen, erklärt Andreas Rüst, Dozent für angewandte Computertechnik an der ZHAW.

Andreas Rüst, Dozent für angewandte Computertechnik an der ZHAW. (Source: zVg)
Andreas Rüst, Dozent für angewandte Computertechnik an der ZHAW. (Source: zVg)

Woran forschen Sie derzeit an der School of Engineering?

Andreas Rüst: Bei meinen Forschungsarbeiten geht es immer darum, Embedded Systems respektive Microcontroller-basierte Systeme mit sehr tiefem Energieverbrauch drahtlos zu vernetzen. Unsere Systeme interagieren über Sensoren und Aktoren mit der Umwelt. Sie werden entweder aus Batterien mit jahrelanger Laufzeit gespeist oder sind völlig autark, indem sie sogenanntes Energy Harvesting nutzen, um aus unterschiedlichen Quellen wie Temperaturunterschieden, Krafteinwirkungen, Vibrationen oder Licht ihre Energie zu beziehen. Zudem arbeiten wir seit Jahren intensiv daran, die Security von vernetzten Low-Power-Systemen zu erhöhen. Hier geht es darum, wie wir bewährte Verfahren aus der IT-Security mit den sehr eingeschränkten Ressourcen unserer Systeme umsetzen können. Von den Anwendungen her liegt das Schwergewicht meiner Forschungen auf Infrastrukturanlagen, beispielsweise Trinkwasserversorgung und Siedlungsentwässerung sowie in der Gebäudeautomation.

Was verstehen Sie unter dem Internet der Dinge?

Beim Internet der Dinge geht es um die Vernetzung von physischen Gegenständen, die über Sensoren und Aktoren mit ihrer Umwelt interagieren. Diese in die Umwelt eingebetteten Systeme müssen kostengünstig, energiearm und minia­turisiert sein. Zentrale Eigenschaften sind eine eindeutige Identifizierung der einzelnen Objekte und die Möglichkeit eines globalen Zugriffs auf die Services, welche die Objekte zur Verfügung stellen. Wichtig ist, dass die Objekte nicht nur eine einfache Messung eines Parameters vornehmen, sondern über ein gewisses Mass an Smartness verfügen. Typischerweise sind sie selbstkonfigurierend, selbstorganisierend und stellen sich adaptiv auf die Umgebung ein. Dazu kommunizieren die einzelnen Dinge auch untereinander, um definierte Aufgabe wahrzunehmen.

Was fasziniert Sie an dem Thema besonders?

Microcontroller und die zugehörige Vernetzung faszinieren mich seit mehr als 30 Jahren. Ich finde es ausgesprochen spannend, miniaturisierte Systeme mit einem Minimum an Rechenleistung, Speicherbedarf und Energie zu realisieren. Durch die enorme Entwicklung in den vergangenen Jahren ist heute eine Anbindung ans Internet möglich, was ungeahnte Möglichkeiten eröffnet.

Wie kommt das IoT heute in der Logistik zum Einsatz?

Gerade in der Logistik ist es natürlich sehr spannend, zu wissen, wo und in welchem Zustand sich Objekte befinden. Zudem ist die lückenlose Überwachung von Lieferketten interessant, beispielsweise: Funktioniert die Kühlkette auf dem ganzen Weg zum Endkunden? Mit den verfügbaren Informationen werden dynamische und individualisierte Abläufe möglich.

Wo sehen Sie das grösste Potenzial für künftige Einsatzgebiete?

Die heute bestehende Vernetzung von Personen und IT-Systemen wird erweitert durch die Vernetzung mit Anlagen und Produktionslinien, aber auch mit alltäglichen Gegenständen und Werkstücken. Die höhere Anzahl von Sensoren erlaubt verteilte Messungen mit einer immer höheren räumlichen und zeitlichen Auflösung. Dadurch können wir bestehende Abläufe in Systemen nicht nur besser verstehen, sondern in nahezu Echtzeit auch auf Ereignisse und aussergewöhnliche Zustände reagieren. Dies erlaubt uns, beispielsweise Gebäude effizienter zu betreiben, besser auszulasten sowie sicherer und angenehmer für die einzelnen Nutzer zu gestalten.

Was sind die grossen Herausforderungen auf diesem Gebiet?

Unabhängig vom Anwendungsgebiet stellt für mich die interdisziplinäre Zusammenarbeit eine der grössten Herausforderungen dar. Erfolgreiche Anwendungen benötigen einerseits grosse Erfahrung im entsprechenden Anwendungsgebiet, etwa in der Siedlungsentwässerung oder in Logistik­abläufen. Andererseits muss diese Anwendungserfahrung zwingend mit Expertise über den Einsatz neuer Technologien und Methoden verknüpft werden. Hier stehen aus meiner Erfahrung vier Gebiete im Vordergrund. Erstens: das energiearme Vernetzen von unzähligen Dingen, zweitens: das effiziente und sichere Verarbeiten und Speichern der anfallenden riesigen Datenmengen, drittens: das Modellieren von Systemen, um Erkenntnisse zu gewinnen und viertens: diese Erkenntnisse auch in gewinnbringende Services und Geschäftsmodelle umzusetzen. Dazu arbeiten die unterschiedlichen Institute an der ZHAW im Rahmen unserer Plattformen gezielt interdisziplinär mit Industriepartnern zusammen. Eine besondere Herausforderung, die ich in meinen Projekten immer wieder sehe, stellt die unterschiedliche Vorstellung bei der erwarteten Lebensdauer dar. Während Elektronik und Software in der Regel nach wenigen Jahren ersetzt werden, erfolgen zum Beispiel Investitionen für im Boden vergrabene Trinkwasserleitungen auf 50 und mehr Jahre hinaus. Dieses Spannungsfeld gilt es zu überbrücken.

Wo steht die Schweiz im internationalen Forschungswettbewerb?

Ich sehe die Schweiz gut positioniert. Unsere Stärke liegt in der Interdisziplinarität. Wir sind breit aufgestellt und haben in unterschiedlichsten Anwendungsbereichen über Jahrzehnte ein immenses Systemwissen aufgebaut. Zudem verfügen wir auch in den neuen Technologien über das notwendige Wissen. Entscheidend ist jetzt aber, was wir aus diesen Voraussetzungen machen, wie wir erfolgreich neue Produkte entwickeln.

Was braucht es, um aus diesem Wissen praktische Lösungen
zu ­machen?

Dafür sehe ich zwei wichtige Punkte: Einerseits bildet unser duales Bildungssystem eine wichtige Grundlage, die wir auf keinen Fall schwächen dürfen, auch wenn dies durch die Internationalisierung zunehmend anspruchsvoller wird. Eine breite technische Ausbildung auf allen Stufen ist entscheidend. Andererseits ist es wichtig, dass wir auch im industriellen Umfeld längerfristig orientierte Entwicklungen fahren und nicht nur auf die nächsten Quartalszahlen schauen.

Sicherheit und Datenschutz gelten als die Achillesferse des IoT.
Wie beurteilen Sie die entsprechenden Risiken?

IoT kann nur erfolgreich umgesetzt werden und bestehen, wenn ein angebrachtes Mass an Security und Datenschutz erfüllt werden kann. Heute werden diesbezüglich viele mangelhafte Produkte auf den Markt gebracht. Die einfache Vernetzung und die schnellen Produktzyklen laden leider dazu ein, bei diesen Gebieten zu sparen.

Was ist zu tun, um solche Risiken zu minimieren?

Das Mittel sind systematische Risikoanalysen. Datenflüsse und mögliche Bedrohungen müssen im Systemkontext beurteilt werden und geeignete Schutzmassnahmen definiert werden. Auch im Bereich Embedded Systems gibt es heute bereits vielfältige Schutzmechanismen, deren Einsatz wir gerne zeigen. Sehr oft bestehen hier bei den Entwicklern grosse Wissensdefizite. Da Schutzmechanismen in vielen Fällen die Anwendung erschweren oder verteuern, werden sie weder von den Anwendern noch den Anbietern gerne gesehen. Meist wird man erst im Schadenfall klüger. Aus diesem Grund wird vor allem die EU auf Gesetzesebene aktiv. Wichtig sind auch offene und nachprüfbare Sicherheitsmassnahmen, an denen eine breite Anzahl von Personen mitarbeiten kann.

In der Telkobranche heisst es immer wieder: kein IoT ohne 5G. Wie sehen Sie das?

Selbstverständlich ist 5G eine zentrale Komponente im IoT – allerdings nicht die einzige. Gerade im Low-Power-Bereich spielen auch Standards in den nicht-lizenzierten Funkbändern eine entscheidende Rolle. Hier sind Standards wie Blue­tooth, die Thread Group in der Gebäudeautomation oder Lora-WAN zu nennen. In der Praxis wird sich eine Mischung von Technologien durchsetzen, genauso wie wir beispielsweise im Alltag auch verschiedene Verkehrsmittel nutzen.

Kryptographie-Experte Bruce Schneier äusserte kürzlich Kritik ­gegenüber den Sicherheitsstandards von 5G. Es sei zu spät, um 5G wirklich sicher zu machen, sagte er. Wie beurteilen Sie solche ­Sicherheitsbedenken?

Bruce Schneier ist ein sehr erfahrener Experte im Bereich der Security, der immer wieder wichtige Punkte in die Diskussion einbringt. Wichtiger als die Beurteilung, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist, erscheint mir, dass eine offene und transparente Diskussion über Bedrohungen, Risiken und die Umsetzung von Sicherheitsmassnahmen stattfindet. Dadurch, dass kryptographische Verfahren und ihre Umsetzung durch viele unterschiedliche Personen geprüft und verbessert werden, erhöht sich die Sicherheit. Die Sicherheitsdiskussion bei 5G und anderen Technologien wird natürlich dadurch erschwert, dass notwendigerweise hohe kommerzielle und weltpolitische Interessen, etwa bezüglich Huawei, im Spiel sind.

Auf welchen Durchbruch in der Forschung hoffen Sie besonders?

Auf eine funkbasierte, präzise und skalierbare Indoor-Lokalisierung mit einer Genauigkeit von einigen Zentimetern, welche nicht in jedem Raum einen grossen Infrastrukturaufwand erfordert. Zudem müssen wir in der semantischen Beschreibung und Interoperabilität von Objekten Fortschritte erzielen, damit selbstorganisierende Systeme entstehen können.

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DPF8_171733