KI zur Diagnosestellung steckt noch in den Kinderschuhen
KI-basierte Diagnosesysteme weisen in Spitälern keinen messbaren Vorteil gegenüber herkömmlichen Diagnoseprozessen auf. Dies hat ein Forschungsteam unter der Leitung des Inselspitals sowie der Universität Bern im Rahmen einer Studie festgestellt.
Fehldiagnosen zählen zu den häufigsten und kostspieligsten medizinischen Problemen. Insbesondere in Notaufnahmen ist die Diagnosestellung aufgrund des hohen Zeitdrucks und der Vielzahl an Patientinnen und Patienten eine Herausforderung, so das Berner Inselspital in einer Mitteilung. Aufgrund der Häufigkeit der Fehldiagnosen, würden zunehmend computergestützte, diagnostische Entscheidungshilfesysteme - auf Englisch "Computerized Diagnostic Decision Support Systems", abgekürzt als CDDSS - eingesetzt. Ziel solcher Systeme sei die Erhöhung der diagnostischen Genauigkeit sowie die Unterstützung von medizinischem Fachpersonal. Dass CDDSS das gewünschte Ziel nicht erreichen, hat ein Forschungsteam unter der Leitung der Universitätsklinik für Notfallmedizin des Inselspitals in Bern festgestellt.
Die Studienergebnisse zeigen laut Mitteilung nämlich ein überraschendes Ergebnis: Sowohl bei der Diagnosestellung ohne als auch mit KI-Unterstützung sei in 18 Prozent der Fälle ein diagnostisches Qualitätsrisiko aufgetreten. Weiter hätte sich auch bezüglich schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen und im Ressourcenverbrauch - gemessen in Schweizer Franken - keine Unterschiede gezeigt. Somit ergab die Studie trotz optimierter Technologie und umfassender Schulung des medizinischen Personals keinen massgeblichen Vorteil der Nutzung KI-basierter Diagnosesysteme. Zumindest basierend auf ihrem aktuellen Entwicklungsstand haben CDDSS demnach keinen bedeutenden Einfluss auf die diagnostische Qualität in der Notfallmedizin.
Wolf Hautz, Leitender Arzt am Inselspital Bern sowie Leiter für die Forschung wissenschaftlicher Aktivitäten. (Source: zVg)
"Aktuell verfügbare KI wird das Problem der Fehldiagnosen nicht lösen", sagt Wolf Hautz, Leitender Arzt und Leiter Forschung der wissenschaftlichen Aktivitäten am Inselspital. "Wir müssen andere Lösungsansätze verfolgen, um die Diagnosequalität zu verbessern, und insbesondere die Forschung zu diesem Thema, die aktuell in den Kinderschuhen steckt, erheblich intensivieren."
Die Resultate der Studie wurden der Mitteilung zufolge in zwei Phasen gemessen. In der Interventionsphase hätten Ärztinnen und Ärzte das KI-basierte System "Isabel Pro" zur Unterstützung der Diagnosestellung genutzt, wohingegen in den Kontrollphasen die Diagnosen ohne technische Hilfsmittel gestellt worden seien. Gemessen habe man die Qualität der Diagnose daran, ob Patientinnen und Patienten zwei Wochen nach der Behandlung ungeplante Nachsorge benötigten, an einer nachträglichen Änderung der Diagnose, einer unerwarteten Intensivaufnahme oder ob es gar zu Todesfällen kam.
Insgesamt umfasst die Analyse der Mitteilung zufolge 1204 Patientinnen und Patienten mit unspezifischen Beschwerden, die zwischen Juni 2022 und Juni 2023 in vier Schweizer Notaufnahmen behandelt wurden. Des Weiteren sei die Studie durch das Nationale Forschungsprogramm "Digitale Transformation" des Schweizerischen Nationalfonds mitfinanziert worden.
Auch in anderen Bereichen des Spitalalltags wird künstliche Intelligenz eingesetzt. So nutzt beispielsweise das Universitätsspital Basel die Technologie zur Unterstützung alltäglicher klinischer Prozesse wie der Informationsaufbereitung.