Editorial

Stirnrunzeln = Nein

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(Source: Netzmedien)
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Zuerst entwickeln Regierung, Parlament und Experten nach allen Regeln des schweizerischen politischen Gesetzgebungsprozesses gemeinsam eine neue Rechtsnorm. Aber erst nach einer verlorenen Abstimmung, erst nachdem viel Zeit und noch mehr öffentliches Geld für die Entwicklung und den Abstimmungskampf des neuen Gesetzes vernichtet worden ist, erst danach startet die Regierung einen öffentlichen Diskurs, zu dem alle eingeladen sind! Sie ahnen, worum es geht: das Bundesgesetz über elektronische Identifizierungsdienste (E-ID-Gesetz), das am 7. März 2021 an der Urne krachend gescheitert ist.

Nun soll "eine Auslegeordnung mit drei technischen Lösungsansätzen breit diskutiert werden, damit sich im Laufe der Diskussionen herauskristallisieren kann, welchen Nutzen und Mehrwert eine staatliche E‑ID bringen soll und welche inhalt­lichen und gesetzlichen Anforderungen sie dafür erfüllen muss", schreibt das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement von Bundesrätin Karin Keller-Sutter dazu.

Plötzlich liegen also drei technische Lösungsansätze auf dem Tisch, wo es zuvor offenbar nur einen einzigen gangbaren Weg gegeben hat. Und zwar jenen, den staatsnahe Betriebe, Finanzunternehmen, Versicherungsgesellschaften und Krankenkassen in einem gemeinsamen Konsortium vorgegeben hatten. Auch als Befürworter der verworfenen Gesetzesvorlage kann ich verstehen, dass solches Gebaren Stirnrunzeln beim Stimmvolk auslösen kann – Stirnrunzeln = Nein.

Das Ergebnis der "jetzt angestossenen öffentlichen Diskussion" soll dem Bundesrat als Basis für seinen Richtungsentscheid dienen, den er bis Ende 2021 treffen will. Die Vernehmlassung zum neuen E-ID-Gesetz soll dann voraussichtlich Mitte 2022 eröffnet werden. Erneut verstreicht viel wertvolle Zeit, wohl noch rund zwei Jahre, bis das neue Gesetz parat sein wird.

Insbesondere bei Digitalthemen in der öffentlichen Verwaltung ist Zeit aber ein besonders kostbares Gut. Wir können uns diese langwierigen Entscheidungsfindungsprozesse nicht mehr leisten. Verhält sich die Schweiz digitalpolitisch weiterhin so zögerlich, dürfte das einen enormen (volks-)wirtschaftlichen Schaden nach sich ziehen. Denn Unternehmen benötigen klare gesetzliche Rahmenbedingungen auch für den digitalen Raum, damit sie ihr Geschäft rechtskonform und sicher gestalten können. Unternehmen brauchen im Kontakt mit Behörden ausserdem schlanke, digitale und am besten automatisierte Verwaltungsprozesse, damit sich die Firmen auf wertschöpfende Tätigkeiten konzentrieren können. Aber erst mit der Einführung einer bundesweit gültigen elektronischen Identität wird die Basis geschaffen, flächendeckend, rechtskonform und sicher mit Behörden zu kommunizieren.

In der Zwischenzeit lancieren die Kantone eigene elektronische Identitäten, um etwa den rechtssicheren Zugang zum elektronischen Patientendossier zu ermöglichen oder bestimmte Verwaltungshandlungen vorzunehmen.

Damit am Ende nicht 26 konkurrierende elektronische Identitäten – natürlich jede mit eigenem Kantönli-Finish – die erwünschte Einheitlichkeit einer Bundes-E-ID zunichtemachen, dafür soll nicht zuletzt die neue Organisation Digitale Verwaltung Schweiz sorgen. Mit Peppino Giarritta, dem ehemaligen Chefdigitalisierer des Kantons Zürich, haben Bund und Kantone einen Beauftragten ernannt, der die digitale Interoperabilität der verschiedensten digitalen Systeme zwischen den drei Staatsebenen sicherstellen soll. Das dürfte keine einfache Aufgabe werden.

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