"Mit der neuen Ergebnisermittlungsplattform setzen wir auf Sicherheit durch Transparenz"
2022 will der Kanton St. Gallen eine neue Ergebnisermittlungsplattform für Wahlen und Abstimmungen einführen. Sie ersetzt die 20-jährige WABSTI-Plattform. Sicherheit und Durchgängigkeit waren zentral für die neue Software, die Abraxas Informatik für den Kanton baut.
Der Kanton St. Gallen hat Abraxas Informatik den Zuschlag für die neue Ergebnisermittlungsplattform für Wahlen und Abstimmungen gegeben. Warum Abraxas? Welche Kriterien haben den Ausschlag für die Entscheidung gegeben?
Philipp Egger: Von den vier im offenen Ausschreibungsverfahren angebotenen Lösungen erfüllte das Ergebnisermittlungssystem von Abraxas Informatik die Systemanforderungen des Kantons St. Gallen am besten. Die Neuentwicklung des Systems, das bisher bei keinem anderen Kanton im Einsatz steht, bietet die Möglichkeit, hinsichtlich der Offenlegung des Quellcodes konsequent einen neuen Weg einzuschlagen.
Also hat nicht nur der Preis den Ausschlag gegeben?
Der Preis ist eines von verschiedenen Kriterien, aber nicht das einzige.
Warum war die Ablösung des bisherigen Systems WABSTI nötig?
Der Kanton St. Gallen setzt WABSTI seit rund 20 Jahren für eidgenössische, kantonale und kommunale Wahlen und Abstimmungen ein. Das WABSTI-System, das auch durch Abraxas betrieben wird, ist am Ende seines Lebenszyklus angekommen und hat die Grenzen der Anforderungen an Systemarchitektur, Usability sowie Sicherheit von technischen Applikationen im Bereich Wahlen und Abstimmungen erreicht. Es gibt ausserdem spezielle, neue Anforderungen an die Schnittstellen für die Umsysteme. Deshalb haben wir entschieden, eine neue Lösung zur Ergebnisermittlung bei Wahlen und Abstimmungen zu beschaffen.
20 Jahre sind eine lange Zeit für den Betrieb einer Software. Warum hat man erst jetzt die Ablösung beschlossen?
Ja, es ist eine lange Zeit. Aber das System wurde auch kontinuierlich weiterentwickelt und es war nicht nur beim Kanton St. Gallen, sondern auch bei allen Gemeinden im Kanton St. Gallen und auch in anderen Kantonen im Einsatz. Ausserdem hat es all die Jahre gut funktioniert. Das macht eine Ablösung, bei der auch der Wahlzyklus berücksichtigt werden muss, nicht einfach.
Welche Ziele verfolgen Sie mit der Ablösung ausserdem?
Wir wollten auch auf ein modernes und zeitgemässes System setzen, das mit den Umsystemen integriert werden kann und so die Durchgängigkeit der Verwaltungsprozesse ermöglicht. Die Eliminierung von Medienbrüchen war und ist ein zentrales Element des neuen Ergebnisermittlungssystems. Es ist quasi der Kern der Anwendungen, die rund um den Bereich Wahlen und Abstimmungen zum Einsatz kommen. Dazu gehören die Stimmregister, das E-Voting-System, die Aufbereitung der Stimmrechtsausweise oder die Übergabe der Resultate an unsere Applikation, welche die Resultate auf der entsprechenden Onlineplattform kontinuierlich veröffentlicht. Insofern ist ein grosses Ziel der Ablösung von WABSTI mit dem neuen Ergebnisermittlungssystem von Abraxas, dass diese verschiedenen Schnittstellen zu den Umsystemen reibungslos funktionieren. Ein weiteres Ziel ist, dass die Gemeinden das neue System auch unabhängig vom Kanton für eigene Wahlen und Abstimmungen einsetzen können.
Warum ist die Einführung des neuen Systems ein Paradigmenwechsel im Sinne der IT-Security?
Wir gehen mit der Einführung der neuen Ergebnisermittlungsplattform wie eingangs erwähnt einen neuen Weg und setzen auf Sicherheit durch Transparenz. Eine zwingende Anforderung an das neue System war, dass wir den Quellcode der neuen Applikation offenlegen dürfen, damit dieser etwa im Rahmen von Bug-Bounty-Programmen von unabhängiger Stelle auf Herz und Nieren geprüft werden kann. Das soll auch Vertrauen bei der Bevölkerung schaffen.
Welche Vorbehalte gab es innerhalb der Verwaltung gegen dieses transparente Vorgehen?
Da das Vorgehen bereits von der Einführung des E-Voting-Systems her bekannt ist, gab es keine Vorbehalte.
Ab wann wird das neue System zur Verfügung stehen?
Wir rechnen damit, dass wir das neue System im Verlauf von 2022 produktiv einsetzen können. Das heisst, wir werden es Anfang 2022 in Betrieb nehmen und dann zu den Gemeinden ausrollen, die Mitarbeitenden in der Verwaltung onboarden und schulen, Testabstimmungen durchführen etc. Wir haben auch nicht viele Möglichkeiten für Go-live-Termine – Abstimmungen auf Bundesebene sind ja auf eine Handvoll Daten beschränkt.
Welche Hürden gab es bisher beziehungsweise gibt es noch bis zur Einführung 2022 im Projekt zu nehmen?
Wir haben einen sportlichen Zeitplan, ich bin aber zuversichtlich, dass wir diesen einhalten können. Hürden gibt es noch bei der Anbindung der Umsysteme, da dies trotz Standardisierung eine komplexe Aufgabe ist. Hier braucht es noch Anpassungen auf beiden Seiten und ein eingehendes Testing bis wir das Ziel der Durchgängigkeit erreicht haben.
Abraxas hat ja mit seiner strategischen Initiative «VOTING» verschiedene Lösungen in petto. Wie haben Sie sich bei der Entwicklung bei Abraxas eingebracht?
Für uns war und ist die Modularität der im Rahmen der Initiative «VOTING» von Abraxas entwickelten Anwendungen wichtig. Die verschiedenen Systeme von Abraxas sind modular einsetzbar und es gibt durch die Anbindung über verschiedene Schnittstellen insbesondere auf Gemeindeebene die Möglichkeit, auch andere Applikationen anzubinden.
Welche nächsten Digitalisierungsprojekte stehen im Kanton St. Gallen an?
Unsere Stossrichtung ist, dass wir digitale Basisdienstleistungen in der kantonalen Verwaltung aufbauen und zur Verfügung stellen wollen. Dazu gehören die E-ID also ein sicheres Login für den Zugriff auf digitale Verwaltungsprozesse. Zudem sind die E-Signatur für die rechtsverbindliche Unterschrift ohne Medienbruch und die E-Zustellung für die rechtsverbindliche Zustellung von Verwaltungsdokumenten wichtige Pfeiler. Ein weiteres Digitalisierungsprojekt, das den Kanton und die Gemeinden betrifft, ist sicher der elektronische Baubewilligungsprozess. Ausserdem sind Bestrebungen im Gange, beim Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt weitere digitale Verwaltungsleistungen anzubieten, ebenso beim Migrationsamt, beim Amt für Handelsregister und Notariate sowie beim Steueramt. Es laufen viele Einzelinitiativen.
Auf einer Skala von 1 bis 10, wie digitalisiert sind die Verwaltungsvorgänge im Kanton Ihrer Einschätzung nach (1 = nicht digitalisiert, 10 vollständig digitalisiert)?
Keine einfache Frage – da ich den Bereich ja verantworte ... Ich gebe uns eine 5; denn es sind schon viele gute Ansätze vorhanden, um der Bevölkerung digitale Verwaltungsdienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Wichtig ist auch die Etablierung der drei erwähnten Basisdienstleistungen. Wir haben noch viel Arbeit vor uns, bis wir auf eine 10 kommen, aber wir sind auf einem guten Weg.
Eine Frage noch zum Schluss: Sie sind ja auch ausgebildeter Wirtschaftspädagoge. Inwiefern hilft Ihnen diese Fähigkeit, die Digitalisierung im Kanton voranzutreiben?
Ich glaube, es hilft, wenn man sich Gedanken darüber macht, wie man etwas präsentiert oder wie man eine Information vermittelt, damit sie beim Zielpublikum ankommt beziehungsweise verstanden wird.
Philipp Egger leitet die Dienststelle Informatik und Infrastruktur bei der Staatskanzlei des Kantons St.Gallen. Er studierte International Affairs and Governance an der Universität St.Gallen (HSG) und absolvierte eine Zusatzausbildung in Wirtschaftspädagogik.