Update: Berner Regierungsrat will Nevo/Rialto abschliessen – GPK widerspricht
Mit Nevo/Rialto hat der Kanton Bern eine neue Polizeisoftware eingeführt. Doch das Vorhaben kam einiges teurer als geplant und sorgte für Frust unter den Anwendern. Während der Regierungsrat das Projekt zu den Akten legen will, fordert die GPK des grossen Rates mehr Verantwortung.
Update vom 23.08.2024: In der Aufarbeitung des IT-Projekts Nevo/Rialto sind sich der Regierungsrat des Kantons Bern und die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Grossen Rates nicht einig. Das zeigt eine Medienmitteilung der GPK, in der sie den Regierungsrat auffordert, die Verantwortung für das umstrittene Polizeisoftwareprojekt wahrzunehmen.
Die GPK reagiert damit auf einen vom Regierungsrat im Mai 2024 verabschiedeten Bericht, in dem er wiederum erklärt, welche Lehren er aus dem Nevo/Rialto-Debakel zieht und wie er die von der GPK im Herbst 2023 gemachten Empfehlungen umsetzen wird. Der Bericht enthält etwa eine Liste von im Projektverlauf entdeckten Problemen und den entsprechenden Verbesserungsmassnahmen. Der Regierungsrat stellt zudem eine weitere Publikation in Aussicht, in der er aufzeigen will, wie im ICT-Bereich die Aufsicht und die Steuerung verbessert werden könne.
"Im Rahmen des Projekts Nevo/Rialto hat es sich bestätigt, dass auch mit den vorhandenen Rahmenbedingungen (Beschaffungsrecht, Kreditmanagement, etc.) ein Innovationsprojekt realisierbar ist – wenn auch teilweise deutlich schwieriger, als dies in der Privatwirtschaft möglich ist. Das Ergebnis, das nach rund zwei Jahren Betrieb von Nevo/Rialto vorliegt, bestätigt diese Aussage. Das Projekt ist abgeschlossen", heisst es ausserdem im Bericht.
Und dieser letzte Satz, wonach der Regierungsrat das Projekt als abgeschlossen betrachtet, stösst bei der GPK auf Widerspruch: "Der Regierungsrat hatte immer argumentiert, dass das Projekt als Ganzes unbedingt mit der Eigenentwicklung Nevo/Rialto gemacht werden müsse, da kein anderes Produkt den gewünschten Datenaustausch zwischen Polizei und Justiz gewährleiste", schreibt sie dazu.
Doch genau dieser Datenaustausch scheint noch nicht zu laufen: Die Software sei zwar bei der Kantonspolizei eingeführt, verzögere sich aber bei der Staatsanwaltschaft. Dies passe nicht zusammen, befindet die GPK.
Beim Grossen Rat beantragt sie darum, den Regierungsrat zu verpflichten, "dass er die Gesamtverantwortung für das Projekt übernimmt, bis der angestrebte Datenaustausch wirklich erreicht wird und funktioniert".
Ergänzend soll der Regierungsrat in seinem noch ausstehenden Bericht aufzeigen, wie der Kanton sicherstellen soll, dass die Lehren aus Nevo/Rialto für künftige Projekte berücksichtigt werden. Namentlich erwähnt die GPK den Bereich Change-Management sowie die Schulung von Mitarbeitenden.
Der Grosse Rat wird sich in der Herbstsession mit den Forderungen der GPK befassen.
Update vom 27.11.2023:
Kanton Bern soll bei IT-Projekten auf Eigenentwicklungen verzichten
Der Kanton Bern soll seine Lehren aus der fehlerbehafteten Einführung der Polizeisoftware Nevo/Rialto ziehen. Dies fordert die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Grossen Rates, die sich mit dem Vorhaben auseinandergesetzt hat. Allem voran bekunden die GPK, der Kanton habe die Projektziele massiv unterschätzt. Es berge grundsätzlich grosse Risiken, ein Produkt ganz alleine entwickeln zu lassen. Die Kommission fordert den Kanton auf, darum bei Informatikprojekten auf Eigenentwicklungen zu verzichten.
Als gefährlich erachtet die GPK auch die Haltung, ein System sei alternativlos. Dies führe zu einer grossen Abhängigkeit, womit erhebliche Risiken verbunden seien, erklärt sie in der Mitteilung. Bevor ein Projekt definitiv umgesetzt werde, müsse sichergestellt sein, dass es verlässlich funktioniere. "Ein solcher Entscheid muss auf klar definierten Kriterien basieren, politischer Druck darf dabei keine Rolle spielen", heisst es in der Mitteilung. Nicht zu unterschätzen seien zudem die Schulungen für Nutzerinnen und Nutzer eines Systems, erinnert die GPK. Diverse Nutzerinnen und Nutzer der neuen Polizeisoftware hatten sich im Lauf der Einführung frustriert an die Medien gewandt, wie Sie hier nachlesen können.
Handeln soll auch der Regierungsrat. In einem Bericht soll er darüber informieren, was er unternommen hat, um Nevo/Rialto zu verbessern, fordert die GPK. Des Weiteren soll er aufzeigen, was dafür gesprochen hat, trotz Problemen an Nevo/Rialto festzuhalten. Schliesslich soll der Regierungsrat darlegen, welche Lehren er für Informatikprojekte generell gezogen hat und wie er sicherstellt, dass diese bei künftigen Projekten berücksichtigt werden.
Wie die GPK ausserdem mitteilt, sind noch nicht alle mit Nevo/Rialto angestrebten Ziele erreicht. So sei insbesondere die Brücke zwischen Kantonspolizei und Staatsanwaltschaft noch nicht fertig gebaut. Bevor das System in der Justiz eingeführt werde, müsse es jedoch zunächst in der Kantonspolizei verlässlich genug funktionieren, regt die Kommission an.
Ein Projektabbruch oder die Evaluation alternativer Systeme kommen für die GPK zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht mehr in Frage. Wie "SRF" berichtet, entschied sich der Kanton Basel-Stadt in diesem Punkt anders. Eigentlich hätte auch dort die Berner Software eingeführt werden sollen. Doch nach dem Bekanntwerden der Bernischen Probleme habe der Kanton Basel-Stadt die Einführung gestoppt und sich aus dem Projekt zurückgezogen. Mit dem Entscheid seien 1,8 Millionen Franken verlorengegangen, hiess es damals aus dem Basler Sicherheitsdepartement. Für die Einführung seien jedoch insgesamt 18 Millionen Franken vorgesehen gewesen. "Es kann nicht sein, dass wir jetzt 18 Millionen ausgeben für eine Lösung, die unbefriedigend ist, nur damit wir uns heute keinen unangenehmen Fragen stellen müssen", zitierte SRF den Departementssprecher Toprak Yerguz.
Originalmeldung vom 11.4.2022:
Grosse Probleme bei IT-Projekt der Berner Polizei
Nevo/Rialto ist ein IT-System, welches von der Swisscom für die Berner Kantonspolizei und Staatsanwaltschaft umgesetzt wird. Das Projekt wurde 2016 in Auftrag gegeben und sollte innert drei Jahren mit einem Budget von 13,5 Millionen Franken umgesetzt werden. Doch wie Recherchen von "SRF" zeigen, wurde die Software erst vor zwei Wochen in Betrieb genommen und kostete bereits im Jahr 2020 über 50 Prozent mehr als geplant.
Das Projekt sollte Abläufe zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft durchgehend digitalisieren, optimieren und vereinfachen. Seit zwei Wochen kann das System zumindest von der Berner Kantonspolizei benutzt werden. Die Staatsanwalt hingegen muss laut Bericht noch bis 2023 warten.
Überstunden mit Millionenwert
Die Umsetzung des Projekt scheint für alle Beteiligten viel komplexer zu sein als zunächst angenommen. Das Betrifft die Kantonspolizei, die Staatsanwaltschaft, aber auch die Auftragnehmerin Swisscom, wie es weiter heisst. Die Swisscom hätte kostenlose Zusatzstunden im Wert eines siebenstelligen Betrags geleistet, um das Projekt überhaupt so weit zu bringen.
Im Vorfeld wurde ein Pilotprojekt abgebrochen, bei welchem Polizistinnen und Polizisten die Software testeten. Die Software war zu unausgereift und arbeitete zu unzuverlässig. Ein Kritikpunkt sei gewesen, dass die Entwicklerin zu weit weg war von der Polizeiarbeit. Auch die Projektleitung habe zu oft gewechselt.
Kosten dürften noch weiter steigen
Im Jahr 2020 lag die Preissteigerung des Projekt bereits bei mehr als 50 Prozent. Und es dürfte noch mehr werden, da noch die Arbeit am Staatsanwaltschafts-Modul der Software abgeschlossen werden muss.
Unter Berufung auf einen Bericht der Finanzkontrolle, welche das Projekt im März 2021 unter die Lupe nahm, dürften laut "SRF" die wiederkehrenden Betriebskosten höher ausfallen als erwartet. Gemäss demselben Bericht kann das Projekt Nevo/Rialto die Erwartungen bezüglich Termine, Kosten und Qualität nicht erfüllen.
Zu viele Schnittstellen und komplexe Dokumente
Grosse Schwierigkeiten schienen die vielen Schnittstellen der Software zu bereiten. Wie es aus Kreisen der Staatsanwaltschaft heisst, gab es bereits bei der Kantonspolizei Probleme damit, die Dokumentenvorlagen zu übernehmen. Und für die Staatsanwaltschaft sollen diese Vorlagen noch komplexer und ausserdem zweisprachig sein.
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