Früherkennung von Blutvergiftungen

KI soll Sepsis frühzeitig erkennen und Leben retten

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von Joël Orizet und yzu

Forschende der Johns Hopkins University haben ein auf künstlicher Intelligenz basierendes Frühwarnsystem entwickelt, das die Überlebenschancen von Patientinnen und Patienten mit einer Sepsis verbessert. Das System soll jährlich Tausende Leben retten – und dereinst auch in weiteren Bereichen der medizinischen Versorgung zum Einsatz kommen.

(Source: wladimir1804 / stock.adobe.com)
(Source: wladimir1804 / stock.adobe.com)

Eine Sepsis, besser bekannt als Blutvergiftung, ist lebensgefährlich. Sie entsteht infolge einer Infektion: Krankheitserreger wie Bakterien, Pilze oder Viren dringen in den Körper ein, vermehren sich dort und greifen Organe an. Entscheidend ist allerdings, wie die körpereigene Abwehr damit umgeht. Eine Sepsis entsteht nämlich erst dann, wenn die Erreger die Abwehrmechanismen des Immunsystems überwinden, sich über die Blutbahn ausbreiten, eine Überreaktion des Immunsystems auslösen und folglich der Körper im Kampf gegen die Infektion seine eigenen Organe angreift.

In der Schweiz erkranken Schätzungen zufolge jedes Jahr 15'000 Menschen an einer Sepsis – in gut einem Drittel der Fälle endet sie trotz einer Therapie tödlich. Unbehandelt kann eine Sepsis innerhalb von Stunden zum Tod führen. Umso wichtiger ist es, die ersten Symptome frühzeitig zu erkennen. Denn je früher die Diagnose und Behandlung erfolgen, desto höher sind die Überlebenschancen.

Sterblichkeitsrisiko um 20 Prozent reduziert

Ein Forschungsteam der Johns-Hopkins-Universität hat nun ein auf künstlicher Intelligenz basierendes Frühwarnsystem entwickelt, das medizinischen Fachpersonen dabei helfen soll, die Symptome einer Sepsis im frühen Stadium zu diagnostizieren. Die Forschenden testeten dieses System in einer gross angelegten Kohortenstudie. Über 4000 Klinikmitarbeitende an fünf Spitälern sowie rund 590'000 Patientinnen und Patienten nahmen daran teil.

Der Kernbefund: Dank des KI-Systems konnte man die Symptome einer Sepsis um Stunden früher erkennen als mit bisherigen Methoden und somit die Wahrscheinlichkeit, dass betroffene Patientinnen und Patienten an einer Sepsis sterben, um 20 Prozent verringern.

"Dies ist der erste Fall, in dem KI am Krankenbett zum Einsatz kommt, von Tausenden von Leistungserbringern genutzt wird und wo wir sehen können, dass Leben gerettet werden", sagt Suchi Saria, Gründungsdirektorin des Malone Center for Engineering in Healthcare an der Johns Hopkins University und Erstautorin der Studie. Dank dieses Systems werde man künftig Tausende von Sepsispatienten und -patientinnen retten können. Der Ansatz werde nun auch in weiteren Bereichen angewandt, um die medizinische Versorgungsleistung zu verbessern.

Die Medizin-Informatikerin Suchi Saria leitet das Machine Learning and Healthcare Lab an der Johns Hopkins University. (Source: Will Kirk / Johns Hopkins University)

Abgleich von Krankengeschichte und aktuellen Laborergebnissen

Das System nennt sich Targeted Real-time Early Warning System (TREWS). Es durchforstet Krankenakten und klinische Aufzeichnungen, um Patientinnen und Patienten zu identifizieren, bei denen ein Risiko für lebensbedrohliche Komplikationen besteht, wie es in einer Mitteilung der Johns Hopkins University heisst.

Zudem gleicht ein Algorithmus die Krankengeschichte des Patienten oder der Patientin mit den aktuellen Symptomen und Laborergebnissen ab. Anschliessend soll das System dem behandelnden medizinischen Fachpersonal anzeigen, ob und inwiefern eine Person sepsisgefährdet ist. Ausserdem schlägt TREWS geeignete Behandlungen vor, beispielsweise die Verabreichung von Antibiotika.

Eine Trefferquote von 82 Prozent

Insgesamt habe die KI 82 Prozent der Sepsisfälle richtig erkannt, schreiben die Studienautoren in der Fachzeitschrift "Nature Medicine". Und in 38 Prozent der Fälle schlug die KI frühzeitig einen Alarm, den eine Ärztin oder ein Arzt anschliessend bestätigen konnte. In besonders schweren Fällen konnte man die Krankheit dank des Frühwarnsystems im Schnitt knapp sechs Stunden früher erkennen als mit gängigen Methoden.

Das Ergebnis ist gemäss Mitteilung eine deutliche Verbesserung im Vergleich zu früheren Versuchen, digitale Hilfsmittel zur Erkennung von Sepsis einzusetzen. Bis anhin hätten vergleichbare Tools weniger als halb so viele Fälle richtig erfassen können.

Empfehlungen sollen nachvollziehbar sein

TREWS hat gegenüber anderen Hilfsmitteln, die mit maschinellem Lernen arbeiten und in der Medizin als Entscheidungshilfe dienen sollen, einen weiteren Vorteil: Anders als bei herkömmlichen Ansätzen können die Ärztinnen und Ärzte bei diesem System laut der Johns Hopkins University nachvollziehen, warum die KI bestimmte Empfehlungen ausspricht.

"Dies ist in vielerlei Hinsicht ein Durchbruch", sagt Albert Wu, Professor an der Johns Hopkins University in Baltimore und Mitautor der Studie. "Bislang haben sich die meisten dieser Systeme viel häufiger geirrt als sie richtig lagen." Und solche Fehlalarme würden schliesslich das Vertrauen in diese Systeme untergraben.

In der Schweiz forscht übrigens ETH-Informatikprofessorin Julia Vogt ebenfalls zu neuen Methoden des maschinellen Lernens für klinische Datenanalysen. In ihrem Fachbeitrag beschreibt sie, wie KI bei der Früherkennung von angeborenen Herzfehlern helfen kann.

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