Editorial

Demnächst in Ihrem Feed: "the real" Bundesrat

Uhr
Joël Orizet, leitender Redaktor, Netzwoche. (Source: Netzmedien)
Joël Orizet, leitender Redaktor, Netzwoche. (Source: Netzmedien)

Der Bundesrat ist im Oktober mit einem eigenen Instagram-Account an den Start gegangen. Das stiess bürgerlichen Politikern sauer auf. SVP-Fraktionspräsident Thomas Aeschi polterte auf "Tele Züri", es gehe nicht an, eine "Propaganda-Abteilung" aufzubauen, nur um ein paar Bilder und Videos zu posten. Und FDP-Nationalrat Marcel Dobler bezeichnete die Insta-Offensive des Bundesrats via Twitter als "In-House PR-Büro für Social Media".

Für noch mehr Unmut sorgte der Plan in der Medienbranche. Stefan Wabel, Geschäftsführer des Verlegerverbands Schweizer Medien, reagierte düpiert. Man sei "irritiert und besorgt über diese Absicht" und wehre sich gegen eine solche Entwicklung, schrieb er im Branchenmagazin "persönlich.com" unter dem Titel: "Nicht auf Kosten von uns Medien".

Mag sein, dass die Bewirtschaftung eines magistralen Instagram-Accounts unnötig ist – doch die Empörung darüber ist es erst recht. Das erkennt man allerdings erst mit der nötigen Distanz.

Ich fand die Idee anfangs auch ganz miserabel. Warum sollte sich der Bundesrat selbst inszenieren, Likes hinterherjagen und mit Influencern um Aufmerksamkeit buhlen? Die Frage stellte sich mir aus zwei Gründen; beide haben mit Instagram zu tun. Erstens: Ich habe eine abgrundtiefe Abneigung dagegen. Zweitens: Ich habe keine Ahnung davon. Beides zusammen, also ein starkes Gefühl der Abneigung trotz Ahnungslosigkeit, klingt schrecklich irrational – ist es auch.

Der Publizist Matthias Zehnder vermutet hinter der aufgeregten Kritik an den Plänen des Bundesrats zwei Denkfehler, wie er in einem lesenswerten Artikel auf seinem Blog schreibt. Der erste betrifft Instagram beziehungsweise die sozialen Medien im Allgemeinen. Nicht allen, die auf solchen Plattformen Inhalte publizieren, geht es um narzisstische Selbstinszenierung, wie es etwa beim ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump mit seinem Twitter-Account "@realDonaldTrump" der Fall war. Das betrifft auch Instagram. Wer mit diesem Kanal umgehen kann, findet bei Bedarf durchaus informative Inhalte. Zum Beispiel das Instagram-Projekt "@ichbinsophiescholl" des Südwestdeutschen und des Bayrischen Rundfunks. Die Idee dahinter ist es, Nutzerinnen und Nutzer in "nachempfundener Echtzeit" an den letzten zehn Monaten des Lebens von Sophie Scholl teilhaben zu lassen.

Der zweite Denkfehler betrifft die Rolle der Medien im Internetzeitalter. Der Verlegerverband sieht die Hauptaufgabe der Medien laut Zehnder nach wie vor darin, Informationen zu transportieren. Heute besteht die wichtigste Leistung der Medien allerdings nicht mehr in der Verbreitung von Informationen, sondern in der Auseinandersetzung damit. Das heisst beispielsweise: Fact Checking, Einordnung, Gewichtung nach journalistischen Relevanzkriterien. Die Zeiten sind vorbei, in denen sich Journalistinnen und Journalisten noch als Schleusenwärter der Informationsflüsse aufspielen konnten. Massenmedien als Gatekeeper, die kontrollieren können, welche Themen, Inhalte und Meinungen an die Öffentlichkeit gelangen – dieses Bild stammt aus der Medienforschung der 1950er-Jahre und ist spätestens seit dem Aufkommen von Blogs, Onlineforen und insbesondere der sozialen Medien überholt.

Der Versuch, sich gegen diesen Kontrollverlust zu wehren, ist zwecklos. Aber man kann immerhin versuchen, zu lernen, auf pragmatische Weise mit diesen neuen Kanälen umzugehen. Das kann sich durchaus lohnen. Denn: Abgesehen vom vielen Unsinn gibt es auch Sinnvolles auf diesen Plattformen. Insofern ist es nur konsequent, wenn der Bundesrat zusätzlich zu seinen Websites und Youtube eben auch Instagram als Informationskanal bespielt. Ob der gewünschte Effekt eintritt, muss sich natürlich noch weisen – aber einen Versuch ist es wert.

Tags
Webcode
DPF8_270798