Die digitale Transformation gestalten: So ist Process-Mining effektiv
Die digitale Transformation stockt in vielen Unternehmen. Der Wert der in integrierten Systemen verfügbaren Daten bleibt oftmals ungenutzt. Process Mining ermöglicht hier den Sprung von der Phase der Evolution zur Revolution mit der datenbasierten Optimierung und Neuausrichtung von Prozessen.
Im September 2020 hat der Bundesrat die Strategie "Digitale Schweiz" veröffentlicht, mit dem Ziel, in der Schweiz ansässige Unternehmen dabei zu unterstützen, die Chancen der Digitalisierung optimal nutzen. Hier besteht grosser Handlungsbedarf, wie eine Statista-Umfrage von 2021 belegt. Danach geben über die Hälfte (53 Prozent) der Schweizer Unternehmen als Selbsteinschätzung an, dass sie bei der Umsetzung der digitalen Transformation noch "nicht sehr weit" gekommen seien. Um diese Aussage einzuordnen, hilft ein Blick auf das Stufenmodell der digitalen Transformation. Hier wird deutlich, dass die digitale Transformation erst ab Stufe 3 mit der Neugestaltung von Geschäftsprozessen beginnt. Die vorgelagerten Stufen stellen lediglich die Voraussetzung dar, um durch integrierte IT-Systeme, wie etwa ERP-Systeme, auf digitale Prozessdaten zugreifen zu können. Besagte Unternehmen sitzen also, bildlich gesprochen, auf den beiden unteren Stufen fest und stehen vor der Herausforderung, die Hürde hin zu optimierten Prozessen zu überspringen.
Das Stufenmodell der digitalen Transformation. (Source: Ostschweizer Fachhochschule OST)
Diese Herausforderung ist vielschichtig. Zunächst geht es darum, die in den eingesetzten IT-Systemen (ERP, CRM, SCM etc.) automatisch gesammelten Daten für das Management der Geschäftsprozesse nutzbar zu machen. Dafür braucht es Methoden des Data Mining, um die Transaktions- und Vorgangsdaten des Unternehmens auszuwerten. Eine konkrete Hilfestellung bietet dafür die Methode des Process Mining. Die Basis dafür bilden Event-Logs (Zeitstempel für Aktivitäten in einem Geschäftsprozess), die in den entsprechenden IT-Systemen aufgezeichnet werden. Process Mining setzt auf dieser Datenbasis auf und ermöglicht es, Prozesse automatisiert zu erkennen, zu überprüfen und anschliessend gezielt zu verbessern.
Geschäftsprozesse aktiv und zielgerichtet weiterentwickeln
Process Mining ist eine Disziplin der Wirtschaftsinformatik, die Ansätze des Geschäftsprozessmanagements, des Workflow-Managements und des Data Mining integriert. Es ermöglicht das automatisierte Erkennen von Zusammenhängen in Geschäftsprozessen und grenzt sich damit von Business-Intelligence-Anwendungen (BI) ab, bei denen in der Regel die zu beantwortende Frage vorab detailliert definiert werden muss. Process Mining lässt sich für folgende Aufgabenbereiche einsetzen:
Erkennung (Discovery): Hierfür werden Event-Logs aus den operativen IT-Systemen extrahiert, aufbereitet und in ein Process-Mining-Tool geladen (ETL-Prozess: Extract – Transform – Load), das daraus automatisch Ist-Prozessmodelle generiert.
Übereinstimmung (Conformance): Hier werden Abweichungen der Ist-Prozesse gegenüber dem Soll, das etwa in Prozessbeschreibungen als BPMN-Modell hinterlegt ist, aufgezeigt. Nutzen lässt sich diese Funktionalität insbesondere für Compliance-Audits, Innenrevision und die Standardisierung von Geschäftsprozessen
Erweiterung (Enhancement): Hierbei werden bestehende Informationen zu Prozessmodellen ergänzt und um Informationen wie Zeit- und Ressourcenbedarf erweitert. Auf dieser ergänzten Informationsbasis lassen sich dann datenbasiert Entscheidungen für die Weiterentwicklung von Geschäftsprozessen treffen.
Der Einsatz von Process Mining im Unternehmen startet typischerweise mit der Funktion der Discovery. Während Prozessbeschreibungen nur den idealen Ablauf zeigen, lässt sich mit Process Mining vollständige Transparenz der Abläufe erzielen. Durch den Rückgriff auf alle Vorgänge und Aktivitäten im zugrundeliegenden Prozess entsteht ein komplettes Bild der Vorgangsvarianten. Diese Erkenntnis lässt sich mehrfach nutzen.
So lassen sich beispielsweise Rücksprünge im Prozess identifizieren, wenn Nacharbeiten erforderlich sind. Diese können etwa aus fehlenden Informationen oder Qualitätsproblemen in der Bearbeitung resultieren. Ergänzend lassen sich dafür die Auftretenshäufigkeit wie auch die Auswirkung auf die Durchlaufzeit bestimmen. In Abhängigkeit vom eingesetzten Process-Mining-Tool kann der Prozessdurchlauf auch animiert dargestellt werden, wodurch Engpässe und Verzögerungen leicht erkannt werden können. In einer weiteren Ausbaustufe lassen sich sogar der Automatisierungsgrad und die anfallenden Prozesskosten ermitteln.
Prozessbeschreibungen zeigen nur den idealen Ablauf. Mit Process Mining lässt sich eine vollständige Transparenz der Abläufe erzielen. (Source: Ostschweizer Fachhochschule OST)
Wann sich Process Mining lohnt
Um zu beantworten, ab wann Process Mining für ein Unternehmen sinnvoll ist, sollten sowohl technische als auch kommerzielle Aspekte berücksichtigt werden. Aus technischer Sicht sollte eine Mindestzahl an Vorgängen im Jahr anfallen, um eine genügend grosse Datenbasis für die Algorithmen zu haben. Die in diesem Zusammengang öfter genannte Grössenordnung von 15 000 Vorgängen beziehungsweise Cases pro Jahr kann zumindest als grober Richtwert herangezogen werden. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Vorgänge jeweils auf Positionsebene heruntergebrochen werden (Auftragsposition, Bestellposition etc.). Beispielsweise ergeben 20 Kundenaufträge pro Tag mit jeweils vier Auftragspositionen bei 250 Arbeitstagen bereits 20 000 Vorgänge pro Jahr.
Aus kommerzieller Sicht sollten Branche, Organisationsform und Wettbewerbsumfeld des Unternehmens berücksichtigt werden. Bei Unternehmen mit vielen Transaktionen, wie etwa Distributoren, steht die Effizienz der Prozesse im Vordergrund. Gleichzeitig herrscht in dieser Branche ein grosser Wettbewerbsdruck, was für den Einsatz von Process Mining spricht.
Die Organisationsform bestimmt den Grad der Arbeitsteilung. Wenn ein Unternehmen viele Vorgänge bearbeitet, aber wenige Funktionen involviert sind, bringt Process Mining keinen signifikanten Mehrwert. Gegebenenfalls reichen hier bestehende KPIs für das Prozessmanagement aus.
Für KMUs verändert sich in bestehenden Märkten zunehmend das Umfeld und der Wettbewerbsdruck steigt infolge sich wandelnder Kundenerwartungen. In der Folge müssen Unternehmen kurzfristig Prozessverbesserungen erzielen. Das lässt sich etwa im After-Sales-Service verdeutlichen: Warum soll ein Handwerker drei Tage auf ein Werkzeug-Ersatzteil warten, wenn er als Privatperson von Digitec Lieferungen am gleichen Tag erhalten kann?
Dieses Beispiel zeigt, dass für ein KMU die kommerzielle Notwendigkeit für Prozessoptimierungen schneller als erwartet gegeben sein kann. Demzufolge müssen diese Aspekte in einer ROI-Betrachtung für den Einsatz von Process Mining berücksichtigt werden. Gerade in der aktuellen wirtschaftlichen Situation ist es für KMUs essenziell, dass sie umfassend und vollständig über Möglichkeiten und Nutzen von Process Mining informiert sind. Mit Process Mining lassen sich Geschäftsprozesse zielgerichtet optimieren, weiterentwickeln oder sogar revolutionär neugestalten, sodass die digitale Transformation auch in KMUs gelingen kann. Denn diese Gefahr bleibt bestehen: Wenn KMUs nicht aktiv ihre Prozesse weiterentwickeln, werden sie von grossen Wettbewerbern mit effizienten Prozessen und digitalisierten Geschäftsmodellen verdrängt.