Behörden sollten nicht in starren Kategorien denken
Schweizer Behörden digitalisieren zunehmend ihre Prozesse und sind dafür auf spezifische Softwarelösungen angewiesen. Wie sich die Softwarelandschaft für Behörden verändert und welche Chancen und Herausforderungen sich daraus für öffentliche Verwaltungen und für Softwareanbieter ergeben, verrät Frank Buchli, Chief Business Officer bei Löwenfels Partner. Interview: Tanja Mettauer
Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation in der Softwarelandschaft für Behörden?
Frank Buchli: Die Softwarelandschaft für Behörden ist heute komplexer denn je. Wir beobachten eine interessante Entwicklung, bei der die traditionellen Grenzen zwischen Individual- und Standardsoftware zunehmend verschwimmen. Das liegt vor allem daran, dass die Anforderungen der Behörden immer spezifischer werden, gleichzeitig aber auch der Druck zur Kosteneffizienz steigt.
Welches sind die Haupttreiber für diese Entwicklung?
Für diese Entwicklungen spielen mehrere Faktoren zusammen:
- Gesetzliche Vorgaben: Behörden müssen häufig sehr spezifische, manchmal je nach Verwaltungseinheit unterschiedliche Gesetze umsetzen. Das erfordert flexible Softwarelösungen.
- Komplexe Abläufe: Verwaltungsprozesse sind oft vielschichtig und unterscheiden sich stark von kommerziellen Abläufen. Das macht Standardlösungen manchmal ungeeignet.
- Interoperabilität: Behörden müssen zunehmend mit anderen Ämtern und Systemen kommunizieren. Das erfordert offene Schnittstellen und anpassungsfähige Systeme.
- Langfristigkeit: Behörden denken meist in längeren Zeiträumen als privatwirtschaftliche Unternehmen. Software muss daher über Jahrzehnte anpassbar und erweiterbar sein.
- Kostenaspekt: Trotz aller Anforderungen stehen Behörden unter Kostendruck. Effiziente Lösungen sind gefragt, die Entwicklungs- und Betriebskosten im Rahmen halten.
- Datenschutz und Sicherheit: Behörden verarbeiten hochsensible Bürgerdaten. Die Software muss höchste Datenschutz- und Sicherheitsstandards erfüllen und flexibel auf sich ändernde Anforderungen reagieren können.
- Digitale Souveränität: Zunehmend wichtig wird die Kontrolle über die eigenen Daten und Systeme. Behörden wollen unabhängig von einzelnen Anbietern oder ausländischen Technologien sein, um die Sicherheit und Integrität ihrer Dienste zu gewährleisten.
Wie gehen Sie mit diesem Spannungsfeld zwischen individuellen Anforderungen und standardisierten Lösungen um?
Wir haben erkannt, dass es oft nicht um ein Entweder-oder geht, sondern um ein Sowohl-als-auch. Unsere Erfahrung zeigt, dass viele Behörden vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Nehmen wir als Beispiel die Spitalrechnungsprüfung: Wir haben festgestellt, dass dieser Prozess in vielen Kantonen ähnlich abläuft. Daraufhin haben wir eine Lösung entwickelt, die zunächst als Individualsoftware für einen Kanton konzipiert war, sich aber als so flexibel und anpassungsfähig erwies, dass wir sie für mehrere Kantone implementieren konnten. So entstand aus einer Individualentwicklung eine Art Standardprodukt für einen spezifischen Behördenprozess. Im Gegensatz dazu ist beispielsweise die Prüfung von Rechnungen im Pflegefinanzierungsumfeld pro Kanton viel unterschiedlicher und der «Produktgedanke» hat sich hier nicht so stark durchgesetzt.
Welche Reaktionen erhalten Sie von den Behörden auf solche Softwarelösungsansätze?
Wir stellen fest, dass Behörden zunehmend nach solchen Lösungen fragen. Sie wollen die Vorteile einer massgeschneiderten Software, ohne das Rad neu erfinden zu müssen. Gleichzeitig schätzen sie die Sicherheit und Bewährtheit, die ein «Produkt» bietet. Diesen Ansatz bezeichnen wir als «behördenübergreifende Lösungen». Er ermöglicht es den Behörden, von den Erfahrungen anderer zu profitieren und gleichzeitig ihre spezifischen Anforderungen umzusetzen.
Welche Herausforderungen ergeben sich aus diesem Ansatz?
Die primäre Herausforderung liegt darin, dass sich alle Stakeholder einig werden. Jede Behörde hat ihre eigenen Prioritäten und Vorstellungen, die sie unter einen Hut bringen müssen. Allerdings relativiert sich dies oft durch die gesetzlichen Vorgaben, die als gemeinsamer Nenner dienen und die Richtung vorgeben. Eine zentrale Herausforderung ist die Frage der Beauftragung und Finanzierung. Wenn mehrere Behörden an einer Lösung beteiligt sind, muss geklärt werden, wer als Auftraggeber fungiert und wie Kosten und eventuelle Lizenzeinnahmen verteilt werden. In manchen Fällen wird sogar eine separate juristische Einheit für solche Projekte gegründet, sogenannte «Einkaufsgemeinschaften». Eine weitere Herausforderung ist die Balance zwischen Standardisierung und Individualisierung. Wir müssen Lösungen entwickeln, die einerseits flexibel genug sind, um den spezifischen Anforderungen jeder Behörde gerecht zu werden, andererseits aber auch so standardisiert sind, dass sie effizient weiterentwickelt und gewartet werden können.
Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach der Faktor Zeit bei der Auswahl zwischen Individual- und Standardsoftware – gerade bei Digitalisierungsprojekten, die schnell umgesetzt werden sollen?
Falls ein Standardprodukt gut passt, ist es in der Regel schneller einzuführen, aber man darf den Aufwand für Konfiguration und organisatorische Anpassungen nicht unterschätzen. Bei massgeschneiderter Software empfehlen wir eine Priorisierung nach Nutzen für den Anwender, wodurch ein Minimum Viable Product (MVP) oft rasch realisiert werden kann, um schnell einen ersten Mehrwert zu schaffen. Letztlich hängt die Zeiteffizienz stark vom spezifischen Projekt ab, weshalb eine gründliche Analyse zu Beginn entscheidend ist, um die richtige Balance zwischen schneller Umsetzung und langfristiger Eignung zu finden.
Wie wird sich Behördensoftware weiterentwickeln?
Ich bin überzeugt, dass wir uns weiter in Richtung hybrider Lösungen bewegen werden. Die Zukunft liegt in Softwaresystemen, die auf einem soliden, standardisierten Kern aufbauen, aber hochgradig konfigurierbar und erweiterbar sind. Wir werden vermehrt sehen, dass sich Behörden zusammenschliessen, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln und zu finanzieren. Das ermöglicht es ihnen, von Skaleneffekten zu profitieren, ohne auf ihre individuellen Anforderungen verzichten zu müssen. Gleichzeitig wird sich die Rolle von Softwareanbietern wie Löwenfels verändern. Wir sehen uns zunehmend als Partner der Behörden, der nicht nur Software entwickelt, sondern auch Prozess-Know-how und Branchenexpertise einbringt. Unsere Aufgabe ist es, die Behörden dabei zu unterstützen, ihre Kernaufgaben effizienter zu erfüllen, nicht einfach nur Software zu liefern, die sie dann selbst warten müssen.
Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Einhaltung von Datenschutz- und Sicherheitsvorgaben im Hinblick auf hybride Lösungen?
Bei hybriden Lösungen liegt eine zentrale Herausforderung in der Komplexität der Systeme und der sicheren Integration verschiedener Komponenten. Besonders kritisch sind die Verwaltung von Schnittstellen und die Integration von Cloud-Diensten. Um diese Herausforderungen zu meistern, setzen wir auf ein ganzheitliches Sicherheitskonzept, das von Anfang an in die Architektur integriert wird. Dies beinhaltet regelmässige Sicherheitsaudits, Verschlüsselungstechnologien und die enge Zusammenarbeit mit Datenschutzbeauftragten. Trotz dieser Herausforderungen sehen wir in hybriden Lösungen die Chance, Sicherheit und Effizienz optimal zu vereinen.
Was raten Sie Behörden, die sich gerade im Entscheidungsprozess zwischen Individual- und Standardsoftware befinden?
Mein Rat wäre folgender: Behörden sollten nicht in starren Kategorien denken. Stattdessen sollten sie ihre spezifischen Anforderungen genau analysieren und nach Lösungen suchen, die flexibel genug sind, um diese zu erfüllen, aber gleichzeitig von bewährten Konzepten und Erfahrungen profitieren. Es lohnt sich, über den Tellerrand hinauszuschauen und zu prüfen, ob andere Behörden vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Oft ergeben sich daraus Synergien und Kooperationsmöglichkeiten, die allen Beteiligten zugutekommen. Letztlich geht es darum, Lösungen zu finden, die den Behörden ermöglichen, ihre Kernaufgaben effizienter zu erfüllen und bessere Dienstleistungen für die Bürger zu erbringen. Das sollte immer der Fokus sein, unabhängig davon, ob die Lösung als «individuell» oder «Standard» bezeichnet wird.
Wie werden sich technologische Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz auf künftige Behördensoftware auswirken?
Abgesehen von den erhöhten regulatorischen Anforderungen in den Bereichen Datenschutz, Souveränität und Sicherheit sehe ich bei der Verwaltung eine ähnliche Entwicklung wie in der Privatwirtschaft. Es gibt zwei wesentliche Veränderungen: Erstens können Lieferanten durch KI-gestützte Effizienzsteigerung in kürzerer Zeit massgeschneiderte Lösungen liefern. Zweitens werden sowohl in massgeschneiderten Lösungen als auch in Standardprodukten KI-Komponenten eingebaut, um bestimmte Geschäftsprozesse noch besser und effektiver zu digitalisieren.
Zur Person
Frank Buchli ist CBO bei Löwenfels Partner. Als Chief Business Officer ist er für das operative Geschäft von Löwenfels verantwortlich und leitet den Verkauf und das Marketing. Sein Fachgebiet umfasst die Architektur, Programmierung und Projektleitung für massgeschneiderte Softwarelösungen. Er hat einen Master-Abschluss in Computer Science der Universität Bern.
« Die Zukunft liegt in Softwaresystemen, die auf einem soliden, standardisierten Kern aufbauen, aber hochgradig konfigurierbar und erweiterbar sind. »