U wie Umgangsformen
Theorie: Als Umgangsform bezeichnen wir die Art und Weise, wie Menschen miteinander interagieren – das hat also unter anderem etwas mit Anstand zu tun. Umgangsformen dienen aber auch als identitätsstiftende Zeichen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe.
Realität: Im Web geht es ja gern lustig und spontan zu und her. Mir scheint aber, es fehlt dort öfter an klaren Vorstellungen darüber, wann dem geschätzten Nutzer mit Kumpanei begegnet werden darf und wann eher Anstand und Distanz gefordert wären. Ein Beispiel? Nehmen wir Hans Huber, 53, Inhaber einer prosperierenden kleinen Treuhandfirma. Er will sich erstmals seinen Flug zum Compliance-Kongress in Übersee via eines dieser grossen Webportale organisieren. Dass er dort gleich mit "Hallo Weltenbummler! Bei uns findest du immer die günstigsten Flüge!" begrüsst wird, mag er noch schulterzuckend wegstecken. Er wird sich denken, das sei halt der Preis für die billigen Flüge. Unangenehmer wird es ihm schon, als ihn Alice vom Kundendienst im folgenden Mail-Verkehr unverblümt mit "Hallo Hans!" anspricht. Wie soll er jetzt antworten – mit "Liebe Alice", "Hallo Alice" oder was?
Szenenwechsel: Huber regelt gerade seine Finanzen über das neu aufgehübschte E-Banking-Portal seiner Hausbank. Es funktioniert soweit alles wie früher. Wirklich verunsichert ist er, als er die neue mobile Transaktionsnummer per SMS bekommt. "Hallo!", steht dort, "Deine Zahlungsdaten: …". Eine Banking-Site, die ihn siezt, eine mTAN, die ihn duzt? Ist das jetzt richtig so? Er ruft die Servicenummer an, bekommt dort von einer kichernden Göre zwar eine kompetente Antwort, findet sich aber im Tonfall gar nicht richtig abgeholt.
Fazit: Community hin, Spontaneität her – wer im Netz geschäften will, sollte sich gründlich überlegen, wie seine (potenziellen) Kunden angesprochen werden wollen. Ansprache ist nämlich Selektion, und wem die nicht passt, der wird rasch wieder weg sein. Wer aber den richtigen Ton trifft, kann die Kunden zu mehr und qualitativ besserer Interaktion anstupsen.