Eigentlich dumm
Der Bundesrat verfolgt die verschiedenen Initiativen mit «grosser Aufmerksamkeit». Diese oder ähnlich lautende Aussagen hört man immer wieder von unserer Exekutive. Der Satz findet sich etwa in ihrer Antwort auf ein Postulat des SP-Nationalrats Samuel Bendahan. Er fordert darin den Bundesrat auf, einen Plan zur Förderung erklärbarer und vertrauenswürdiger künstlicher Intelligenz (KI) in der Schweiz vorzulegen. In seiner Antwort kommt der Bundesrat zum Schluss, entsprechende Strukturen und Voraussetzungen seien bereits vorhanden. Ansonsten will die Landesregierung die Entwicklungen in der Europäischen Union abwarten. Erst danach könne man «eine politische Auslegeordnung mit möglichen Optionen für sektorielle und wenn nötig horizontale Regulierungsmassnahmen» erarbeiten.
Zugespitzt formuliert, degradiert der Bundesrat die Schweiz in Sachen KI-Förderung und -Regulierung zur Mitläuferin. Dass diese Taktik im Parlament nicht nur auf Zustimmung stösst, zeigt schon die Anzahl der in diesem Jahr eingereichten Vorstösse im Zusammenhang mit KI.
Die Vielfalt möglicher Stossrichtungen offenbart sich mir beim Durchhören der Interviews, die wir für unseren Podcast zu den Wahlen 2023 führten. Für Marcel Dobler (FDP) und Franz Grüter (SVP) liegt der Schwerpunkt klar auf der Innovationsförderung. Man solle ja nicht Dinge auf Vorrat verbieten, mahnt etwa Dobler. Beide räumen aber auch ein, dass es gewisse Regeln brauche. Ähnlich klingt es bei Mitte-Politiker Simon Stadler: «Politisch müssen wir zwar für gute Rahmenbedingungen sorgen, die aber nicht viel verbieten, damit sich die Industrie entwickeln und auf fruchtbaren Boden stossen kann», sagt er. Und auch Judith Bellaiche (GLP) spricht vom Innovationsstandort Schweiz und wünscht sich, dass etwas in Bewegung kommen möge. Lesen Sie auch das Interview, das Bellaiche mit dem Bundeskanzler Walter Thurnherr geführt hat.
Dagegen vergleicht Grünen-Politiker Gerhard Andrey die Einführung von KI zunächst mit dem Aufkommen der Dampfmaschine, spricht aber auch von einem «Atombomben-Moment» und plädiert für Regeln, «damit uns das Ganze nicht um die Ohren fliegt». SP-Nationalrätin Min Li Marti betont die Schnelligkeit der Entwicklung und findet: «Es genügt wohl nicht, wenn die Schweiz – wie sie es immer tut – abwartet und beobachtet, was passiert und irgendwann autonom die EU-Beschlüsse nachvollzieht.»
Eine etwas andere Sicht hat übrigens Jorgo Ananiadis, Präsident der Piratenpartei, der aktuell nicht im Bundesparlament vertreten ist. Er hält das Thema KI für überbewertet. Um dies festzustellen, müsse man nur eine moderne Kunden-Hotline anrufen oder mit einem Chatbot auf einer Website plaudern. Sein Fazit: «Künstliche Intelligenz ist eigentlich dumm.»
Angesichts dieser sich entgegenstehenden Meinungen und Forderungen könnte man den Bundesrat und sein blosses Abwarten beinahe verstehen. Doch im Hinblick auf die rasanten technologischen Entwicklungen scheint mir diese Taktik unter dem Strich doch eher eines zu sein: eigentlich dumm. Denn dieses Abwarten und Schauen, was ringsherum so läuft – diese bequeme Haltung, die man in Bern gern als «gäbig» bezeichnet –, bremst die Schweiz in digitalpolitischer Hinsicht aus.
Was die interviewten Politikerinnen und Politiker zu weiteren Digitalthemen sagen – darunter Cybersecurity oder E-Voting – lesen Sie im Hintergrundbericht. Und noch ausführlicher hören Sie es im Podcast auf unserer Website.
Noch kaum eine Rolle spielt KI in Schweizer Verwaltungen. Welche ICT-Themen stattdessen heiss laufen, lesen Sie im Interview mit Lukas Fässler, Präsident des Vereins Schweizerische Städte- und Gemeinde-Informatik (SSGI).