David und Goliat

“Gegen die Grossen müssen wir uns mit Innovation durchsetzen“

Uhr | Aktualisiert

Michael Jakob ist Gründungsmitglied und Entwicklungsleiter bei Luware. Das 2010 gegründete Unternehmen ist auf Contact-Center-Lösungen auf Microsoft-Basis spezialisiert. Im Interview erzählt Jakob, wie sich die Firma seit der Gründung entwickelt hat.

Der CTO von Luware, Michael Jakob (Quelle: Netzmedien)
Der CTO von Luware, Michael Jakob (Quelle: Netzmedien)

Woran arbeiten Sie gerade und wie geht es voran?

Die Woche lief sehr gut. Wir konnten gerade einen Entwicklungszyklus abschliessen, und der neue Zyklus hat soeben begonnen. Das bedeutet, dass die Entwickler nun wieder drei Wochen lang mit Arbeit versorgt sind und fokussiert und unabhängig arbeiten können. Ich betreue unsere Projekte als Entwicklungsleiter.

Geht es um ein neues Produkt?

Hauptsächlich geht es darum, unsere Contact-Center(CC)-Lösung weiterzuentwickeln und zu verbessern. Zum Teil aber auch darum, etwas komplett Neues zu entwickeln. Aktuell gibt es jedoch viele Ferienabwesenheiten, deshalb ist meine Arbeitsbelastung momentan etwas höher. Noch höher als üblich, aber im erwarteten Rahmen.

Wie ist die Idee entstanden, eine Firma zu gründen?

Im Rahmen unserer Bachelorarbeit am Institute for Networked Solutions der Hochschule Rapperswil konnte ich mit einem Mitstudenten eine CC-Lösung in Microsofts Kommunikationsplattform OCS integrieren. Diesen Auftrag erhielt das Institut von der Industrie. Die Hochschule übertrug wiederum uns den Auftrag, weil wir kurz zuvor eine erfolgreiche Arbeit im Bereich OCS verfasst hatten. Bei diesem Auftrag wurden wir durch den Industriepartner sowie Mitarbeiter des Instituts betreut. Nach der erfolgreichen Fertigstellung des Prototyps sahen alle Beteiligten das grosse Potenzial dieses Produkts.

Worin bestand dieses Potenzial?

Auf der OCS-Plattform, die heute Skype for Business heisst, gab es dazumal noch keine CC-Lösung. Wir waren also europaweit die Ersten, die ein Contact Center auf der Kommunikationsplattform von Microsoft entwickelten. Das machte einen Teil des Potenzials aus. Weiter setzten Contact Center damals noch hauptsächlich auf Voice und waren ziemlich starr. Unserer Lösung bot bereits auch Chat, Video und Desktop Sharing. Zudem schrieben wir einen Algorithmus, der Agenten intelligent und flexibel auswählt. Kurz: eine neue Plattform, die nicht nur Voice, sondern multimodale Funktionen bot. Diese Funktionen, verbunden mit einer viel effizienteren Administration, machte das Potenzial aus.

Wie kamen Sie dann von der Idee zu einem Start-up?

Wir suchten zunächst das Gespräch mit dem Industriepartner. Dieser konnte aber aufgrund von bestehenden Verträgen mit anderen Kommunikationsplattformanbietern unsere Entwicklung nicht umsetzen. So sagten wir uns: Machen wir es doch selbst! Zu den Gründungsmitgliedern gehörten Philipp Beck, der Assistent am Institute war und OCS-Master ist, Professor Beat Stettler, unser Projektleiter Hansruedi Hänni und ich auf der Entwicklerseite.

Mit wie vielen Mitarbeitern sind Sie dann gestartet?

Wir starteten mit vier Mitarbeitern. Drei davon waren Gründungsmitglieder und der vierte war der Kollege, der mit mir zusammen die Arbeit schrieb. Er wollte nicht als Gründungsmitglied dabei sein, weil er sich aus privaten Gründen nicht so stark binden wollte. Am Anfang arbeiteten wir offiziell nur 30 Prozent, investierten aber nebenbei sehr viel Zeit. Im ersten Jahr investierte ich rund 1200 unbezahlte Stunden in die Firma.

Das hatte wohl finanzielle Gründe?

Ja, ganz klar. Daneben gab es aber auch eine gewisse Sicherheit, den Job, den wir nebenbei noch hatten, nicht aufzugeben, falls das Ganze nicht erfolgreich sein sollte. So hatten wir eine gute Überbrückung zwischen dem Anfang, an dem wir 30 Prozent gearbeitet hatten, bis zu dem Punkt, an dem wir dann 100 Prozent arbeiten konnten. Am Anfang hatten wir auch noch kein Büro, das heisst, ich arbeitete viel zuhause und unterwegs.

Haben Sie auch Coworking Spaces in Anspruch genommen?

Nein, aber wir zogen nach relativ kurzer Zeit in den Technopark ein. Das Angebot dort war für uns zur damaligen Zeit ideal. Man erhält dort gute Unterstützung und zahlt am Anfang nicht viel Miete.

War der heutige Erfolg der Firma zu dieser Zeit schon absehbar?

Das war damals schwierig abzuschätzen. Ich sah zwar das Potenzial des Produkts von der technischen Seite her, konnte aber das Marktpotenzial nicht so richtig einschätzen. Wichtig war, dass wir daran glaubten. Wir waren von unserem Produkt überzeugt und auch vom Unternehmen. Mit einem so grossen Erfolg – wir zählen heute mehr als 30 Mitarbeiter – hätte ich aber nicht gerechnet. Allgemein konzentrierte ich mich hauptsächlich auf den jeweils nächsten Schritt. Im Alltagsgeschäft kommt man nicht oft dazu, so weit vorauszudenken. Ich bin also sehr positiv überrascht.

Was hat sich geändert seither?

Meine Funktion im Betrieb hat sich natürlich sehr gewandelt. Am Anfang codete ich hauptsächlich. Heute habe ich vorwiegend leitende und organisatorische Aufgaben. Trotzdem code ich jeden Tag ein wenig vor 8 Uhr, weil ich es einfach gerne tue. Ansonsten muss ich aber dafür sorgen, dass mein fünfzehnköpfiges Entwicklerteam entwickeln kann. Das ist etwas völlig anderes, als selbst zu entwickeln. Mit zunehmender Mitarbeiterzahl wird man auch unflexibler. Jetzt haben wir Zeiterfassungssysteme und müssen für genügend Projekte sorgen.

Haben Sie als Start-up Hilfe bei Inkubatoren oder Förderprogrammen gesucht?

Nein, nicht direkt. Zum einen deckten die Gründungsmitglieder schon ein grosses Spektrum an Fähigkeiten ab, die wir benötigten, und Professor Beat Stettler besass bereits einen guten Ruf in der Schweiz und entsprechende Kontakte. Weiter hatten wir die Hilfe von Inkubatoren von Microsoft. Diese hatten sie ins Leben gerufen, weil die OCS-Plattform damals noch neu war. Über diese Inkubatoren führte Microsoft uns relativ früh zu den Kunden. Wir hatten also die Hilfe von privaten Inkubatoren, nicht aber von öffentlichen Fördermitteln.

Wie haben Sie sich am Anfang finanziert?

Das Gründungskapital kam von den vier Gründungsmitgliedern. Zu viert brachten wir schon einiges zusammen und gingen schon immer sehr haushälterisch mit den finanziellen Mitteln um. Dazu kam, dass wir schon sehr früh unseren ersten Kunden hatten. Dieser erste Kunde bewegte uns noch mehr dazu, unsere Software zu perfektionieren, denn es war einer der anspruchsvollsten Kunden, den wir bis jetzt hatten. Dieser bedient ein Callcenter, das rund um die Uhr laufen muss. Unsere Lösung musste also absolut zuverlässig sein, da ein längerer Ausfall schwere finanzielle Folgen für den Kunden bedeutet hätte. So hatten wir also den Qualitätstest gleich zu Beginn bestanden. Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass wir diesen Kunden nach fünf Jahre noch immer haben. In den letzten fünf Jahren hatten wir eine Downtime von einer halben Stunde, wovon 20 Minuten auf die Infrastruktur des Kunden zurückzuführen sind. Falls es doch einmal einen Engpass gab, konnten wir auf unsere Kontakte zurückgreifen, die uns kurzfristig mit Geld versorgten. So konnten wir sicherstellen, dass kein Fremdkapital in unserer Firma steckt.

So mussten Sie also nie nach Investoren suchen?

Nein, wir holten neben den Gründungsmitgliedern lediglich noch einen weiteren Aktionär ins Boot. Die ganze Firma konnte bis jetzt organisch und selbstfinanziert wachsen. Zudem erreichten wir eine jährliche Verdoppelung des Umsatzes. Diese Mehreinnahmen wurden immer gleich wieder in die Entwicklung investiert. Der eigene Verdienst sollte meiner Meinung nach keine Rolle spielen, wenn man eine Firma gründet. Ich verdiene als CTO des Unternehmens weniger als gewisse Entwickler hier. Mir bedeutet es mehr, etwas bewegen zu können.

Gab es Herausforderungen bei der Gründung?

Ja, eine Herausforderung war es, uns unter den vier Gründungsmitgliedern innerhalb nützlicher Frist über Details einig zu werden. Da gibt es am Anfang einiges an Verträgen und Statuten auszuhandeln. Da wir aber alle am selben Strang zogen und alle den Erfolg der Firma im Auge hatten, kamen wir relativ schnell zur Lösung.

Und nach der Gründung?

Eine grosse Herausforderung war es, einen soliden Kundenstamm aufzubauen. Wir hatten aber bereits das Glück, dass gewisse Kunden von Anfang an auf uns setzten.

Wann haben Sie den Start-up-Status hinter sich gelassen? War das auch der Moment, an dem Sie begonnen haben, offiziell 100 Prozent für die Firma zu arbeiten?

Nein, wir begannen, 100 Prozent zu arbeiten, als es aufgrund eines grösseren Kundenauftrags nötig wurde. Zu dieser Zeit zahlten wir uns aber immer noch vergleichsweise tiefe Löhne aus. Den Start-up-Status wurden wir meiner Meinung nach los, als wir vor eineinhalb Jahren aus dem Technopark auszogen. Gegen Ende der Zeit im Technopark war unser Auftritt nicht mehr repräsentativ. Eine eigene Adresse zu haben, vermittelt schon einen anderen Eindruck nach aussen. Für die ersten Jahre war der Technopark aber ideal. Da junge Unternehmen evaluiert werden, bevor sie aufgenommen werden, und die Einrichtung weitum bekannt ist, hilft es einem am Anfang, wenn man sagen kann, dass man im Technopark zuhause ist.

Der Erfolg Ihres Unternehmens resultiert also vor allem von einem soliden und gefragten Produkt?

Ja, daneben sind jedoch zwei weitere Dinge sehr wichtig. Das eine ist der Zeitpunkt, der passen muss. Das andere sind loyale Mitarbeiter, die sehr entscheidend zum Erfolg unseres Unternehmens beitragen. Sie glauben wie wir an unser Produkt und setzen sich voll dafür ein. Weiter hilft uns unsere eindeutige Fokussierung und Ausrichtung. Dadurch können Kunden uns gut einschätzen. Da wir ausschliesslich die Kommunikationsplattform von Microsoft für unsere Produkte – mittlerweile sind es fünf - verwenden, geht Microsoft gerne mit uns zu neuen Kunden, da sie keine Angst haben müssen, dass wir mit ihrem Produkt konkurrieren.

Arbeiten Sie noch mit anderen Grossunternehmen zusammen?

Wir haben noch Partnerschaften mit anderen Grossfirmen. Mit unserer Produktpalette decken wir die meisten Bedürfnisse von Grossunternehmen bezüglich Kommunikation ab.

Wie hat sich Ihr Aufgabenbereich in dieser Zeit entwickelt?

Bis vor etwa einem Jahr entwickelte ich fast ausschliesslich. Seither bin für die Planung der Entwicklung insgesamt verantwortlich. Prototypen programmiere aber nach wie vor ich, da ich mit meiner Erfahrung am schnellsten bin. Durch meine Arbeit als Entwickler auf der Kommunikationsplattform weiss ich sehr gut, was geht und was nicht. So kann ich meine Entwickler sehr konkret anweisen, ohne dass sie erst noch lange verschiedene Lösungsmöglichkeiten evaluieren müssen. Das macht unsere Arbeitsprozesse effizient.

Wie stark geht es bei Ihrem Geschäft um Innovation? Reicht es nicht, sich einfach aufs Kerngeschäft zu konzentrieren, das bereits gut läuft?

Am Anfang stand unser Produkt, für das wir schon innovative Visionen hatten und immer noch haben. Im Geschäftsalltag machen wir ständig einen Spagat zwischen den Anforderungen der Kunden - die meist nicht sehr progressiv sind - und unseren Vorstellungen, wie man gewisse Abläufe verbessern könnte. Wir entwickeln ständig neue Funktionen und verbessern unsere Produkte. Trotzdem können auch Inputs von Kunden kommen, die wir erst nicht für wichtig gehalten haben. Ein Beispiel hierfür sind Öffnungszeiten, die wir für obsolet hielten, bis ein Kunde nach einer entsprechenden Lösung fragte. Diese boten wir schliesslich auch an. Den Spagat machen wir also zwischen Innovationen, für die es noch gar kein Markt gibt, und Standardlösungen, die man bereits kennt. Wir haben auch Konkurrenten, auch wenn es sehr wenige sind, die zehnmal mehr Mitarbeiter haben als wir. Gegen diese können wir uns nur durch Innovation und visionäre Entwicklungen durchsetzten.

Was ist, wenn Kunden gewisse Entwicklungen nicht annehmen?

Wir entwickelten in der Tat Funktionen, die bis jetzt noch niemand erworben hat. Ein Beispiel dafür ist eine Facebook-Integration. Damit haben wir einen Pfeil im Köcher, der vielleicht erst in Zukunft gefragt sein wird. Dann gibt es Funktionen, die von Kunden zwar erworben werden, aber nur bei den wenigsten schon zum Einsatz kommen. In diesem Fall haben Kunden die Funktion bereits vorsorglich einbauen lassen, um sie zu einem späteren Zeitpunkt einfach einbinden zu können.

Welche Interessen verfolgt Microsoft bei der Zusammenarbeit mit Ihnen?

Für Microsoft ist es natürlich von Interesse, dass ihr Produkt erweitert und dadurch für eine grössere Zahl an Kunden eine Option wird. Weltweit gibt es ausser uns nur eine Handvoll Unternehmen, die CC-Lösungen ausschliesslich auf Lync/Skype for Business anbieten. Unsere Zusammenarbeit ist eine Win-win-Situation: Wenn wir ein Contact Center installieren können, gewinnt Microsoft einen neuen Kunden. Für Microsoft sind wir umso attraktiver, weil wir uns ausschliesslich auf ihre Plattform beschränken.

Sie treiben also die Innovation für Microsoft voran. Kann Microsoft als globaler Konzern auch von Ihnen lernen und durch Sie moderner und innovativer werden, oder ist Microsoft dafür zu gross?

Microsoft hat ein Early Adapter Program, das uns ein schnelles Feedback ermöglicht. Aufgrund dieses Programms rufen wir alle zwei Wochen einmal bei Microsoft an und geben Bugs, Probleme und auch Funktionsanfragen durch. Ob und wie Microsoft diese Informationen verwendet, ist natürlich ihnen überlassen. Sie haben aber so die Möglichkeit, ihre Plattform laufend durch unsere Praxistests zu verbessern. Sie lernen also von uns, aber weniger, was Prozesse oder Agile Development betrifft. Dafür ist Microsoft einfach zu gross.

Welche Vorteile bietet die Schweiz für die Firmengründung und junge Firmen?

Ein Vorteil ist, dass es in der Schweiz relativ einfach ist, eine Firma zu gründen. Man braucht auch nicht lange, um Verträge auszuhandeln, weil es für alles, was nicht im Vertrag erwähnt ist, bereits ein Gesetz gibt, das dann gilt. Dann gibt es viele gute Förderprogramme wie etwa den Technopark. Das Schweizer Marktpotenzial ist sehr gut, weil die Leute bereit sind, viel Geld für gute Lösungen auszugeben. Und nicht zuletzt gibt es in der Schweiz viele hochqualifizierte Arbeitskräfte.

Spüren Sie den Fachkräftemangel nicht?

Doch, den spüren wir stark. Ich sehe verschiedene Gründe, warum es vor allem für Start-ups schwierig sein kann, geeignete Fachkräfte zu finden. Diese lassen sich gerne von einem Headhunter vermitteln, der oft Provisionen zwischen 15 bis 20 Prozent eines Jahreseinkommens für eine Vermittlung kassiert. Das sind Summen, die sich ein Start-up schwer bis gar nicht leisten kann.

Eine Alternative für Start-ups wäre es, Studienabgänger abzugreifen. Bekommen Sie hier auch die Masseneinwanderungsinitiative zu spüren?

Meiner Meinung nach bevorzugt ein Teil der Studienabgänger erst einmal einen Easy-going-Job. So gehen diplomierte Informatiker gerne erst zu einer Grossfirma, wo sie ein kleineres Rädchen sind und nicht viel Verantwortung tragen müssen. In einem kleinen Team hat man viel mehr Verantwortung, kann aber auch viel mehr bewegen, was einen viel erfüllter arbeiten lässt. Viele Informatiker realisieren diese Vorzüge erst nach einiger Zeit bei einem Grossunternehmen. Eine weitere Schwierigkeit sind Grossunternehmen, die Fachpersonal mit Angeboten locken, mit denen ein Start-up nicht mithalten kann.

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