Wo IBM an der Zukunft forscht
IBM hat für einen Tag die Tore seines Foschungszentrums in Rüschlikon geöffnet. Das Unternehmen gab einen Einblick in aktuelle Projekte. Mit künstlicher Intelligenz, neuer Computertechnik und Blockchains will IBM ganze Branchen umkrempeln.
5 Milliarden US-Dollar investiert IBM laut eigenen Angaben jedes Jahr in die Forschung. Weltweit unterhält das Unternehmen dazu zwölf Labors, in denen rund 3000 Wissenschaftler an der IT – und den Umsätzen – von morgen tüfteln. Das erste dieser Labors in Europa steht seit 55 Jahren auf einer lauschigen Wiese in Rüschlikon bei Zürich. Einmal im Jahr öffnet es Journalisten die gut bewachten Pforten und gibt einen Einblick in seine Projekte und die daran arbeitenden Forscher.
Gemessen an der Zahl der in den USA angemeldeten Patente sei IBM seit 24 Jahren Spitzenreiter, sagte Alessandro Curioni zur Begrüssung. Er ist Vice President von IBM Research Europe und Direktor des Labors in Rüschlikon. Damit das so bleibt, möchte das Unternehmen die besten Wissenschaftler der Welt für sich gewinnen.
Alessandro Curioni, Direktor des Labors in Rüschlikon, zeigt die Schwerpunkte der IBM-Forschung. (Source: Netzmedien)
Es seien vor allem Vielfalt und Renommee, die den Schweizer Standort von IBM auszeichneten. Forscher aus mehr als 45 Ländern seien hier versammelt. Das Labor geniesse internationale Anerkennung und sei in eine Vielzahl von Partnerschaften und Forschungsprojekten involviert, sagte Curioni.
Das Ziel des Labors bestehe darin, die Zukunft mitzugestalten. Für IBM als Unternehmen, aber auch für die Welt. Denn viele der in Rüschlikon entwickelten Produkte und Verfahren liessen sich auch ausserhalb des IT-Marktes verwenden, ist Curioni überzeugt. Die Forschung finde momentan vor allem in drei Bereichen statt: Künstliche Intelligenz (KI), neue Computersysteme und Blockchain.
Watson als E-Helfer
Wie es IBM schon beim letzten Pressetag in der Giesserei Oerlikon betonte, wies auch Curioni darauf hin, dass die KI menschliche Intelligenz nicht ersetzen, sondern unterstützen solle. Das Unternehmen mache deshalb stets transparent, wo und für was IBMs KI "Watson" zum Einsatz komme.
Einer dieser Bereiche, in den IBM gerade einsteigt, ist das Gesundheitswesen. Mit dem Einsatz von KI in der Medizin liessen sich die Effizienz erhöhen und Kosten senken, verspricht das Unternehmen. Wie das konkret funktionieren könnte, erklärte Aisha Walcott vom IBM-Labor in Nairobi per Livestream.
Mit einer "Medication Management Plattform" möchte IBM die Therapien bei nicht-übertragbaren Krankheiten unterstützen, die Verteilung von Medikamenten verbessern und Patienten wie Ärzte beraten. Ziele, die wegen der weltweit sehr unterschiedlichen Gesundheitssysteme eine besondere Herausforderung seien. Lösungen müssten deshalb vor Ort von Grund auf entwickelt werden, sagte Walcott.
Govind Kaigala arbeitet an Lösungen zur Erkennung von Krebs. (Source: Netzmedien)
Watson kommt auch bei der Bekämpfung von Brustkrebs zum Einsatz. IBM-Forscher um Govind Kaigala zeigten im Labor neue Methoden, mit denen sich menschliche Gewebeproben auf Anzeichen von Krebs untersuchen lassen. Mit der Bildanalyse von IBMs KI könnten Computer dereinst die Diagnose stark beschleunigen, erklärte die Forscherin Maria Gabrani.
Auf der Suche nach dem Computer von morgen
Auch wenn sich IBM in den letzten Jahren von grossen Teilen seiner Hardwaresparte trennte; in Rüschlikon ist die handfeste Computertechnik immer noch sehr präsent. Data Motion Architect Ronald Luijten stellte etwa ein neues Format für das High Performance Computing (HPC) namens "Micro Data Center" vor.
Der Name ist Programm. Das "Micro Data Center" soll die Rechenleistung von 20 Racks in einem einzigen Rack unterbringen, verspricht Luijten. Möglich sei dies durch zwei Neuentwicklungen aus den IBM-Labors. Erstens verbauten Luijten und sein Team CPU, RAM und Speicher auf einer Steckkarte von rund 6 mal 14 Zentimetern. Ein kompaktes System, das Rechenleistung in komprimierter Form, einem "Datacenter-in-a-Box", unterbringen soll.
IBM zeigte einen Prototyp des "Micro Data Centers". (Source: Netzmedien)
Das Ziel sei nicht höchste Rechenleistung gewesen, sondern Energieeffizienz und hohe Dichte, sagte Luijten sichtlich stolz. Die Inspiration dazu sei aus dem Embedded-Bereich gekommen. Das "Micro Data Center"-Board sei quasi ein Rasperry Pi für HPC. Je kleiner, desto besser und zuverlässiger, verspricht IBM.
Der zweite Clou: Das System wird mit Wasser gekühlt, das durch die Halterungen strömt, in denen die Steckkarten untergebracht sind. Auch der Strom wird über diese Halterungen zum Board geleitet. Das aufgeheizte Wasser soll sich zudem weiter verwenden lassen und so einen Teil der Stromkosten wieder einspielen können.
Zwar rechne er nicht damit, dass Rechenzentren massenhaft auf dieses Prinzip umstellen werden, meinte Luijten im Gespräch. Er gibt sich jedoch überzeugt, dass die Verdichtung von Rechenleistung die einzige Lösung für die klassische CMOS-Hardware sei. Vor allem für Unternehmen mit hohem Datenaufkommen. Das ganze System soll der Öffentlichkeit in Kürze vorgestellt werden.
Einen anderen Ansatz zeigten die Entwickler von IBMs Quantencomputer-Abteilung. Heutige Computer seien für die Lösung bestimmter Aufgaben nicht mehr geeignet, sagte Andreas Fuhrer, der in Rüschlikon an der Technologie arbeitet. Es brauche ein Rechenprinzip, das über die Möglichkeiten des digitalen Computers hinausgehe.
Zentral beim Rechnen mit Quanten sind die sogenannten "Qubits", wie Fuhrer erklärte. Ein System, das mehrere Zustände gleichzeitig einnehmen könne. Dadurch seien Quantencomputer exponentiell skalierbar. Anders gesagt: Mit der Zahl an Qubits nehme die Rechenleistung viel schneller zu als bei klassischen Transistoren.
Stefan Filipp und der Quantencomputer von IBM. (Source: Netzmedien)
Genau darin liegt momentan aber auch das Problem der Technologie, wie Stefan Filipp bei der Präsentation des Quantencomputers im IBM-Labor sagte. Es sei sehr schwer, eine grössere Zahl an Qubits in einem System unterzubringen. Um zu funktionieren, müsse der Computer fast auf den absoluten Nullpunkt heruntergekühlt werden. Ausserdem seien die Qubits sehr anfällig für Störungen.
Der Rechner in Rüschlikon rechne mit fünf Qubits. 15 seien aktuell State-of-the-Art. Aber auch das sei für praktische Anwendungen der neuen Technik noch zu wenig, meinte Filipp. IBMs Ziel sei es deshalb, die Zahl in den nächsten Jahren auf bis zu 200 zu erhöhen. Dann liessen sich mit dem Quantencomputer Aufgaben lösen, mit denen klassische Computer überfordert sind.
Die Blockchain zahlt, öffnet Türen und schützt vor Fälschungen
Der dritte Schwerpunkt legt IBM aktuell auf die Blockchain-Technologie. Gemäss Andreas Kind, Manager Industry Platforms and Blockchain, möchte IBM die Blockchain für mehr als die Krypowährungen nutzen, mit denen das Thema zu Bekanntheit gelangt ist.
Andreas Kind zeigte Wege auf, wie die Blockchain der Autoindustrie mehr Vertrauen ermöglichen könnte. (Source: Netzmedien)
Grundsätzlich sei die Idee hinter IBMs "Blockchain for Business", dass Unternehmen stets miteinander vernetzt arbeiten müssten, sich aber nicht vertrauen könnten. Diese ständige Interaktion zwischen verschiedenen Akteuren soll die Blockchain sicher und vertrauenswürdig machen. Es gehe darum, mit der gemeinsam entwickelten "Hyperledger Fabric", einen "Industriestandard für Blockchain" zu schaffen, sagte Kind.
Auch IBM ist bewusst, dass Blockchain ein schwer fassbares Thema ist. Das Unternehmen gab sich deshalb Mühe, die Technologie und ihre Vorzüge anhand konkreter Beispiele zu demonstrieren.
In der Versicherungsbranche soll die Technik den Abschluss von Verträgen erleichtern. Kunden sollen ihre Daten damit gezielt und fälschungssicher zu Verfügung stellen können. Für Versicherungen soll die Blockchain die Garantie geben, dass Kundendaten der Wahrheit entsprächen.
In der Pharmaindustrie möchte IBM mit der Blockchain die Echtheit von Produkten sicherstellen. Zusammen mit Microchips, sogenannten "Crypto Anchors", liessen sich alle Stationen eines Medikaments oder Bluttests nachvollziehen. Fälschungen könnten so nach IBMs Ansicht wirksam bekämpft werden.
Das Blockchain-Auto von IBM, UBS und ZF. (Source: Netzmedien)
Den stärksten Eindruck hinterliess die Fahrt im elektrischen Blockchain-Auto, das IBM zusammen mit dem Zulieferer ZF Friedrichshafen und UBS entwickelte. Per App öffnen sich Türen und Schranken, werden Parkgebühren automatisch abgebucht.
Die dezentral gespeicherte Blockchain stelle sicher, dass die dahinterstehenden Transaktionen auch tatsächlich stattfänden. Aber auch neben dem finanziellen Aspekt möchte IBM der Autobranche zu mehr Vertrauen verhelfen. So liessen sich alle Reparaturen, Unfälle oder Sensordaten in einer Blockchain festhalten. Ein Käufer eines Gebrauchtwagens könne so herausfinden, ob die vom Verkäufer behaupteten Daten wirklich stimmten. Das System soll 2018 marktreif sein, sagte ein Vertreter von ZF.
Autoindustrie, Gesundheitwesen und Rechenzentren. IBM zeigte in Rüschlikon Lösungen für Branchen im digitalen Umbruch. Vieles befand sich noch in einem frühen Stadium und manche Versprechungen sollten mit Vorsicht genossen werden. Beeindruckend ist die in Rüschlikon geleistete Forschung aber allemal.