Digitale Gesundheitsökosysteme – warum sie zwingend notwendig sind
Für das Schweizer Gesundheitswesen sind digitale Ökosysteme ein Enabler: Durch die Durchsetzung interoperabler Systeme soll die Zusammenarbeit zwischen allen involvierten Parteien gefördert werden. Mehrere Akteure sind am Aufbau entsprechender Plattformen, der Durchbruch ist bisher jedoch keinem gelungen.
Die Schweiz hat im Digital-Health-Index-Ranking der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2018 im Vergleich zu 16 anderen hochentwickelten Ländern lediglich den 14. Platz erreicht. Als Hauptgründe wurden die kulturelle Verankerung des Datenschutzes, die Akteurskonstellation (Drohung eines Referendums durch FMH) sowie fehlende proaktive politische Tätigkeit angegeben. Entgegen der Erwartung ist laut Studie die starke föderale Struktur der Schweiz kein Hinderungsgrund für die Digitalisierung im Gesundheitswesen.
Der Schweizer Bundesrat hat aber in seiner gesundheitspolitischen Strategie 2020 – 2030 den technologischen und digitalen Fortschritt als wesentliche Stossrichtung definiert.
Dank der zunehmenden allgemeinen Digitalisierung werden bestehende Kommunikationsbarrieren abgebaut, Prozesse effizienter gestaltet und Daten gemeinsam genutzt. Die Akteure des Gesundheitswesens erhoffen sich aber je nach Sparte einen unterschiedlichen Mehrwert durch die Digitalisierung (Aufzählung ist nicht abschliessend):
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Bürgerinnen und Bürger aller Bevölkerungsschichten: Einfacher Zugriff auf medizinische Akten (inkl. Impfdossier, Medikationsplan), Datenschutz, integrierte Versorgung
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Gesundheitsfachpersonen: Durchgängige Krankengeschichte, Patientenbindung, Reduktion administrativer Tätigkeiten, Effizienzsteigerung, Verbesserung der medizinischen Behandlung
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Stationäre und ambulante Institutionen: Vernetzung der Akteure, Integration klinischer Informationssysteme und Patientenakten, erhöhte Transparenz und Qualität, standardisierter Datenaustausch, Nutzung für klinische Studien
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Krankenversicherer: Optimierung von Prämien und Kosten, Risikobeurteilungen, Kostentransparenz, Wettbewerbsvorteile
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Wissenschaft und Forschung: Nutzung von anonymisierten Daten für evidenzbasierte Forschung und klinische Studien
Mit der kürzlichen Einführung des elektronischen Patientendossiers (EPD) wurde abgesehen von aller Kritik durch diverse Fachverbände und Interessengruppen ein wichtiges Ziel erreicht: eine durchgängige nationale Infrastruktur mit einem Austauschstandard. Allerdings ist deren Einsatz durch das Gesetz (EPDG) stark reguliert. Das EPD ist auf Patientinnen und Patienten ausgerichtet und deckt in seiner heutigen Ausprägung die Bedürfnisse nach durchgehenden digitalen Prozessen unter den Leistungserbringern nicht ab. Anreize für die Leistungserbringer fehlen, die zwar die Kosten für die Integration ins EPD tragen müssen, aber kaum Nutzen darin sehen. Diese Umstände führten zu verstärkten Bemühungen, mit erweiterten digitalen Gesundheitsplattformen und -ökosystemen den oben erwähnten, erhofften Mehrwert für alle Akteure zu liefern.
Initiativen zur Bereitstellung digitaler Gesundheitsökosysteme
Vorreiter eines digitalen Gesundheitsökosystems war das Genfer «Mon dossier médical», das den Genferinnen und Genfern ab 2013 eine elektronische Patientenakte zur Verfügung stellte und den kantonalen Gesundheitsakteuren ermöglichte, Gesundheitsdaten elektronisch auszutauschen sowie Mehrwertdienste zu betreiben. Dieses System wurde von weiteren ausserkantonalen Gesundheitsinstitutionen eingesetzt, zwischenzeitlich aber durch das EPD abgelöst. Allerdings hat dessen Ablösung eine Lücke bei den digital verfügbaren Dienstleistungen hinterlassen, die man bis heute wieder zu schliessen versucht. Schweizweit sind zwischenzeitlich mehrere Akteure angetreten, um ein digitales Gesundheitsökosystem zu etablieren. Dazu gehören beispielsweise:
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eSanita – Verein eSanita
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Cuore – Die Schweizerische Post
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Healthlink – Axsana
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Abilis – Ofac
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Well – Krankenkassen CSS, Sanitas und Visana sowie Versandapotheke «Zur Rose»
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Compassana – Medbase, Hirslanden, Helsana, Groupe Mutuel und Swica
Weitere Anbieter versuchen, sich mit zusätzlichen, digitalen Geschäftsmodellen und Dienstleistungsangeboten Zugang zum insgesamt lukrativen Gesundheitsmarkt zu verschaffen. Dazu gehören auch Unternehmen, die nicht primär zum Gesundheitswesen gehören, wie etwa Migros und Coop, die Kooperationen mit Gesundheitsdienstleistern eingehen oder solche zu übernehmen.
Im wissenschaftlichen Bereich sind ebenfalls Bemühungen im Gange. Das Swiss Personalized Health Network (sphn.ch) mit der technischen Plattform BiomedIT (biomedit.ch) ist im Aufbau, das den Austausch von Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken erlauben.
Wohin wird sich der Schweizer Gesundheitsmarkt bewegen?
Man darf davon ausgehen, dass sich die Vielfalt der digitalen Gesundheitsplattformen und -ökosysteme konsolidieren wird – ähnlich wie beim EPD, bei dem man mit über zwölf Stammgemeinschaften an den Start ging. Ausrichtung und Businessmodelle der Akteure divergieren stark, und viele Anbieter sind sich ihrer Marktausrichtung noch nicht ganz schlüssig.
Die Patienten- und Berufsverbände stehen dieser Entwicklung nicht ohne Skepsis gegenüber. Ausser ethischen, datenschutzbezogenen und medizinischen Bedenken fürchtet man die Verwendung von Gesundheitsdaten für «Profiling»-Zwecke. Verstärkt werden diese Bedenken durch diverse Sicherheitsvorfälle (beispielsweise bei der Stiftung Meineimpfungen oder Datendiebstählen bei diversen Arztpraxen) und Ransomware-Angriffe.
Ausser der Adressierung dieser Hindernisse müssen zum Einsatz, Austausch, zur Haltung und Vernichtung von Gesundheitsdaten verbindliche Vorgaben und Rahmenbedingungen erlassen werden. Ebenso sind Vorgaben zu User-Authentifizierung und Zugriffskontrolle sowie die Definitionen von technischen Schnittstellen notwendig, um den Austausch mit weiteren nationalen und internationalen digitalen Gesundheitsplattformen und -ökosystemen sicherzustellen.
Erfahrungen zeigen, dass die Interessen der einzelnen Akteure sehr unterschiedlich ausfallen, sodass eine übergeordnete Koordinations- und Führungsinstanz unabdingbar wird, um ein national nutzbares digitales Gesundheitsökosystem aufzubauen und zu betreiben. Hier müssen insbesondere das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sowie das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT) ihre Rollen wahrnehmen und stärkere Führungspositionen einnehmen. Zusätzlich sollte man sich die neusten Ansätze im wissenschaftlichen Bereich als Beispiel nehmen, wo Datenaustausch und Zugriff bereits jetzt möglich sind. Als gutes Beispiel darf das Vorgehen des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) erwähnt werden, das im Rahmen der Gesetzausarbeitung einer nationalen E-ID alle Akteure an einen Tisch gebracht und diese aktiv in die Ausarbeitung involviert hat.
Ebenfalls darauf zu achten ist, dass der Drang zur «Helvetisierung» nicht Oberhand gewinnt – nordeuropäische Länder wie Finnland oder Dänemark haben bereits hervorragende Lösungen im Betrieb, die als mögliche Lösungsansätze zu prüfen wären.
Fazit
Aus technischer Sicht scheitert die Umsetzung oft daran, dass eine pragmatische Kombination aus den neuen technologischen Innovationen (API-Management etc.) mit den klaren kundenzentrierten und nutzenstiftenden Angeboten (Use Cases) eine zentrale Herausforderung und Hürde darstellt, die viele Gesundheitsdienstleister überfordert und somit gemieden werden. Eine erfolgreiche Transformation erfordert neben technologischer Exzellenz und Kenntnis der gesundheitsfachlichen Herausforderungen auch die Adoption digitaler Ökosysteme am Gesundheitsmarkt.
Digitale Gesundheitsökosysteme
Digitale Gesundheitsökosysteme sind als eine verteilte, computerbasierte Infrastruktur zu verstehen, die autorisierten Benutzerinnen und Benutzern die Kooperation ermöglicht sowie Zusatzdienste bietet, um Anwendungsfälle bei Prävention, Diagnose, Behandlung, Pflege und Genesung zu unterstützen. Klar definierte Schnittstellen, internationale Standards, Protokolle und Formate sowie gesetzliche Vorgaben sind ebenfalls Bestandteil dieses Ökosystems.