Das sagt der Präsident von Eurocloud Swiss über digitale Souveränität
Digitale Souveränität ermöglicht es Unternehmen und Privaten, wieder selbst über ihre Daten zu bestimmen. Der Weg dorthin ist aber nicht einfach, solange die Abhängigkeit der Clouds von Bigtech nicht reduziert wird. Martin Andenmatten von Eurocloud Swiss erklärt, was es dafür braucht.
Was ist digitale Souveränität?
Martin Andenmatten: Unter digitaler Souveränität versteht man heute allgemein selbstbestimmtes Handeln im digitalen Raum. Das Wort "Souveränität" kommt aus dem Französischen und bedeutet "Unabhängigkeit". In seinen Ursprüngen werden dabei die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung von Staaten verstanden. Der souveräne Staat hat die Macht, seine Gesetze und seine Regierungsform selbst zu bestimmen. Im digitalen Universum ist dieser Begriff jedoch nicht so leicht abzugrenzen und zu definieren. Durch die Unabhängigkeit des Cyberspace haben Regierungen in diesem Ökosystem kaum noch Autorität. Dadurch konnte sich die digitale Globalisierung praktisch ungehindert entwickeln. Grenzen und Gesetze wurden ignoriert und haben es einflussreichen Internetakteuren ermöglicht, ihre eigenen Regeln aufzustellen und sogar als "vollständig digitalisierte Nationen" eingestuft zu werden. Die im Jahr 2013 publik gewordene Snowden-Affäre über massenhafte Abhöraktionen der NSA machten die Risiken deutlich, die mit der fehlenden Kontrolle des digitalen Raums verbunden sind. Im Jahr 2015 warf der Skandal zwischen Facebook und Cambridge Analytica ein Schlaglicht auf die betrügerische Nutzung personenbezogener Nutzerdaten durch multinationale Unternehmen. Diese grossen Unternehmen haben sich in Bezug auf Vertraulichkeit eher gleichgültig gezeigt. Die Bewegung für digitale Souveränität zielt nun darauf ab, einen Teil der im digitalen Raum ausgeübten Macht zurückzugewinnen. Insbesondere auf europäischer Ebene ist die digitale Unabhängigkeit inzwischen zu einem festen Begriff geworden. Man will damit unabhängige Lösungen entwickeln– insbesondere auch in der Cloud, die im Kern den Umgang mit sensiblen Daten sichern.
Warum ist digitale Souveränität wichtig?
Die Frage nach der Sicherheit in der Cloud greift heute viel zu kurz. Was Unternehmen wirklich wollen, ist die direkte Kontrolle ihrer Daten. Die Pandemie hat die Abhängigkeit der Unternehmen von transnationalen Cloud-Lösungen weiter erhöht und nun müssen diese mehr denn je eine digitale Unabhängigkeit entwickeln, um die Kontrolle über ihre eigenen Daten und die ihrer Kunden zu behalten. Denn die globalen Hyperscaler unterliegen Vorschriften, die den strategischen Interessen der Unternehmen, die sie nutzen, zuwiderlaufen können und womöglich noch eigene Gesetze verletzen. So ist beispielsweise der viel zitierte Cloud Act entstanden, der es der US-Regierung erlaubt, auf Daten zuzugreifen, die von nationalen Unternehmen gehostet werden, auch wenn sich deren Server ausserhalb der Vereinigten Staaten befinden! Folglich ist die Vertraulichkeit dieser Daten in keiner Weise gewährleistet. Angesichts der Tatsache, dass über 90 Prozent der im Westen produzierten Daten in den USA gehostet werden, stellen diese Gesetze eine Bedrohung für die Interessen der Unternehmen dar. Die digitale Souveränität gilt aber auch für den Einzelnen, wobei der Schwerpunkt auf der Wahrung des Rechts auf Privatsphäre liegt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es sich bei den den Betreibern anvertrauten Daten um sensible Daten handelt wie beispielsweise Bankdaten oder Gesundheitsinformationen.
Was können wir dafür tun, dass die User die digitale Souveränität zurückgewinnen?
Zur Erlangung der digitalen Souveränität müssen die Schlüsseltechnologien und -kompetenzen beherrscht werden. Dabei muss die Abhängigkeit von Herstellern und der damit verbundene Vendor Lock-in gelöst werden. Ein Einzelner oder ein einzelnes Unternehmen kann nicht wirklich viel tun. Hier müssen die Länder wieder stärker das Thema in den Vordergrund rücken und die dazu notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Wenn wir heute im Binnenmarkt den Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital regeln, muss neu auch der Verkehr von Daten geregelt werden. Dazu gehört auch die Bereitstellung sicherer Transportwege und Speicherorte, welche die vertrauliche und sichere Übermittlung und Verarbeitung der Daten garantieren.
Wer kann dabei helfen, die digitale Souveränität wiederherzustellen?
Hier müssen Wirtschaft und Politik stärker zusammenrücken, um die dazu notwendigen Rahmenbedingungen schaffen zu können. Innovationen und Chancen technologischer Entwicklungen müssen gefördert und die rechtlichen Voraussetzungen dazu geschaffen werden. Bei der Forderung nach digitaler Souveränität sind wir nicht allein, und als Schweiz haben wir sicher nicht das Interesse, uns vom Internet abzukoppeln. Aber hier würde ein stärkeres Zusammenarbeiten mit anderen Ländern und Interessengruppen wie beispielsweise Gaia-X, helfen, die Grundlagenarbeit dazu leisten. Hierzu fehlt es aber in der Schweiz noch am notwendigen Willen.
Welche weiteren Trends gibt es im Zusammenhang mit Daten und deren Nutzung in der Cloud?
Die Abhängigkeit von der weltweiten Technologieinfrastruktur und insbesondere von der Public Cloud wirft aktuell einige Fragen auf, ob es wirklich klug ist, die Trends und Verhaltensweisen des letzten Jahrzehnts unreflektiert fortzusetzen. Man stelle sich vor, dass eines oder mehrere der transatlantischen Kabel einem Anschlag ausgesetzt würde, wie wir dies mit der Nordstream-Pipeline miterleben mussten. Viele Unternehmen wollen ihre Abhängigkeiten reduzieren und überlegen sich genau aus diesen Gründen, ihre Cloud-First-Strategie zu überdenken und doch wieder eine Hybrid-Strategie zu fahren. Dies jedoch nicht, um alte Legacy-Systeme aufrechtzuhalten, die sich eh nur schwer in die Cloud verschieben lassen. Nein, es geht vielmehr darum, sicherzustellen, dass der Wert der wesentlichen Daten im Unternehmen belassen werden. Dabei wird man aber nicht zwischen On- und Off-Premise unterscheiden, sondern man geht von einem gemeinsamen Daten-Ökosystem aus. Die Cloud wird in Zukunft nicht, wie vielfach gedacht, nur aus den Rechenzentren der grossen Cloud-Anbieter bestehen. Vielmehr wird sich die Cloud von den Rechenzentren der Cloud-Anbieter vermehrt auch auf die Rechenzentren der Kunden und sogar deren Edge-Standorte ausweiten. Man nimmt die Konzepte der Cloud, wie Cloud-Native-Entwicklung, die Einfachheit und Skalierbarkeit der Cloud, aber man überträgt diese auf das Edge Computing. In diesem Sinne sind heute die meisten Organisationen nicht wirklich hybrid. Hybride Szenarien werden strategisch wichtige Architektur-Entscheide notwendig machen. Die verteilte Cloud ist dabei das neue Paradigma. Es geht dabei nicht primär um die Frage nach dem Hosting-Standort. Es geht vielmehr um eine Reihe von Fähigkeiten, eine neue Denkweise und ein neues Betriebsmodell.
Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang das EU-Projekt Gaia-X insbesondere auch für die Schweiz?
Gaia-X ist ein von Europa initiiertes Projekt, in dem Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft aus Europa und der ganzen Welt zusammenarbeiten, um eine föderierte und sichere Dateninfrastruktur zu schaffen. Das Ziel dabei ist, dass Unternehmen und User Daten sammeln und so austauschen, dass sie die Kontrolle darüber behalten. Sie sollen entscheiden, was mit ihren Daten geschieht, wo sie gespeichert werden, und stets die Datenhoheit behalten. Heute sind bereits 350 Unternehmen und Organisationen wie beispielsweise die EZB, die Europäische Zentralbank, Mitglied. Dabei gibt es verschiedenste Initiativen, wie etwa den "Sovereign Cloud Stack" (SCS) mit der Absicht, nichts weniger als eine europäische Cloud-Plattform für Unternehmen und Behörden zu entwickeln. Es sollen interoperable Cloud-Services genutzt werden, die ausschliesslich auf Open-Source-Technologien basieren und somit keine Anbieterabhängigkeit entsteht. Die verschiedenen Länder sind als Hub bei der Gaia-X eingebunden und können ihre nationalen Anforderungen einbringen und so sicherstellen. Die Schweiz wäre aus Sicht von Gaia-X sicherlich willkommen, jedoch hat sich der Bund dazu noch nicht durchringen können. Das Thema «digitale Souveränität» wird zwar diskutiert. Es fand dazu am 1. November 2022 eine Diskussionsrunde unter der Leitung von Bundespräsident Ignazio Cassis mit dem Beirat Digitale Schweiz statt. Thema war die digitale Souveränität und wie die Schweiz die Handlungsfähigkeit im digitalen Raum stärken kann. Auf den Swiss Finish wird man wohl noch länger warten müssen.