Elektronisches Garn

Mit der smarten Laufhose Erschöpfung erkennen

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von Christoph Elhardt, ETH Zürich

ETH-​Forschende haben ein elektronisches Garn entwickelt, das Körperbewegungen sehr genau misst. Der Textilsensor kann direkt in Sport-​ oder Arbeitskleidung integriert werden und sagt die Müdigkeit des Trägers während körperlicher Belastung voraus.

Mit dem neuen Textilsensor kann zum Beispiel ermüdungsbedingten Sportverletzungen vorgebeugt werden. (Source: Elisa Kennemer / Unsplash.com)
Mit dem neuen Textilsensor kann zum Beispiel ermüdungsbedingten Sportverletzungen vorgebeugt werden. (Source: Elisa Kennemer / Unsplash.com)

Wer erschöpft ist, verletzt sich leichter – sowohl beim Sport als auch bei körperlicher Arbeit. ETH-​Forschende um Carlo Menon, Professor für mobile Gesundheitstechnologien, haben nun einen Textilsensor entwickelt, der in Echtzeit misst, wie erschöpft Menschen während körperlicher Belastung sind. Getestet haben sie den neuen Senor an einer Laufhose. Mit einem Blick auf das Smartphone konnten die Probanden feststellen, wann sie an ihre Belastungsgrenze kommen und besser eine Pause einlegen sollten.

Die von der ETH Zürich zum Patent angemeldete Erfindung könnte den Weg ebnen für eine neue Generation von smarten Kleidern: Denn bei vielen auf dem Markt verfügbaren Produkten werden elektronische Bauteile wie Sensoren, Batterien oder Chips nachträglich an der Kleidung fixiert. Dies macht die Herstellung umständlich, führt zu hohen Preisen und erschwert die Pflege der Produkte.

Im Unterschied dazu wird der Dehnungssensor der ETH-​Forschenden direkt in die Stofffasern elastischer und enganliegender Sport-​ oder Arbeitskleidung integriert, was die industrielle Produktion erleichtert und den Preis senkt. Ein weiterer Vorteil: "Durch den engen Körperkontakt des Sensors können wir Körperbewegungen sehr genau erfassen, ohne dass der Nutzer oder die Nutzerin das bemerkt", sagt Menon.

Die Forschenden Carlo Menon, Valeria Galli, Chakaveh Ahmadizadeh und Tyler Cuthbert (von links nach rechts) haben an der Entwicklung des Textilsensors mitgewirkt. (Source: Martin Ruetsche / ETH Zürich)

Ein aussergewöhnliches Garn

Wenn Menschen müde werden, bewegen sie sich anders. So auch beim Laufen: Die Schritte werden kürzer und weniger regelmässig. Diesen Effekt messen die ETH-​Forschenden mit ihrem neuen Sensor, der aus einem speziellen Garn besteht.

Möglich wird dies durch den Aufbau des Garns: Die innere Faser besteht aus einem leitenden, elastischen Gummi. Spiralförmig um diesen herum wickelten die Forschenden einen steifen Draht, der mit einer dünnen Kunststoffschicht verkleidet ist. "Die beiden Fasern wirken als Elektroden und erzeugen ein elektrisches Feld. Sie bilden gemeinsam einen Kondensator, der eine elektrische Ladung speichern kann, die wir als Kapazität bezeichnen", erklärt Tyler Cuthbert, der als Postdoc in Menons Gruppe forschte und massgeblich an der Entwicklung beteiligt war.

Ein steifer, leitender Draht (orange) wird spiralförmig um einen elastischen, leitenden Gummi (schwarz) gewickelt. Links statisch, rechts unter Zug. (Source: Tyler Cuthbert / ETH Zürich)

Die intelligente Laufhose

Stickt man dieses Garn nun auf der Höhe des Oberschenkels auf eine elastische Laufhose wird es beim Laufen in einem gewissen Rhythmus gedehnt und wieder gelockert. Bei jeder Bewegung ändert sich der Abstand zwischen den beiden Fasern und damit auch das elektrische Feld sowie die Kapazität des Kondensators.

Der Textilsensor über dem Knie ist mit einer Antenne verbunden, die am Bund der Hose eingelassen ist. Zusammen bilden sie einen Schaltkreis, mit dem Bewegungen gemessen werden können. (Source: Valeria Galli / ETH Zürich)

Unter normalen Umständen wären diese Kapazitätsschwankungen sehr klein und würden nicht ausreichen, um damit Körperbewegungen messen zu können. Doch die Eigenschaften des Garns sind alles andere als normal: "Im Unterschied zu den meisten anderen Materialien wird es dicker, wenn man daran zieht", erklärt Cuthbert. Dadurch wird das Garn sehr viel sensibler gegenüber kleinsten Bewegungen. Dehnt es sich geringfügig aus, entstehen deutlich messbare Schwankungen in der Kapazität des Sensors. Bereits subtile Veränderungen im Laufverhalten können so gemessen und ausgewertet werden.

Doch wie kann man daraus die Müdigkeit einer Person ableiten? In einem früheren Forschungsprojekt haben Cuthbert und Menon eine Reihe von Probanden beim Laufen beobachtet, während sie eine Laufhose mit einem ähnlichen Sensor trugen. Sie zeichneten auf, wie sich die elektrischen Signale des Sensors bei zunehmender Müdigkeit änderten. Aus diesem Muster haben die Forschenden dann ein Modell erstellt, das die Erschöpfung von Läufern vorhersagt und auch für den neuen Textilsensor eingesetzt werden kann.  Damit das Modell auch ausserhalb des Labors zuverlässige Vorhersagen macht, braucht es allerdings noch zahlreiche weitere Tests und eine Menge Bewegungsdaten.

Textilantenne für die kabellose Datenübertragung

Um die elektrischen Signale des Textilsensors ohne Kabel an ein Smartphone zu übertragen, haben ihn die Forschenden mit einer Spulenantenne aus leitendem Garn verbunden, die ebenfalls direkt auf die Laufhose gestickt wurde. "Sensor und Antenne bilden zusammen einen elektrischen Schaltkreis, der vollständig in der Kleidung integriert ist", sagt Valeria Galli, Doktorandin in Menons Gruppe.

Vergrösserte Ansicht: Illustration des Schaltkreises in der Laufhose.

Textilsensor und Textilantenne bilden einen elektrischen Schaltkreis. Wird der Sensor gedehnt, sendet die Antenne ein Signal aus, das von einem Smartphone gelesen werden kann (Source: Valeria Galli / ETH Zürich)

Das elektrische Signal des Dehnungssensors führt nun dazu, dass die Antenne ein Signal in einer bestimmten Frequenz aussendet, das von einem Smartphone gelesen werden kann. Wird der Sensor während des Laufens bewegt, entsteht ein Signalmuster mit einer ständig schwankend Frequenz, die von einer App in Echtzeit aufgezeichnet und ausgewertet werden kann. Dies ist allerdings Zukunftsmusik und erfordert noch einiges an Entwicklungsarbeit.

Vergrösserte Ansicht: Ein gelbes Stück Stoff mit der aufgestickten Antenne.

Die Antenne wird spulenförmig direkt auf den Stoff gestickt. (Source: Valeria Galli / ETH Zürich)

Anwendungen im Sport und am Arbeitsplatz

Aktuell arbeiten die Forschenden daran, aus dem Prototyp ein marktreifes Produkt zu machen. Dafür bewerben sie sich um eines der begehrten Pioneer Fellowship der ETH Zürich. "Unser Ziel ist, intelligente Kleidung günstiger herzustellen und damit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen", sagt ETH-​Professor Menon. Anwendungen sieht Menon dabei nicht nur im Sport, sondern auch am Arbeitsplatz, um ermüdungsbedingten Verletzungen vorzubeugen, oder im Bereich der Rehabilitationsmedizin.

Literaturhinweis
Cuthbert T, Hannigan B, Roberjot P, Shokurov A, Menon C. HACS: Helical Auxetic Yarn Capacitive Strain Sensors with Sensitivity Beyond the Theoretical Limit. Advanced Materials. 2023. doi: 10.1002/adma.202209321

Dieser Beitrag ist zuerst auf ETH-News erschienen

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