Mit vereinten Kräften gegen das Papier
Das Archiv, die Justiz, das Sozialamt – überall laufen Projekte zur Digitalisierung. Am zweiten Tag des Swiss E-Government Forums gaben die Referierenden Einblicke in den Stand der Dinge. Ihre Bemühungen tragen Früchte. Doch noch geht es in der Verwaltung nicht ohne gehörig viel Papier.
Digitalisierung gelingt eher, wenn man sie gemeinsam anpackt. Dass diese Message in vielen öffentlichen Verwaltungen der Schweiz angekommen ist, wurde im Verlauf des Zweiten Tags des diesjährigen Swiss E-Government Forums deutlich. Alle Referierenden, die in Bern auftraten, stellten Projekte und Initiativen vor, um sich bei der digitalen Transformation zu unterstützen.
Das Sinnbild dazu lieferte Marcel Kessler, Leiter Programmkoordination und Unterstützung Geschäftsstelle bei der Digitalen Verwaltung Schweiz (DVS), die Anfang 2022 ihre Arbeit aufgenommen hat. "Wir sind ein ziemliches Räderwerk", erklärte er. "Bewegt sich ein Rädchen, bewegen sich auch die anderen." Ebenso könne ein Rädchen die anderen auch ausbremsen.
Aufgabe der DVS sei es, digitale Vorhaben in den drei föderalen Ebenen Bund, Kantone und Gemeinden zu fördern, rief er in Erinnerung. Die DVS vernetze Akteure in der ganzen Schweiz, koordiniere die Steuerung diverser Vorhaben, liefere aber auch bestimmte Basisdienste und wolle Vertrauen schaffen und den digitalen Kulturwandel unterstützen. Erst kürzlich hat der Bundesrat eine neue Finanzierungsvereinbarung für die DVS genehmigt; und auch die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) habe die Vereinbarungen angenommen, wie Kessler erwähnte.
Danach stellte er die sechs Schlüsselprojekte der DVS vor, die sie aus mehr als 20 begleiteten Digitalisierungsvorhaben bestimmt hat: Ein nationaler Adressdienst, die Schaffung einer Schweizerischen elektronischen Identität (E-ID), ein schweizweit einheitliches Login für Behördenportale (Agov), elektronische Abstimmungen und Wahlen (E-Voting), die Schaffung eines Daten-Ökosystems sowie eine Fachapplikation für das Agrarwesen. Die DVS stelle sicher, dass alle drei föderalen Ebenen in die Projekte einbezogen werden.
Abrechnen und archivieren
Nicht von Rädchen, sondern von Brücken sprach Guido Zibung, Leiter der Geschäftsstelle Egovpartner des Kantons Zürich. Seine Organisation bringe Menschen aus der kantonalen Verwaltung mit jenen der Gemeinden und Städten zusammen, mit dem Ziel, die digitale Transformation in den öffentlichen Verwaltungen zu optimieren. Unter anderem war Egovpartner am Projekt "mein-uster.ch" beteiligt, welches am 1. Tag der Fachkonferenz vorgestellt wurde. In seinem Vortrag präsentierte Zibung ein weiteres Beispiel: die Schaffung eines digitalen Melde- und Abrechnungswesens (DMA) für die sozialen Dienste. In diesem Bereich tauschen sich Kanton und Städte und Gemeinden aktuell oft noch auf dem Postweg aus. Das aktuelle System sei kompliziert, fehleranfällig, langsam und sorge für Frust und Ärger, erklärte Zibung. Im Rahmen diverser Workshops, an denen Personen der beiden Ebenen Gemeinde und Kanton teilnahmen, nahm Egovpartner den analogen Prozess unter die Lupe, identifizierte die Pain Points und entwickelte eine neue, digitale Version. "Man konnte auf Augenhöhe diskutieren und eine gemeinsame Vision für den Soll-Prozess erarbeiten"; kommentierte Zibung. Zudem habe man ein paar "Low hanging Fruits" entdeckt – Dinge, die man am Prozess sofort verbessern konnte. Ganz umgesetzt ist die Vision jedoch noch nicht. Laut Zibung übergab Egovpartner das Projekt dem Zürcher Sozialamt zur weiteren Bearbeitung.
Guido Zibung, Leiter der Geschäftsstelle Egovpartner des Kantons Zürich. (Source: zVg)
Ein weiteres Beispiel der Zusammenarbeit lieferte Ernst Guggisberg, Staatsarchivar des Kantons Zug. Das kantonale Staatsarchiv erarbeitete gemeinsam mit diversen Zuger Gemeinden – zusammengefasst im Zuger Archivverbund - ein digitales Archivierungssystem für öffentliche Verwaltungen. Dabei geht es um mehr als eine einfache PDF-Ablage, wie Guggisberg verdeutlichte.
So müssten die dort abgelegten Akten authentisch die Urheberschaft sowie den Zeitpunkt der Erstellung wiedergeben. Sie müssen vollständig und gegen Veränderungen geschützt sein. Weitere Herausforderungen stellen die Vielzahl genutzter Dateiformate und die oft mangelhaften Metadaten dar, erklärte er unter Berufung auf die vergangenen Pilotprojekte. Oft sei auch schon der Export der Dokumente aus Fachapplikationen herausfordernd. Manche Gemeinden druckten Dokumente deshalb zur Archivierung noch auf Papier, bemerkte er.
Ernst Guggisberg, Staatsarchivar des Kantons Zug (Source: zVg)
Aufgrund des hohen Aufwands, den das digitale Archivieren mit sich brachte, hätten ein paar Gemeinde die Versuche wieder beendet, räumte Guggisberg ein. Um den Aufwand zu senken, brauche es unter anderem eine durchgehend digitale Aktenführung und eine Schnittstelle zur Anbindung an das Archiv. Eine solche Schnittstelle will das Staatsarchiv mit ersten Pilotgemeinden demnächst entwickeln.
Justizlösung für die Schweiz
Bereits seit 2006 arbeiten der Kanton St.Gallen und die St.Galler Gemeinden beim Thema E-Government zusammen. Davon berichteten Philipp Egger, Leiter Informatik Infrastruktur der kantonalen Staatskanzlei sowie Bernhard Keller, Geschäftsführer der Vereinigung der St. Galler Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten (VSGP). Institutionalisiert ist diese Zusammenarbeit in der Organisation St. Gallen Digital. Sie legt nicht nur Standards, sondern auch strategische E-Government-Services fest. Dabei hat sie gesetzliche Verordnungskompetenz, kann also eine Software beschaffen, die Kanton und Gemeinden dann verbindlich nutzen müssen.
Um solche gemeinsamen Projekte "auf den Boden zu bringen"; sei die Durchsetzungskompetenz zentral, fügte Keller an. Wichtig sei aber auch dass Kanton und Gemeinden ihre Entscheide paritätisch fällen.
Philipp Egger, Leiter Informatik Infrastruktur der kantonalen Staatskanzlei (links) und Bernhard Keller, Geschäftsführer der Vereinigung der St. Galler Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten (VSGP) (rechts). (Source: zVg)
Man gehe die Digitalisierung schrittweise an, stellte Egger klar. "Wir können nicht einfach einen Schalter umlegen". Auf dem Weg müssten auch die bisherigen Prozesse überdacht und angepasst werden.
Als "hehres Ziel" bezeichnete Keller die Vision, ein gemeinsames Login für sämtliche digitalen Behördendienste von Kanton und Gemeinden einzuführen. Weitere geplante Projekte sind eine Schulsoftware, eine Lösung für die Steuererklärung sowie eine Plattform für Bauausschreibungen.
Schliesslich gab Jacques Bühler vom Schweizerisches Bundesgericht einen Überblick über die Digitalisierungsbestreben in der Justiz. In seinem Vortrag ging es nicht nur um die von Zühlke und Elca betriebene Plattform "Justitia.swiss", über die künftig Justizbehörden und Anwälte sicher Dokumente austauschen sollen. Eine erste Version der Plattform soll im März 2024 bereit sein.
Jacques Bühler, Erster Adjunkt des Generalsekretärs und Gesamtprojektleiter Justitia 4. (Source: zVg)
Doch die Digitalisierung der Justiz braucht noch weit mehr. Um die Plattform nutzen zu können, brauche es zuvor noch gesetzliche Anpassungen, die aktuell im Nationalrat hängig seien, wie Bühler ausführte. Diese sollen den komplett digitalen Dokumentenaustausch im Rechtswesen legalisieren. Auch in den Kantonen werde Gesetze angepasst werden müssen. Digitalisierung bedeute auch neue Prozesse, die wiederum Schulungen und neue Infrastrukturen nötig mache. Als Beispiel für letzteres erzählte Bühler von einem Gerichtssaal ohne Bildschirme. Dort habe man die Akten ausdrucken müssen, um sie für Verhandlungen verwenden zu können. Es dauert also auch hier noch etwas, bis der Kampf gegen das Papier beendet ist.
Am ersten Tag des Swiss E-Government Forums drehte sich alles um den digitalen Föderalismus und darum, welche Herausforderungen es zu meistern gilt, aber auch, welche Möglichkeiten sich ergeben. Hier geht’s zum Eventbericht.