Marktentwicklung

Custom Software – ­Totgesagte leben länger

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von Pascal Sieber, VRP und Berater, Sieber & Partners

Der Markt für Custom Software, wir sprechen von Individualsoftware, wächst weiterhin, auch wenn es gute Argumente für eine Verschiebung zugunsten von Standardsoftware gibt. In diesem Artikel gehen wir auf die Argumente für und gegen das Wachstum der Individual­software ein und zeigen auf, dass in der Schweiz beide Teilbranchen etwa gleich stark gedeihen.

Pascal Sieber, VRP und Berater, Sieber & Partners. (Source: zVg)
Pascal Sieber, VRP und Berater, Sieber & Partners. (Source: zVg)

Die Inbetriebnahme von Standardsoftware kann meistens in kürzerer Zeit erfolgen als jene von individueller Software. Individuelle Software muss nämlich zuerst noch geplant, gebaut und getestet werden. Eine Standardsoftware ist für den Kunden zudem oft kostengünstiger als eine individuelle Software, weil sich viele Kunden die Kosten für die Software teilen. Die Herstellung von individueller Software wird dank methodischer und technischer Fortschritte allerdings immer effizienter, was die beiden Argumente für die Standardsoftware schmälert.

  • Halbfabrikate: Individualsoftware-Entwicklungsfirmen nutzen Teile von Softwarecode in mehreren Projekten. Ebenso nutzen sie Komponenten und Routinen aus Open-Source-­Bibliotheken. Die Programmiererinnen und Programmierer greifen also auf Halbfabrikate zurück, was den Aufwand für die Entwicklung reduziert.
  • Low-Code: Low-Code-Plattformen wie Appian, Mendix, Outsystems oder Microsoft Power Apps ermöglichen es Unternehmen, Anwendungen mit weniger manueller Programmierung zu erstellen. Dies ermöglicht es Fachleuten, zur Erstellung von Anwendungen beizutragen, wodurch sich die Abhängigkeit von qualifizierten Entwicklerinnen und Entwicklern verringert.
  • Künstliche Intelligenz: KI spielt eine zunehmende Rolle bei der Automation verschiedener Aufgaben während des Entwicklungszyklus. Von der Generierung von Code bis zur Identifizierung und Behebung von Fehlern vereinfacht KI die Arbeiten von Entwicklerinnen und Entwicklern. Diese können sich auf übergeordnete Aufgaben konzentrieren und Routine- und zeitaufwendige Tätigkeiten der KI überlassen. Dies beschleunigt die Entwicklung.
  • Plattformübergreifende Entwicklung: Immer mehr Applikationen bestehen aus Web-, Mobile- und Desktopkomponenten. Plattformübergreifende Entwicklungs-Frameworks ermöglichen es Entwicklerinnen und Entwicklern, Anwendungen zu erstellen, die auf verschiedenen Plattformen und Geräten ausgeführt werden können, wodurch der Entwicklungsprozess rationalisiert und der Wartungsaufwand verringert wird.
  • Shoring: Das Aufkommen von Tools für die Fernarbeit und Zusammenarbeit hat einen tiefgreifenden Einfluss auf die Praktiken der Softwareentwicklung. Unternehmen setzen auf verteilte Entwicklungsteams und nutzen die Technologie, um eine Zusammenarbeit über geografische Grenzen hinweg zu vereinfachen. Die Remote-Entwicklung ermöglicht es Unternehmen, auf einen globalen Talentpool zurückzugreifen, der Innovationen und unterschiedliche Perspektiven fördert. Tools für die Remote-Zusammenarbeit, die Versionskontrolle und die gemeinsame Nutzung von Code führen zu weiteren Produktivitätssteigerungen.

Teilmarktentwicklung

Die beschriebenen Trends sprechen dafür, dass es weiterhin wirtschaftlich bleibt, individuelle Software zu erstellen. Die Skalierung von Standardsoftware wird allerdings ebenfalls ständig einfacher und effizienter. Dank der global verfügbaren Cloud-Plattformen, der immer besseren mobilen und stationären Datennetze und der immer höheren Abdeckung und Durchdringung von Unternehmen und privaten Haushalten mit Informatik finden Anwendungen immer mehr Nutzerinnen und Nutzer und somit fallen die Kosten pro Kunde für Standardsoftware. 

Die folgenden Statistiken zur Schweizer Softwarebranche bestätigen, dass sich die Trends die Waage halten und beide, Individual- und Standardsoftware-Hersteller, etwa gleich stark wachsen und im Durchschnitt ähnlich gut rentieren.

  • Wachstum: Das durchschnittliche Wachstum der Software­branche in der Schweiz zwischen 2017 und 2024 beträgt 4,3 Prozent bei einem durchschnittlichen BIP-Wachstum von 1,5 Prozent. Die Teilbranche der Standardsoftware wuchs durchschnittlich um 6,8 Prozent, jene der Individual­softwareentwicklung um 5,3 Prozent (Grafik 1).
    Grafik 1: Umsatzwachstum
  • Rentabilität: Die Margen in der Softwarebranche (Ebit/Umsatz) betrugen im gleichen Zeitraum durchschnittlich 8,1 Prozent. In der Standardsoftwareentwicklung lag der Durchschnitt bei 6,7 Prozent, in der Individualsoftwareentwicklung bei 7,3 Prozent (Grafik 2).
    Grafik 2: Rentabilität
  • Branchenfokus: Individualsoftware ist nicht in allen Branchen und Unternehmensgrössen gleich wichtig. Sehr klei-ne Unternehmen nutzen weniger Individualsoftware als sehr grosse. In Branchen mit landesspezifischen Regulierungen hat Individualsoftware eine grössere Bedeutung als in nicht regulierten Branchen, denn dort etablieren sich eher international tätige Standardsoftwareanbieter.

Die meisten Softwarefirmen in der Schweiz sind national tätige Nischenplayer. Nur etwa 7 Prozent des Branchenumsatzes wird im Ausland erwirtschaftet. Die Softwarefirmen positionieren sich oft sogar regional und konzentrieren sich auf einzelne Funktionen wie Finanzmanagement, Personalwesen, Marketing, Produktion oder auf einzelne Branchen.

Die Standardsoftwarehersteller der Schweiz sind seltener auf einzelne Branchen fokussiert als die Individualsoftwarehersteller. Auf den ersten Blick mag dies erstaunen, allerdings wird auf den zweiten Blick klar, dass die Standardsoftwarehersteller oft eine Funktion wie etwa Buchhaltung abdecken, diese dann aber für viele oder sogar alle Branchen. Individualsoftware wird hingegen vor allem für sehr spezifische Geschäftsfälle eingesetzt. Die Erfahrung mit diesen spezifischen Geschäftsfällen steigert die Produktivität der Softwareentwickler und die Qualität der Ergebnisse (Grafik 3).

Grafik 3: Branchenspezialisierung

Quelle: Alle Daten über die ­Softwarebranche in diesem Artikel stammen aus: Perrelet, S., Spizzo, M.N., ­Dibbern, J. (2023): Swiss Software Industry Survey 2023, Current State, Emerging Trends, and Long-term Developments, Bern, November 2023.

 

Software wird immer wichtiger

Software wird immer wichtiger für den Erfolg von Unternehmen und anderen Organisationen. Der Fortschritt in der Art und Weise, wie Software gebaut und integriert wird, findet in allen Teilmärkten gleichermassen statt. Die immer einfachere Verbreitung und die zunehmende digitale Fitness der Menschen und die immer bessere Infrastruktur führt dazu, dass immer mehr Lebens- und Arbeitsbereiche mit Software durchdrungen werden. 
Aus der Sicht der Softwareanbieter gibt es aufgrund der Betrachtungen in diesem Artikel eine Chance im Markt für individuelle und für Standardsoftware. Auf der Seite der Anwenderorganisationen werden weiterhin Standard- und Individualsoftware koexistieren, und so trifft man in jedem Unternehmen ein Softwareportfolio aus vielen verschiedenen Anwendungen an. Damit diese Softwareportfolios ihren besten Nutzen entfalten können, muss die Integration aus der Sicht der Endanwender (End-to-End-Integration) sichergestellt werden. Auch der Markt für Softwareintegration wächst mit durchschnittlich gut 5 Prozent.

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