Warum die Apple Vision Pro fasziniert - und wo sie drückt
Apples erste Datenbrille, die Vision Pro, kommt mit hohen Erwartungen. Um zu prüfen, ob die VR-Brille hält, was sie verspricht, setzte die Redaktion die Vision Pro auf, streichelte Dinosaurier und balancierte auf einem Hochseil. Ausserdem testete die Redaktion die barrierefreien Features der Vision Pro.
Vor rund einem Jahr hat Apple den Aufbruch in eine neue Welt angekündigt: Der Hersteller präsentierte mit der Vision Pro seine erste Datenbrille. Das Virtual-Reality-Headset soll die Realität mit der digitalen Welt verschmelzen, wie der Tech-Konzern damals ankündigte. "Die Vision Pro schafft eine unendliche Arbeitsfläche für Apps, die über die Grenzen eines traditionellen Displays hinausgeht, sowie eine vollständig dreidimensionale Benutzeroberfläche", schreibt Apple zum neuen Gerät.
Nach der vielversprechenden Ankündigung im Sommer 2023 folgte aber das grosse Warten. Die Markteinführung begann erst Anfang Februar 2024 - und vorläufig auch nur in den USA. Wann die Datenbrille in der Schweiz erhältlich sein wird, ist noch nicht bekannt. Erste Pioniere hierzulande haben das Gerät aber bereits und tüfteln schon an möglichen Anwendungen der Vision Pro. Zu diesen Pionieren gehört Augment IT. Die ehemalige AR- und VR-Geschäftseinheit der Softwareschmiede Netcetera machte sich vor rund einem Jahr selbstständig (lesen Sie hier mehr zu den Zielen und Plänen von CEO Reto Grob für seine Firma). Das Unternehmen zeigte der Redaktion, was die Apple Vision Pro zu bieten hat.
Die Apple Vision Pro mit dem Akku sowie im Hintergrund das Travel Case. (Source: Netzmedien)
Ein Schmuckstück mit Problemen
"Wir befinden uns an einem Schlüsselpunkt", gab sich Grob überzeugt, während er der Redaktion die Apple Vision Pro näherbrachte. In fünf Jahren, prognostizierte er, werden VR-Brillen so gewöhnlich sein wie iPhones und iPads.
Dabei ist Apple bekanntlich längst nicht der erste Anbieter eines solchen Gadgets. Was die Vision Pro von anderen Geräten wie etwa Metas Quest oder Microsofts Hololens unterscheidet, sei die Bildqualität, erklärt der Augment-IT-CEO: "Auf der Quest sieht man noch Pixel, auf der Vision Pro nicht. Und wenn man in eine andere Welt eintauchen will und dort Pixel erkennt, hindert dies die Immersion." Auch in puncto Material wirkt das Apple-Produkt hochwertiger - Grob bezeichnete es im Verlauf der Präsentation als "Schmuckstück". Die VR-Brille Quest habe dagegen eher "Plastikschmuckqualität".
Für die Massen eigne sich die Apple Vision Pro jedoch noch nicht, schränkte Grob ein. Der hohe Preis des Gadgets sei nur eines der Probleme, die das "Erstgenerationsgerät" habe. Für die Datenbrille verlangt der Hersteller fast 3500 Franken. Auch bezüglich der verfügbaren Anwendungen muss man Abstriche machen. Für VR-Anwendungen im Unternehmensbereich sind laut Grob Microsofts Produkte besser geeignet. Hier erweise es sich für die Apple Vision Pro als Nachteil, dass das Gerät primär für jeweils einen User konfiguriert ist - von einem eingeschränkten Gast-Modus abgesehen. Das Headset sei nicht dafür gedacht, es etwa mit Kollegen und Kolleginnen in der Firma zu teilen.
CEO Reto Grob und CSO Elias Remele von Augment IT. (v.l.; Source: Netzmedien)
Mit einer Akkulaufzeit von bis zu drei Stunden steht die Vision Pro etwas besser da als die Meta Quest 3. Microsofts Hololens hält zwar ein paar Stunden länger durch, sie muss aber auch kein vergleichbares Display am Laufen halten.
Ein Display mit (virtuellem) Durchblick
Im Test besuchte die Redaktion Dinosaurier, balancierte auf einem Hochseil und schaute ein Fussballspiel im virtuellen Stadion, ausserdem probierte sie die Facetime-Funktion aus und versuchte, ein paar Notizen zu verfassen. Die Vision Pro ist vom Aufbau her zwar klar eine VR-Brille; ein Display versperrt die Sicht auf die Aussenwelt. Mit der Pass-Through-Funktion soll man Apples Datenbrille aber wie eine Augmented-Reality-Brille nutzen können. Hierfür wird die Umgebung mit zahlreichen Kameras aufgezeichnet und auf dem Display dargestellt - so als könne man durch sie hindurchsehen.
Dieses Feature funktionierte im Test erstaunlich gut. Die Auflösung ist so hoch und die Latenz so niedrig, dass man vergessen könnte, dass man die Umwelt gar nicht wirklich sieht. Beim Selbstversuch war es sogar problemlos möglich, einen zugeworfenen Stift zu fangen und zurück zu werfen, während man die Vision Pro trägt.
Die Apple Vision Pro soll digitale und physische Welten verschmelzen. (Source: Netzmedien)
Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Vision Pro - auch rechtlich gesehen - keine AR-Brille ist. Ein Beispiel: Drohnen dürfen nur mit direktem Sichtkontakt - ohne technische Hilfsmittel - geflogen werden. Ein First-Person-View-Flug mit einer AR-Brille wäre also möglich - sofern die eingeblendete Sicht von der Drohne nicht die Sicht auf die Drohne verdeckt. Wer dafür eine VR-Brille tragen will, muss hingegen eine zweite Person dabei haben, die den Flug überwacht und jederzeit eingreifen und die Steuerung der Drohne übernehmen kann - auch wenn man die Drohne auf dem Display der VR-Brille quasi vom Boden aus sehen kann.
Die Vision Pro wird über eine Kombination von Augentracking und Gesten gesteuert. Dies funktioniert in der Praxis enorm gut. Wer gerade nicht an die korrekte Geste denkt, kann die Menu-Buttons aber auch direkt im virtuellen Raum antippen. Dies macht die Steuerung enorm einfach und intuitiv. Die Apple Vision Pro hat noch einen weiteren Trick auf Lager in diesem Zusammenhang: Wenn man eine Person anblickt, während man durch imaginäre Welten wandert, wird diese in der virtuellen Umgebung schemenhaft sichtbar; je stärker man den Blick auf die Person konzentriert, desto deutlicher sieht man sie - auch wenn man gerade lebensgrosse Dinosaurier bestaunt.
Brillenträger bittet Apple übrigens doppelt zur Kasse. Unter der Datenbrille bleibt nämlich kein Platz mehr für eine gewöhnliche Brille. Damit Kurz- und Weitsichtige nicht mit ausgestreckten Armen voran durch die VR-Welt tapsen müssen, bietet Apple optionale Korrekturgläser von Zeiss an. Diese kosten allerdings 99 US-Dollar. Die Gläser halten magnetisch in der Vision Pro und müssen mit eigenen Pairing Codes in der Datenbrille erfasst werden. Dies sei nötig, um sicherzustellen, dass die visuellen Elemente korrekt angezeigt werden, heisst es seitens des Herstellers. Im Test standen die Korrekturgläser nicht zur Verfügung.
Im Test liefen der Redaktion auch Dinosaurier über den Weg. (Source: Netzmedien)
Abgesehen vom Preis scheint nur ein Problem die Euphorie rund um die Vision Pro zu dämpfen: Die Gewichtsverteilung ist ein Klotz am Bein der Datenbrille. Fast das komplette Gewicht ist im vorderen Teil des Geräts und ruht somit direkt auf der Nase. Dies kann schon relativ schnell zu einem unangenehmen (oder bei schlecht individuell angepassten Komponenten gar schmerzhaften) Druck auf den Nasenrücken führen. Das neue Dual-Loop-Band, das über den Kopf führt, hilft zwar. "Und der Druck ist weniger ein Problem, wenn man die Brille richtig an die Gesichtsform anpasst", erinnert Grob, "aber die Gewichtsverteilung bleibt schwierig." Microsofts Hololens sei nominell zwar gleich schwer, fühle sich aufgrund der besseren Verteilung des Gewichts beim Tragen jedoch leichter an, erklärte er. Die getestete Vision Pro hatte kein Dual-Loop-Band.
Die Gewichtsverteilung ist eine der drei Wünsche, die Augment-IT-CEO Grob für eine künftige Version der Datenbrille hat. Der zweite Wunsch betrifft das Identity Access Managment - die Vision Pro ist nämlich jeweils für einen einzelnen individuellen Nutzer oder eine Nutzerin gedacht. Das Gerät mit anderen Personen teilen, ist schwierig, da man den ganzen Konfigurationsprozess neu durchlaufen muss - ganz zu schweigen von den physischen Komponenten, die möglicherweise ausgetauscht werden müssen. Der dritte Wunsch von Grob sind erweiterte Freiheiten für Entwickler wie Augment IT, die mit der Vision Pro arbeiten wollen. Aktuell können Entwickler beispielsweise nicht auf die Kamera zugreifen, wie Grob erklärte. Im Gegensatz dazu erhielten App-Entwickler uneingeschränkten Zugriff auf die gesamte Hardware von Konkurrenzprodukten wie diejenigen von Magic Leap. Grob geht aber davon aus, dass Apple die Vision Pro noch schrittweise öffnen wird.
Augment IT hat sich in einem Blogbeitrag mehr mit VisionOS, dem Betriebsystem der Vision Pro, sowie mit dessen Software Development Kit (SDK) befasst. "Ein aufregendes neues Kapitel im Bereich der Extended Reality", wie das Unternehmen schreibt. Den Beitrag finden Sie hier.
Ohne zu sehen geht’s auch - theoretisch
Apple misst dem Thema Accessibility einen hohen Stellenwert zu. "Bei der Barrierefreiheit geht es nicht nur darum, Informationen für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen, sondern für alle Menschen, unabhängig von ihren Fähigkeiten oder ihrer Situation", erklärt das Unternehmen in seiner Dokumentation für Entwickler. Dass Apple den Worten Taten folgen lässt, weiss Netzwoche-Redaktor René Jaun aus erster Hand. Obwohl er vollständig blind ist, nutzt er tagtäglich ein iPhone. Möglich ist dies dank eines im iOS-Betriebssystem integrierten Screen-Readers.
Diesen Bildschirmleser namens "Voiceover" bietet Apple auch auf der Vision Pro an. Ist er aktiv, liest eine synthetische Stimme jeweils das gerade fokussierte Element vor. Zudem erlauben es zusätzliche Handgesten, durch die Benutzeroberfläche zu navigieren. Die dafür nötigen Fingergesten fühlen sich angenehm an, auch wenn sie weniger intuitiv sind als die Steuerungsgesten auf einem iPhone. Das räumliche Empfinden, welches die Vision Pro für sehende User bietet, kompensiert das Gerät indem die Navigationsgeräusche jeweils aus der Richtung kommen, in der sich ein fokussiertes Element befindet.
Redaktor René Jaun testet die barrierefreien Funktionen der Vision Pro. (Source: Netzmedien)
Das beim ersten Start von "Voiceover" angebotene Lernprogramm ist zwar hilfreich, jedoch auch recht kurz gehalten und lässt viele Fragen offen. Daher ist es wohl unerlässlich, möglichst viele der Steuerungsgesten frühzeitig zu kennen. Zudem erkannte die Datenbrille im Test nur die Gesten der rechten Hand. Die Gesten mit der linken Hand wurden von Apples Headset schlicht ignoriert, womit auch eine ganze Reihe Steuerungsgesten nicht funktionierten. Erfolglos bleiben auch die Versuche, die Fokus-Steuerung der Apple Vision Pro umzustellen: In den Bedienungshilfen gibt es theoretisch die Möglichkeit, von "Augensteuerung" auf "Kopfsteuerung" umzuschalten. Dies schien jedoch keinen spürbaren Effekt zu haben. Bis zum Ende der für den Test verfügbaren Zeit konnten diese Probleme nicht gelöst werden. Aufgrund der durchwegs positiven Erfahrung hinsichtlich der Barrierefreiheit auf dem iPhone ist aber davon auszugehen, dass sich die Vision Pro tatsächlich auch ohne Augen steuern lässt.
Fazit
Für Entwickler mag die Vision Pro aktuell zwar mit einigen Hürden und Schranken daherkommen. Grob geht davon aus, dass sich dies noch ändern wird. Bis dahin braucht sich Apples VR-Erstling aber gewiss nicht vor der Konkurrenz zu verstecken. Die Vision Pro ist ein beeindruckendes Stück Hardware, das vor allem im Consumer-Umfeld viel Potenzial hat. Die Datenbrille punktet mit ihrer leichten Handhabung und der guten Bildqualität. Ein weiterer Pluspunkt sind Apples Bemühungen, die Datenbrille barrierefrei zu machen - etwa durch die Integration der Voiceover-Funktion sowie durch zusätzliche Gesten und einen alternativen Steuerungsmodus. Dass nicht alle diese Features im Test funktionierten, lag möglicherweise auch an der kurzen Zeit, die für die individuelle Anpassung zur Verfügung stand. Schliesslich bietet die Steuerung eines iPhones ohne Augen durchwegs positive Erfahrungen. Negativ fiel bei der Vision Pro vor allem die Gewichtsverteilung und folglich der Tragekomfort auf. Zudem könnte der sehr stolze Preis von fast 3500 Franken viele Interessierte davon abhalten, sich tatsächlich eine Vision Pro zu kaufen.
Veranstaltungshinweis: Wer sich selbst einen Eindruck von der Apple Vision Pro machen möchte, sollte sich den 13. Juni im Kalender markieren. An dem Tag veranstaltet Augment IT mit der HSLU nämlich einen Event über den Einsatz von AR/VR in Training und Onboarding. Der Nachmittagsevent findet im Immersive Realities Center in Rotkreuz statt. Mehr Infos sowie die Möglichkeit, Tickets zu kaufen, finden Sie hier. Ein Ticket kostet 50 Franken.