Ausbildung

Informatikausbildung in der Schweiz: Wir müssen dranbleiben!

Uhr | Aktualisiert
von Walter Dettling

Seit mehr als 20 Jahren hören wir, dass die Schweiz viel zu wenige Informatiker ausbildet. Aktuell droht über 2000 Informatikern bei der UBS die Kündigung. Haben wir nun zu viele oder zu wenige Informatiker? Oder vielleicht nicht die richtigen?

Zielgruppen und Themenspektrum von Informatik-Masterstudiengängen an Fachhochschulen in der Schweiz. Das Themenspektrum kann in der Regel von den Teilnehmenden selbst aus dem bestehenden Angebot ausgewählt werden. (Quelle: Daten: FHNW; Tabelle: Netzmedien)
Zielgruppen und Themenspektrum von Informatik-Masterstudiengängen an Fachhochschulen in der Schweiz. Das Themenspektrum kann in der Regel von den Teilnehmenden selbst aus dem bestehenden Angebot ausgewählt werden. (Quelle: Daten: FHNW; Tabelle: Netzmedien)

Anmerkung der Redaktion: Der Gastautor Walter Dettling ist Dozent am Institut für Wirtschaftsinformatik der Hochschule für Wirtschaft FHNW und Leiter des "Opacc Campus" bei der Firma Opacc.

Um es gleich vorwegzunehmen: Die Berufsausbildungsstätten und die Hochschulen in der Schweiz sind bei der Informatikausbildung stark engagiert und bieten auf allen Stufen eine qualitativ hochstehende Ausbildungspalette an. Das zeigt ein kurzer Überblick über die Entwicklung der Informatikausbildung in den letzten 20 Jahren in der Schweiz.

Mit der grossen Verbreitung der Informatik in den Unternehmen, insbesondere in den KMUs, wurde auch die Berufsbildung in der Schweiz aktiv. Die ersten beiden Lehrberufe in der Informatik wurden Anfang der 90er-Jahre im Rahmen einer Bildungsoffensive des Bundes gestartet und in der Zwischenzeit mehrfach weiterentwickelt und überarbeitet. 2010 wurden im Auftrag des Verbandes ICT-Berufsbildung Schweiz im Rahmen zweier Studien über die Informatikfachkräfte die quantitativen und qualitativen Bedürfnisse der Unternehmen abgefragt.

Ausnahmslos anwendungsorientiert

In qualitativer Hinsicht folgert der Bericht, dass die Unternehmen in den Bereichen ICT-Systemtechnik und ICT-Betrieb, Softwareentwicklung und in ICT-Führung und ICT-Organisation Informatiker benötigen. Ein Blick auf das Angebot an Lehrberufen zeigt, dass 2012 neben einer generalistischen Ausrichtung, Applikationsentwicklung, Support und Systemtechnik angeboten werden. Diese Inhalte sind technisch orientiert. Berufe mit einer klaren Anwendungsorientierung wie zum Beispiel Kommunikation, Interaktion oder Organisation werden nicht angeboten.

Noch bevor die ersten Informatiklehrlinge ausgebildet wurden, haben die heutigen Fachhochschulen in den späten 80er-Jahren begonnen (damals als Technische Hochschulen oder Höhere Wirtschaftsschulen), Informatik in ihr Ausbildungsprogramm aufzunehmen. Zunächst wurde die Informatik als Teilgebiet in bereits bestehenden Studiengängen vermittelt, heute gibt es über 20 Fachhochschul-Studiengänge mit der Abschlussmöglichkeit auf Stufe Bachelor und einige wenige Masterstudiengänge. Diese sind ausnahmslos anwendungsorientiert. Bei den technischen Hochschulen sind es eher technische Anwendungen, die im Fokus stehen, bei den Wirtschaftshochschulen ist dies typischerweise die Wirtschaftsinformatik. Neben den Grundausbildungen bieten die Fachhochschulen auch eine breite Palette von Weiterbildungsprogrammen an. Diese unterteilen sich hauptsächlich in die unterschiedlich langen CAS (Certificate of Advanced Studies) und MAS (Master of Advanced Studies). Das Angebot an CAS in der Informatik ist an den Schweizer Fachhochschulen sehr umfangreich und auch für Insider schwer zu überblicken. Etwas übersichtlicher wird es bei den MAS-Studiengängen. Eine Übersicht über die aktuell angebotenen oder geplanten Informatik-Masterstudiengänge mit den jeweiligen Zielgruppen und den Themenspektren zeigt die Tabelle oben.

Noch einige Jahre vor den Berufsschulen und den Fachhochschulen hat die Informatik an den Universitäten als Lehrstoff Einzug gehalten. Anfang der 80er-Jahre startete die ETH in Zürich ihren ersten Informatikstudiengang mit etwa 100 Studienanfängern. Heute gibt es in der Schweiz knapp 25 universitäre Informatikstudiengänge auf den Stufen Bachelor und Master. Damals wie heute ist das Informatikstudium naturwissenschaftlich geprägt und vermittelt die wissenschaftlichen Grundlagen der Informatik. Damit sind die Studiengänge interessant für junge Menschen, die einerseits ein Flair für Naturwissenschaften und andererseits ein Interesse daran haben, wie Computer und Programme aufgebaut werden und wie sie funktionieren.

Universelle Wissenschaftsmethodik

Mit der Verbreitung des Personal Computers hat die Informatik ab den 80er-Jahren begonnen, sich von einer rein technischen Wissenschaft zu einem breiten Themenfeld von anwendungsorientierten Disziplinen zu entwickeln. Viele dieser Themen lassen sich je nach ihrem fachlichen Schwerpunkt unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen zuordnen. So beschäftigt sich beispielsweise die Computerlinguistik mit der algorithmischen Verarbeitung von natürlicher Sprache. Je nach Schwerpunkt ist die Computerlinguistik ein Gebiet der künstlichen Intelligenz und damit der Computerwissenschaften oder sie lässt sich eher den Sprachwissenschaften zuordnen, wenn der Schwerpunkt bei der Linguistik liegt. Heute ist der Einsatz von Informatik aus den meisten Wissenschaften nicht mehr wegzudenken. Die Informatik wurde damit auch zu einer universellen Wissenschaftsmethodik. Es ist deshalb auch nicht erstaunlich, dass Methoden der Informatik in zahlreichen Studiengängen ausserhalb der Naturwissenschaften ebenfalls Gegenstand des Curriculums sind oder sogar eigenständige Studienrichtungen darstellen. So gibt es etwa Studiengänge in Wirtschaftsinformatik, Medizininformatik oder Medieninformatik. Auch diese Studiengänge stellen zumindest bezüglich des analytischen und formalen Denkens hohe Ansprüche, sind aber inhaltlich eher auf Anwendungen der Informatik ausgerichtet als die reinen Informatikstudiengänge.

Die Informatik ist allerdings in der Zwischenzeit nicht stehengeblieben. Die 90er-Jahre und der Anfang des 21. Jahrhunderts waren geprägt von der Kommerzialisierung des Internets. In dieser Entwicklungsphase war der quantitative Entwicklungsschub auf der anwendungsorientierten Seite wesentlich grösser als bei der eigentlichen Technologie. In der Ausbildung an den Hochschulen wurde dieser Trend selbstredend vor allem an den Wirtschaftsfakultäten und Wirtschaftsfachhochschulen aufgenommen. Unter dem Begriff Wirtschaftsinformatik finden sich zahllose Curricula, die sich mit den verschiedenen Konzepten und Methoden der elektronisch unterstützten Geschäftsabwicklung beschäftigen. Bei den technischen Fachhochschulen wurde ebenfalls erkannt, dass das Interesse der Studierenden über die Technik hinausgeht. Dies lässt sich anhand des Studiengangs Informatik an der FHNW in Brugg gut illustrieren. In den Jahren 2001 bis 2009 haben sich jeweils gut 40 Studierende für diesen technischen Studiengang angemeldet. 2010 wurde eine neue Vertiefungsrichtung "iCompetence" angeboten. Innerhalb von drei Jahren stiegen die Anmeldezahlen auf knapp 140 Studierende pro Jahr, knapp 40 Prozent davon sind Frauen!

Technischer Einstieg

Diese kurze und unvollständige Betrachtung der Informatikausbildung zeigt auf, dass die Schweiz aktiv und engagiert auf die sehr dynamische Entwicklung der Informatik reagiert hat. Es gibt auch viele Bemühungen, den zukünftigen Lehrlingen und Studierenden die vorhandenen Angebote schmackhaft zu machen. Allerdings wird dabei immer noch am technischen Einstieg in die Informatik festgehalten. Dies ist ein induktiver Ansatz, der davon ausgeht, dass man ein Werkzeug nur richtig anwenden kann, wenn man seinen Aufbau kennt und versteht. Diese Annahme ist nicht nur falsch, sondern verhindert, dass junge Menschen, die emotional offen für eine Ausbildung im Informatikumfeld wären, eine Ausbildung machen können, die ihren Interessen entspricht.

Zur Beantwortung der zu Beginn gestellten Fragen kann also festgehalten werden:

• Wir haben in der Schweiz einen stetigen Bedarf an neuen Informatikfachkräften. Die bisherigen erfolgreichen Ausbildungs- und Weiterbildungsaktivitäten müssen aber verstärkt und verbessert werden.

• Es wäre zu prüfen, ob die Attraktivität des Berufsfeldes Informatik nicht gesteigert werden könnte, wenn zu den bestehenden Studiengängen und Lehrberufen zusätzlich anwendungsnahe Themen zum Beispiel aus den Bereichen Design, Kommunikation, Pädagogik, Literatur oder Organisation angeboten würden.

• Wir sollten neue Berufsbilder entwickeln, die weniger an der Grundlagentechnologie und mehr anwendungsorientiert sind. Damit soll dafür plädiert werden, im Ausbildungsbereich auch den Mut zum Entwurf zu haben und nicht jahrelange Curricula-Entwicklungen vorzunehmen, die von der Realität überholt werden.

• Neben der Grundausbildung sollten wir vermehrt Anstrengungen unternehmen, um die bereits ausgebildeten Fachkräfte nicht nur fachlich auf den neuesten Stand zu bringen, sondern ihnen auch, unter Berücksichtigung ihrer Berufserfahrung, neue Perspektiven zu eröffnen. Der Arbeitsmarkt würde zweifellos solche Berufsleute absorbieren, denn die Praxis braucht dringend mehr Fachleute, die Informatik professionell anwenden können und wissen, dass sie noch nicht ausgelernt haben.

Wir haben gewiss nicht zu viele Informatikfachkräfte, und der Werkplatz Schweiz sollte aus eigenem Interesse den Informatikern, die ihre Stelle bei der UBS verlieren, berufliche Perspektiven bieten.