"Wir liefern Antworten auf Fragen, nicht nur Stichworte"
Reto Trinkler, CEO von Quantinum, spricht über eine Unternehmens-Suchmaschine, die mitdenkt, und so die oft mühsame, firmeninterne Suche nach Informationen vereinfachen soll.
Herr Trinkler, Quantinum ist ein komplexes Produkt. Können Sie kurz erklären, wofür die Software eingesetzt wird?
Quantinum ist eine Unternehmens-Suchmaschine, die mitdenkt. Wir unterstützen Menschen dabei, in der heutigen Informationsflut das wichtige Wissen für ihre Tätigkeit rasch zu finden. Sie wenden so weniger Zeit für Routineaufgaben auf und können sich stattdessen auf wertschöpfende Tätigkeiten wie die Produktentwicklung oder Kundenpflege konzentrieren. Grundsätzlich stellen wir uns die Frage, wie man in einem Unternehmen aus der Ressource Information mit Hilfe von Technologien Wissen generieren und entsprechende Arbeiten automatisieren kann.
Wo liegt der konkrete Nutzen für die Anwender?
Unsere Software ist am sinnvollsten überall dort im Einsatz, wo die Verfügbarkeit der richtigen Informationen matchentscheidend ist. Beispielsweise im Customer Service: Mitarbeitende des Aussendiensts und des Call Centers dürfen keine Zeit verlieren mit der Suche nach der entsprechenden Anleitung oder der richtigen Ansprechperson. Zusätzlich kann Quantinum im Web eingesetzt werden, um den Anteil von Self-Service-Kunden zu erhöhen. Schneller Zugriff auf Wissen ist zum Beispiel auch beim Thema Market Intelligence gefragt. Damit ermöglichen wir unseren Kunden, dem sich rasch verändernden Umfeld Rechnung zu tragen und Innovations- und Marketingentscheide auf dem aktuellsten Stand der Informationen treffen zu können.
Wie würde eine Suche mit Quantinum in der Praxis aussehen?
Ein Servicetechniker muss an einer Maschine eine nicht alltägliche Reparatur vornehmen und benötigt dazu Unterstützung. Also stellt er seine Frage, und unsere Software führt ihn genau dorthin, wo er die Antwort findet. Beispielsweise ins Kapitel 6, Seite 150 der Bedienungsanleitung. Damit das funktioniert, muss unsere Technologie ein gewisses inhaltliches Verständnis mitbringen. Das stellen wir mit unserer eigenentwickelten Question-Answering-Technologie sicher. Die Idee dahinter ist, dass ein Anwender sein Informationsbedürfnis in seiner Sprache formuliert. Das System versucht zu verstehen, was er will, und vergleicht das mit den verfügbaren Inhalten, die entsprechend analysiert und aufbereitet wurden. So liefern wir eben nicht "nur" trefferbasiert auf Stichworte die Antwort, sondern auf Fragen. IBM beispielsweise nutzt intern eine Social-Collaboration-Plattform, um Wissen auszutauschen und Experten zu einem bestimmten Thema zu finden, Google hat seinen Knowledge Graph und Apple hat Siri.
Gibt es überhaupt einen Markt für Quantinum?
Das Unternehmen ist ein Spin-Off von Basis06, einem Berner IT-Beratungsunternehmen, das ich vor 14 Jahren gegründet habe. Basis06 fokussiert mit seinen Dienstleistungen auf Informationsmanagement, mit dem Ziel, aus der Ressource Information einen geschäftlichen Nutzen zu ziehen. Also klassisches Business Intelligence kombiniert mit Data Mining und unstrukturierten Informationen. Wir haben, lange vor Quantinum, immer wieder von unseren Kunden mitbekommen, dass ein Bedürfnis für eine solche Software vorhanden wäre. Denn Google und Apple fokussieren auf das Internet, nicht auf den Einsatz in Unternehmen. Und IBM ist vor allem für Grosskunden interessant. So haben wir beschlossen, Quantinum zusammen mit Pilotkunden zu entwickeln.
An welche Zielgruppe wenden Sie sich?
Wir wenden uns insbesondere an KMU ab zirka 50 Mitarbeitern – aber auch Grosskunden - im deutschsprachigen Raum. Und zwar an solche, die komplexe Produkte anbieten, viel Kundenkontakt haben und in einem starken Wettbewerb mit anderen stehen. Das sind zum Beispiel Telekom- und Pharmafirmen, Medtech- oder Industrieunternehmen aber auch andere wissensintensive Branchen, die viel mit Informationen arbeiten, wie die Finanzindustrie oder die öffentliche Verwaltung.
Wie sieht es mit kleineren Unternehmen aus?
Kleinstunternehmen brauchen Quantinum normalerweise nicht zur Optimierung interner Prozesse, weil sie mit den vorhandenen Mitteln gut umgehen können und auch einen engen Kontakt zueinander pflegen, beispielsweise in der Kaffeepause. Je nach Firma macht jedoch der Einsatz einer intelligenten Website-Search absolut Sinn und zahlt sich für das Unternehmen aus.
Haben Sie bereits erste Kunden?
Ja, zum Beispiel Swisscable, die SRG SSR, Armasuisse, oder die Schweizerische Post. Die einen Lösungen sind bereits seit längerer Zeit live, andere sind noch in der Proof-of-Concept oder Realisierungsphase.
Bieten Sie Quantinum im Lizenz- oder im Abo-Modell an?
Wir haben ein Enterprise-Modell, bei dem man die Software-Lizenz kaufen kann. Das ist für Unternehmen, die die Software in ihre Systemlandschaft integrieren wollen. Ab Ende 2014 wird es zudem eine SaaS-Lösung in der Cloud geben, die man auf Abo-Basis nutzen kann. Das ist dann vor allem interessant für KMU, die die Software sofort und nutzungsabhängig einsetzen wollen.
Welche Projekte planen Sie für die Zukunft?
Wir suchen derzeit vorallem Kunden und auch Vertriebspartner. Die Cloud-Lösung ist sicher der nächste grosse Meilenstein.
Wie verläuft die Integration in meinem Unternehmen, wenn ich das Enterprise-Modell implementieren will?
Quantinum ist ein Standardprodukt, das auf die Bedürfnisse des Kunden angepasst wird. Hierfür beraten wir vorab das Unternehmen, um gemäss dem "Think-big-start-small-Ansatz" den Einsatzbereich mit dem grössten Nutzen zu finden. Umsysteme wie ERP und CRM, Intranet und so weiter werden mittels Standard-Schnittstellen angebunden. Im Anschluss wird das System an das firmenspezifische Fachwissen angepasst. Abschliessend unterstützen wir den Kunden auch in der Schulung der Anwender und in der Prozessintegration.
Welche Sprachen werden derzeit unterstützt?
Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch.
Auf welchen Technologien basiert Quantinum?
Quantinum gehört zu den sogenannten "Cognitive Computing"-Systemen, bei denen die Informationsverarbeitung an jene des Hirns angelehnt ist. Dazu verwenden wir Technologien aus der Künstlichen Intelligenz und Machine Learning und kombinieren sie mit Information Retrieval und Knowledge Representation. Das ist eigentlich auch das Spezielle an Quantinum. Man kann das heute alles separat haben, aber meines Wissens gibt es ausser uns keine Plattform, die das alles End-to-End und Out-of-the-Box in sich vereint. Natürlich können wir mit unserem Team nicht alles selbst entwickeln, deshalb nutzen wir bewährte Open Source Software wie Apache Camel, Elasticsearch oder Gate.
Wie gross ist denn das Team von Quantinum?
Wir sind ein Team von 10 Leuten. Eine gute Mischung aus Technik, Marketing und Unternehmergeist.
Was war das Schwierigste bei der Entwicklung von Quantinum?
Gestartet hat alles als Forschungsprojekt. Wir konnten aufgrund der relativ neuen Technologien jedoch kaum auf Best Practices aufbauen. Die Hauptherausforderung war die Kombination all dieser Technologie-Komponenten in einer integrierten, performanten und skalierbaren Architektur. Vom ersten Prototyp bis heute sind drei Jahre vergangen, wobei wir nach den ersten Jahr nochmals fast von vorne angefangen haben.
Wieso das?
Aufgrund fehlender Erfahrungen und falscher Annahmen hat die Architektur einfach nicht funktioniert. Wir musste diese fast komplett neu aufbauen und verschiedene Software-Komponenten austauschen.
War das nicht demotivierend?
Klar ist es schade, so viele Ressourcen und Geld zu investieren und nachher noch einmal alles neu machen zu müssen, aber letztlich sind diese Erfahrungen heute auch ein Wettbewerbsvorsprung. Ich behaupte, dass man die Unternehmen, die über ein solches Know-how verfügen, an einer Hand abzählen kann.
Nutzen Sie selbst Quantinum?
Ja, wir haben alle unsere wichtigen Systeme dazu angebunden. Von den Fileshares über unser Intranet Wiki, ERP- und Projektplanungssysteme bis zu ausgewählten Web Quellen.
Wo sehen Sie Quantinum in fünf Jahren?
Wir wollen uns als namhafter Anbieter im deutschsprachigen Markt positionieren und sind davon überzeugt, dass der Bedarf da ist. Unsere Mitbewerber sind primär US- und deutsche Firmen. Schweizer Firmen gibt es in unserem Bereich kaum. Wir wissen auch, dass wir uns gegen namhafte Mitbewerber behaupten können – das sehen wir an einem aktuellen Pitch.
Wie das?
Wir hatten einen potenziellen Kunden, der sich 15 Anbieter angeschaut hat. Auf seiner Shortlist landeten am Ende 3 Anbieter. Wir sind per Zufall auf diese Ausschreibung gestossen und dem Kunden hat Quantinum so gut gefallen, dass er direkt einen der Anbieter auf der Shortlist ersetzt hat. Am Ende hat zwar Google gewonnen, für uns heisst aber, dass wir mit unserem Approach bestehen können. Wir können sicher nicht so viel in Technologie investieren wie andere, dafür sind wir aus meiner Sicht viel näher bei den Bedürfnissen des Business.
Welche Art von Daten kann Quantinum durchsuchen?
Wir können wirklich alle Daten verarbeiten, ob strukturierte unstrukturiert, intern oder extern. Von Word, Excel, PDF, Multimedia über CRM/ERP oder relationale Datenbanken bis zu Websites, Wikis oder Social Media. Die Liste ist lang.
War es schwierig, Quantinum als Spin-off von Basis06 aufzuziehen?
Ja. Wir hatten alles: Ein eingespieltes Team, ein erprobtes Produkt und namhafte Pilotkunden. Trotzdem war es enorm schwierig, die Weiterentwicklung zu finanzieren. Ich denke das liegt einerseits daran, dass es ein B2B-Software-Produkt ist, aber auch ein Pionierprojekt mit sehr komplexen Technologien. Das finde ich ziemlich traurig für den Denk- und Werkplatz Schweiz. Basis06 hat in den ersten zweieinhalb Jahren alles finanziert, aber mittlerweile habe ich 3 Business Angels gefunden, wofür ich sehr dankbar bin. Rückblickend denke ich, als typisches Start-up hätten wir in der Schweiz keine Chance gehabt.
Wieso nicht?
Die staatlichen Förderstellen sagten uns, wir seien zu weit oder wir entsprächen nicht ihrem Förderfokus. Quantinum ist ja auch beispielsweise nicht aus einer Hochschule heraus entstanden, was eher untypisch ist. Das muss man akzeptieren. Für Investoren ohne ICT-Affinität ist der B2B-Software-Markt nur sehr schlecht einschätzbar und darum zu risikoreich. Was in der Schweiz eindeutig fehlt, ist eine B2B-Investoren-Szene, gerade im ICT-Bereich. Es gibt hier sehr viel Know-how und hervorragende Produkte mit internationalem Potenzial.
Hinweis der Redaktion: Eine Kurzversion dieses Interviews erschien in der Netzwoche 09/2014.