Wer hat's erfunden? Die Schweiz!
Vor 25 Jahren hat das Cern die erste Website der Welt online gestellt. Die Redaktion blickt zurück auf die Zeit der Internetpioniere, Browserkriege und Dotcom-Blasen – und erklärt, was Steve Jobs mit der Erfindung des Webs zu tun hatte.
25 Jahre ist es her, seit das Cern die erste Website aufschaltete. Das Kernforschungszentrum betrieb damals einen Webserver in Meyrin, nahe beim Genfer Flughafen. Es stellte am 13. November 1990 info.cern.ch online.
Um die Website bekannt zu machen, warb das Cern 1993 im Magazin «Tagung Deutsches Forschungsnetz». «Das Interface ist sehr rudimentär, bitte seid nicht enttäuscht», schrieben Tim Berners-Lee und Robert Cailliau. Ihre Website klärte über das World Wide Web (WWW) auf, das sie am Cern entwickelten. 1994 übertrug das WWW erstmals mehr Daten als Telnet, ein Jahr später löste es FTP als meistgenutzten Internetdienst ab. Heute sind 1 Milliarde Websites online – und alle basieren auf Ideen des Cerns.
«Ich habe das Internet nicht erfunden»
Die Arbeit von Berners-Lee steht auf Schultern von Giganten. Das US-Verteidigungsministerium vernetzte mit Arpanet bereits 1969 vier Universitäten. Der Philosoph Ted Nelson prägte 1965 die Begriffe Hypertext und Hypermedia – bevor es PCs überhaupt gab. Stanford-Professor Vint Cerf entwickelte 1973 das Transmission Control (TCP) und Internet Protocol (IP). Und der Informatiker Paul Mockapetris designte 1983 das Domain Name System (DNS).
Hyperlinks, TCP/IP und DNS. Er habe die Technologien bloss kombiniert, sagt Berners-Lee – so sei das WWW entstanden. Und das sei nur möglich gewesen, weil Universitäten begannen, eigene Websites zu betreiben. Berners-Lee erfand mit dem WWW allerdings nicht nur HTTP, HTML und URL, sondern auch die erste Serversoftware. «CERN HTTPd» lief auf einem PC des Kernforschungszentrums. Das Cern kaufte ihn bei der Firma Next, gegründet von Steve Jobs, als er 1985 Apple verliess. Der «Next Computer» hostete von Meyrin aus die erste Website der Welt.
«Ich habe das Internet nicht erfunden», sagt Berners-Lee heute. Das stimmt. Der Volksmund setzt WWW zwar mit Internet gleich. Das WWW ist aber nur eines von vielen Internetprotokollen, wenn auch das wichtigste. Weitere sind etwa SMTP, POP und IMAP für den E-Mail-Verkehr oder IPv4 und IPv6 für die Vernetzung von Computern.
Der erste Browserkrieg
Das Cern erklärte auf seiner Website die Funktionen des WWW. Wer die Site betrachten wollte, musste «Worldwideweb» nutzen. Berners-Lee schrieb den Browser in zwei Monaten und stellte ihn 1991 ins Web. Die Software lief nur auf Next-PCs, von denen Jobs gerade mal 50 000 Stück abgesetzt hatte. Berners-Lee beherrschte zwar die Sprache Display Postscript, die Next gemeinsam mit Adobe entwickelte. Mit dem X Window System kannte er sich aber nicht aus. Er erweiterte sein Team darum um Nicola Pellow, die den Line Mode Browser programmierte. Er brachte das WWW auf Betriebssysteme wie VAX, RS/6000 und Sun-4.
1992 veröffentlichte der Chinese Pei-Yuan Wei, damals Student an der Berkeley-Universität in Kalifornien, die Software ViolaWWW. Sie konnte erstmals Tabellen und Stylesheets darstellen. Marc Andreessen vom «National Center for Supercomputing Applications» (NCSA) der University of Illinois wurde darauf aufmerksam und begann, einen eigenen Browser zu entwickeln. 1993 veröffentlichte er NCSA Mosaic, der nicht nur auf Unix und Amiga, sondern auch auf Windows und Mac funktionierte.
Das Web wird dynamisch
Andreessen gründete Netscape und entwickelte den Navigator. Der Browser erreichte 1996 einen Marktanteil von 86 Prozent. Als Microsoft den Internet Explorer (IE) in Windows integrierte, musste Netscape reagieren. Die Firma veröffentlichte den Navigator-Quellcode im Mozilla-Projekt, woraus Firefox entstand. Für Netscape war es aber zu spät. AOL schluckte Netscape, und der IE kam 2004 auf 92 Prozent Marktanteil. Im November 2015 waren es laut Netmarketshare noch 50 Prozent. Chrome erreicht 31 Prozent, Firefox 12 Prozent, Safari 4 Prozent und Opera 1,5 Prozent.
Das WWW basiert noch immer auf Technologien, die das Cern erfand. HTML liegt heute in der Version 5.0 vor. Sie spielt Mediadateien ohne Plug-ins ab und liefert Inhalte dynamisch aus. Erweiterungen wie Flash und Silverlight verlieren so an Bedeutung. Adobe riet am 1. Dezember zur Nutzung von HTML5 statt Flash. Microsoft stellte die Weiterentwicklung von Silverlight bereits 2013 ein.
Party ohne Ende?
Auch Politik und Wirtschaft entdeckten das Internet. Alle sprachen von Cyberspace und New Economy. Die Party endete abrupt: Der Aktienindex Nasdaq Composite sackte zwischen März 2000 und Oktober 2002 um 80 Prozent ab. Investoren merkten, dass Technologieunternehmen überbewertet waren, und brachten die Dotcom-Blase zum Platzen. Viele Web-Start-ups kapitulierten und verschwanden von der Bildfläche, die Anleger verloren Milliarden.
Heute grassiert die Angst vor einem erneuten Crash. Laut Marktforscher CB Insights sprachen Investoren 2011 weltweit 50 Milliarden US-Dollar Risikokapital. In den ersten drei Quartalen 2015 waren es 100 Milliarden. Viel Geld floss in Tech-Unternehmen. Etwa in Twitter, das seit seiner Gründung nie profitabel war. Oder in Didi Kuaidi, eine chinesische Taxi-App, die 3 Milliarden Dollar akquirierte, in den nächsten fünf Jahren aber keinen Profit anstrebt. 100 Millionen Menschen nutzen Snapchat – die Firma ist 12 Milliarden Dollar Wert, schreibt aber keinen Gewinn.
Napster, Bitcoins und Porn.com
Im Januar 2001 tauschten Nutzer mit dem Filesharing-Programm Napster zwei Milliarden Musikdateien aus. Die Musikindustrie klagte, Napster starb, und das Web rächte sich mit Limewire, Kazaa und Bittorrent. Ab 2002 war es hip, einen Blog zu führen. 2003 schaltete der Wurm SQL Slammer 5 von 13 DNS-Rootservern aus. Bankomaten kollabierten, 911 waren offline. Im gleichen Jahr veranstaltete Anières als erste Schweizer Gemeinde Onlinewahlen – 28 Prozent der Stimmberechtigten wählten elektronisch.
2007 wechselte Porn.com für 9,5 Millionen US-Dollar den Besitzer, 2014 kostete Sex.com 24 Millionen. Kristoffer Koch investierte 2009 rund 27 Dollar in die virtuelle Währung Bitcoin. Als der Norweger die Bitcoins vier Jahre später wieder fand, waren sie 980 000 Dollar wert. 2013 startete Kickstarter zudem seine Crowdfunding-Plattform.
Zur Jahrtausendwende gab Google bekannt, dass China Server von über 20 US-Firmen angriff, darunter Yahoo und Morgan Stanley. Das WWW hatte sich längst zum Mitmach-Web entwickelt. Nutzer vernetzen sich seit 2003 auf Linkedin und teilten seit 2004 Fotos auf Flickr. Facebook erreichte 2012 1 Milliarde Nutzer. Im gleichen Jahr sprengte der südkoreanische Musiker Psy mit «Gangnam Style» die Marke von 1 Milliarde Klicks auf Youtube.
Eine Grundrechte-Charta für das Internet
Und Tim Berners-Lee? Er sieht das WWW in Gefahr. «Wir brauchen eine globale Verfassung, eine Bill of Rights», sagte er 2014. Die Rechte der Internetnutzer würden heute vor allem von Regierungen und Unternehmen beschnitten.
«Solange wir kein offenes Internet haben, wird es keine transparenten Regierungen, keine gute Demokratie und Gesundheitsvorsorge, keine vernetzten Gemeinschaften und keine kulturelle Vielfalt geben», warnt Berners-Lee. «Ich möchte, dass wir zum 25. Geburtstag des WWW das Web wieder in unsere eigenen Hände nehmen.»