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"Der Schweizer Markt ist begrenzt"

Uhr | Aktualisiert
von Interview: Marc Landis, Coen Kaat, Redaktion: Coen Kaat

Seit Anfang des Jahres hat der Schweizer Softwareentwickler Crealogix einen neuen CEO: Thomas Avedik. Im Interview ­erklärt er, wieso der Schweizer Bankensektor dem Ausland hinterherhinkt. Zudem spricht er über seine ersten Monate im Amt und die globalen Expansionspläne von Crealogix.

Thomas Avedik, CEO von Crealogix. (Quelle: Crealogix)
Thomas Avedik, CEO von Crealogix. (Quelle: Crealogix)

Sie sind jetzt seit etwa 100 Tagen als CEO von Crealogix im Amt. Wie ist es Ihnen seit Januar ergangen?

Thomas Avedik: Es war ein nahtloser Übergang. Dies dank der gut vorbereiteten Kommunikation intern wie auch extern. So waren die Gespräche und Reaktionen nicht von Überraschungen geprägt. Den jährlichen Crealogix-Weihnachtsapéro unserer Mitarbeiter haben wir dann intern für die offizielle Stabsübergabe genutzt.

Wo gab es nach Ihrem Amtsantritt unmittelbaren Handlungsbedarf?

In der Banking-Software-Branche stehen unterschiedlichste Themen an, die alle unmittelbar angegangen werden. Es hat sich durch den Wechsel in meine neue Position daher auch kein zusätzlicher Handlungsbedarf ergeben, der nicht schon bekannt war. Es ist ein kontinuierlicher Prozess in unserer Industrie, um Innovationen und Trends zeitgerecht anzugehen. Meistens geht es nicht darum, sich permanent neu zu erfinden, sondern den Moment zu erkennen, in dem man sich aus der Komfortzone bewegen muss. Diese Balance zwischen dem Erreichen der strategischen Unternehmensziele und den vom Markt her gegebenen Bedürfnissen liegt jeder Entscheidung oder Handlung zugrunde. Dabei geht es unseren Kunden ähnlich. Es besteht also kein unmittelbarer, aber ein kontinuierlicher Handlungsbedarf. Die wichtigen Themen erfassen wir früh und engagieren uns dort mit entsprechendem Fokus.

Um welche Themen geht es denn konkret?

Alle sprechen über das "Internet der Dinge" (Internet of Things, IoT), doch was ist das eigentlich, und hat es wirklich das Potenzial, Finanzdienstleistungen zu revolutionieren? Die einfache Antwort lautet meiner Meinung nach: "Ja" – doch bei zahlreichen Funktionen der Finanzdienstleistungen hängt der Erfolg dieser Vernetzung von Technologien davon ab, wie umfassend das IoT Eingang in unser Leben und unsere Arbeitswelt im Allgemeinen findet. Dennoch müssen wir realistisch bleiben, denn bis Finanz­institute wirklich von den Vorteilen des Internets der Dinge profitieren können, gilt es noch einige Herausforderungen zu bewältigen. Dazu gehören der Einsatz von Sensoren, die Verarbeitung und Analyse von Daten, der Zugang zu Daten (von Unternehmen oder Einzelpersonen) sowie die Sicherheit. Das Internet der Dinge birgt für die Finanzdienstleistungsbranche zahlreiche Chancen, und wer es nicht schafft, sich diese Vorteile zunutze zu machen, wird das Nachsehen haben. Es ist nun an der Zeit, Prozesse, Infrastrukturen und Strategien anzupassen, um mit den riesigen Mengen an wertvollen Opportunitäten – die nicht auf uns warten – besser umgehen zu können.

Haben Sie keine Angst, dass Crealogix den Anschluss an die ­jungen und wilden Start-ups verpassen könnte?

Wie William Gibson sagte: "Die Zukunft ist längst unter uns – sie ist nur nicht gleichmässig verteilt." Wir sind nach wie vor jung und hungrig. Und wir sind erfolgreich: Als innovativer Anbieter unseres Digital Banking Hubs nimmt Crealogix die Vorreiterrolle bei der Gestaltung von neuartigen digitalen Finanzdienstleistungsangeboten ein und bietet den Banken die Möglichkeit, neue Geschäftsmodelle zu verfolgen. Die Grundidee des Hubs besteht in seiner Offenheit durch den gezielten Einsatz von APIs gegenüber Drittanbieter-Apps. Damit können wir die Apps der Fintech-Start-ups integrieren, die oft nur einen spezialisierten Teil der gesamten Wertschöpfungskette einer Bank abdecken. Andererseits können auch wir selbst neue Module entwickeln. Wir verfolgen einen Best-of-Breed-Ansatz und sind damit immer im Wettbewerb mit anderen Anbietern. Für die Banken, die Start-ups und für uns ist dies jedoch eine Win-win-Situation.

Klingt so, als ob Crealogix keine Konkurrenten hätte.

Der Markt für Digital-Banking-Angebot ist stark fragmentiert, und ein Anbieter-Hype sorgte für eine verwirrende Digital-Banking-Taxonomie – in Zeiten, in denen die CIOs und Businessverantwortlichen der Banken Klarheit dringend benötigen. Es ist wichtig, die Unterschiede von diskreten Softwaretools oder ganzen Portalen, Suiten oder Hubs zu kennen. Ohne dieses Verständnis vergleicht man Äpfel mit Birnen. Genau so wie ein Kernbankensystem von Natur kein Hub sein kann oder ein Content Management System plötzlich ein Applikationsentwickler für Banking-Funktionen ist. Gemäss den Marktforschern von Gartner gibt es neben Crealogix weltweit 3 bis 4 Unternehmen, die als ernsthafte Players in der Digital-Banking-Welt anerkannt sind. Denn obwohl viele Firmen vereinzelt Lösungen im Banking-Bereich anbieten, so hat keiner eine solch umfassende Plattform wie wir, die sich bewährt hat und auch bestens etabliert ist.

Start-ups erhalten Zugriff auf Ihre Plattform?

Viele Fintech-Start-ups brennen darauf, endlich diese APIs zu nutzen, um bankübergreifende Finanz-Apps für Kunden und vieles mehr zu entwickeln. Erste Schritte in dieser Entwicklung markiert in Deutschland der Kontopilot der Deutschen Post, mithilfe dessen Giro-Konten und Kreditkarten bei allen Banken übersichtlich abgebildet werden. Für Kunden ist die neue EU-Direktive PSD2 offensichtlich von Vorteil. Allerdings könnte sie auch dazu führen, dass etablierte Banken Jahre und Milliarden in die Umsetzung und Erkundung dieser Standards investieren. Crealogix stellt deshalb eine digitale Banking-Delivery-Plattform bereit, durch die Banken ihre digitalen Dienstleistungen schnell und einfach aufwerten können – auch mit der Unterstützung von Start-ups. Durch den Einsatz etablierter und umfangreicher API-Schichten können Banken ihr digitales Geschäft revolutionieren, um für die Zukunft gerüstet zu bleiben.

Ende Januar kündigten Sie eine Partnerschaft mit Hewlett Packard Enterprise (HPE) an. Was hoffen Sie gemeinsam zu erreichen?

Mit HPE haben wir einen zusätzlichen Vertriebs- und Implementierungspartner für Europa. Durch die Kooperation konnten wir ein umfassendes Lösungsangebot für die Finanz- und Bankenindustrie schaffen, das mit den modernen Ansprüchen der Digitalisierung mitwächst. Zusammen erreichen wir auch Regionen und Märkte, die uns sonst aufgrund unserer Grösse zu sehr strapazieren würden. Schliesslich braucht es viel Zeit und noch viel mehr Geld, in neuen Gebieten organisch zu wachsen.

Von welchen Märkten reden wir da?

Ich denke da etwa an Osteuropa. Aber auch Nordamerika spielt hier eine wichtige Rolle, wo wir mit einem anderen etablierten Implementierungspartner zusammenarbeiten.

Der Schweizer Markt ist also nicht genug für Crealogix?

In der Schweiz sind wir sehr gut in den Bereichen Digital Banking, Digital Payment und Digital Learning positioniert. Aber der hiesige Markt ist begrenzt und wir entschieden uns daher im Rahmen unserer Wachstums- und Internationalisierungsstrategie, noch weitere Märkte zu erschliessen. Deshalb haben wir vor ein paar Jahren unsere erste Firma in Deutschland akquiriert. 2015 etablierten wir unsere Präsenz in UK und Anfang 2016 verstärkten wir unsere Präsenz im Nachbarland erneut und erwarben Beteiligungen an Elaxy, einem führenden deutschen Fintech-Anbieter für interaktive Beratungslösungen für Banken und Finanzdienstleister. Damit ist Deutschland für uns nun der wichtigste Markt nach der Schweiz. Mit dieser Beteiligung gingen wird mit der Fiducia & GAD eine Kooperation ein, die uns den Marktzugang zu den deutschen Volks- und Raiffeisenbanken ermöglicht. Ausser der Stärkung unseres Produktportfolios bietet die Transaktion auch einen ausgezeichneten Zugang zu einem stark vergrösserten Kundenkreis. Dies ist für Crea­logix ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einem europäischen Anbieter von Softwarelösungen im Digital Banking und Digital Advisory.

Letztes Jahr verbuchte Crealogix einen Verlust von 13,4 Millionen Franken. Kann sich das Unternehmen diese Expansion überhaupt leisten?

Ja, das Geschäftsjahr 2014/2015 war für Crealogix die kostenintensivste Phase, die in unserem Businessplan einkalkuliert war, weil wir in die Internationalisierung, das Wachstum und in die Weiterentwicklung unserer Produkte investiert haben. Das geht bei uns immer zulasten der Erfolgsrechnung, da wir keine Produkte aktivieren. Wir nahmen diese Situation zwar nicht auf die leichte Schulter, aber wir glaubten an unsere Strategie. Und wir stehen zu unserer im letzten Herbst gemachten Aussage, in diesem Geschäftsjahr einen ausgeglichenen Ebitda zu erreichen. Mehr dazu werden wir am 23. März im Rahmen der Veröffentlichung unserer Halbjahresergebnisse 2015/2016 kommunizieren.

Wie geht es gemäss diesem Plan weiter?

Wir wollen weiter wachsen. Die Industrie ist in Bewegung und wir mit ihr.

Wie wollen Sie das Unternehmen dahin führen?

Wir haben im Unternehmen eine Kultur des Austausches. Austausch schafft Kontroverse und somit auch Kontraste. Diesen Austausch, diese Kontraste im Denken will ich fördern, denn er ist meines Erachtens unabdingbar im Erkennen und Entwickeln von Innovationen. Es ist mir wichtig, dass Prozesse auf allen Stufen hinterfragt werden. Wenn wir etwas mit weniger Aufwand erledigen können, dann wollen wir das auch tun. Und das versuche ich transparent zu machen. 

Wie profitieren die Kunden in der Schweiz von dieser globalen ­Expansion?

Schweizer Kunden sollen von der zusätzlichen Erfahrung profitieren, die wir im Ausland sammeln. Ausserhalb der Schweiz herrscht eine  grössere Dynamik. Ausländische Kunden greifen neue Themen viel früher auf. Die Lösungen, die wir etwa in Grossbritannien entwickeln, hielten unsere Schweizer Kunden vor einem halben Jahr noch nicht für wichtig. Bis das Interesse plötzlich doch aufkam.

Wo steht Crealogix im Vergleich zu den anderen Playern auf dem Schweizer Markt?

In der Schweiz (wie auch im Ausland) trifft man auf gute, solide Standard-Back-End-Systeme und Softwarefirmen, die Individuallösungen auch im E-Banking anbieten. Wir unterscheiden uns von diesen Playern dadurch, dass wir ein Produkthaus sind und Out-of-the-box-Lösungen mit einer hohen Releasefrequenz bieten können, damit eine Bank etwa alle drei Monate ihren Kunden neue Funktionen anbieten kann. Das ist einzigartig. Zudem integrieren wir bei unseren Kunden auch regelmässig mehrere unterschiedliche Back-End-Systeme und ermöglichen so den immer internationaler tätigen Bankkunden ein nahtloses und einheitliches digitales Bankerlebnis.

Was sind derzeit die grossen Technologietrends in der Branche?

Die Rolle der Banken verändert sich. Für Banken von morgen geht es nicht mehr um die besten Produkte. Es geht darum, die attraktivste Plattform für bankeigene und Drittprodukte anbieten zu können, ein sogenanntes Ökosystem für alle finanziellen Belange. Diese Transformation wird durch neue gesetzgeberische Richtlinien noch beschleunigt. So verlangt etwa die neue Zahlungsrichtlinie (PSD2) effizientere und kostengünstigere Zahlungsdienste und einen besseren Schutz für Verbraucher und Unternehmen. Konkret müssen Banken laut PSD2 offene APIs erstellen, die Dritten Zugang zu Transaktionsdaten gewähren. Dies geschieht selbstverständlich mit Zustimmung der Kunden. So entsteht derzeit eine regelrechte API-Wirtschaft. Denn viele Technologieunternehmen bieten ihre Dienstleistungen über diese digitalen Schnittstellen an. Services über APIs nutzen zu können, ermöglicht auch den nächsten Schritt hin zum SaaS-Modell. Wir gehen deshalb davon aus, dass PSD2 nicht nur zum Katalysator für APIs, sondern auch für SaaS-Banking werden kann.

Wie könnte Blockchain den Schweizer Finanzplatz verändern?

Blockchain ist ein weiterer Trend, der gerade an Bedeutung gewinnt. Wir prüfen derzeit, die Technologie im Brokerage-Umfeld einzusetzen. Denn mit Blockchain braucht es keinen Intermediär mehr, der die Identität der involvierten Parteien bestätigt. Das gilt für das Kreditwesen aber auch überall sonst, wo Transaktionen bestätigt werden müssen. Das schafft vollkommene Transparenz. In der Schweiz dauert es vielleicht noch eine Weile, bis sich Blockchain durchsetzen wird. Denn es gibt hier viele Eigeninitiativen seitens der Banken. Für gemeinsame Bemühungen sind zu viele partikuläre Interessen vorhanden. Aber Blockchain wird kommen. Viele Banken stellen sich deshalb die existenzielle Frage, was ihre Rolle sein wird. Auf die Antwort bin ich schon gespannt.

Wo steht der Schweizer Bankensektor, wenn es um die Digitalisierung geht?

Die Schweiz ist gut unterwegs, aber langsamer im Vergleich zum Ausland. Hier fehlen etwa die Direktbanken, wie wir sie von Deutschland oder Grossbritannien her kennen. Deren einziger Kanal zum Kunden ist das Internet – da­rüber muss alles funktionieren. Für eine solche deutsche Bank haben wir kürzlich Pay Pal ins E-Banking integriert. In der Schweiz fragte bislang noch keine Bank nach so einer Integration eines unabhängigen Peer-2-Peer-Zahlungsdienstes, was eigentlich auf der Hand liegt.

Wie unterscheidet sich der Schweizer Bankensektor vom Rest der Welt?

Während der Finanzplatz im Ausland hart umkämpft ist, herrscht in der Schweiz eine ganz andere Sicht auf die Mitbewerber. Jeder kennt den anderen in diesem kleinen Markt, und man hat sich arrangiert. So bleiben die Kantonalbanken primär in ihren eigenen Kantonen. Das bringt dem Schweizer Markt eine problematische Ruhe. Denn statt einer Fail-Fast-Mentalität dominiert hier eher eine Never-Fail-Mentalität. Weil Scheitern negativ behaftet ist, wird es nicht mit einem Lernprozess assoziiert. In der Schweiz würde deshalb keine Bank mal etwas ausprobieren, um zu testen, wie die Kunden darauf reagieren, um es dann entsprechend anzupassen. In der Schweiz können wir erst mit einer zu 100 Prozent vollständigen und fertig designten Lösung zum Kunden.

Wie wirkt sich der Fachkräftemangel auf Crealogix aus?

Die Rekrutierung geeigneter Fachkräfte ist heute viel aufwendiger aufgrund des Mangels und der damit verbundenen Konkurrenz zwischen den Unternehmen. Eine wichtige Rolle spielt aber auch der Wandel der Arbeitskultur. Für gut ausgebildete Nachwuchskräfte sind Themen wie Selbstverantwortung und Entfaltungsmöglichkeiten häufig wichtiger als Geld und Titel. Das zwingt die Unternehmen dazu, sich selbst zu verändern. Denn die eigene starre, hierarchische Ordnung passt vielleicht nicht mehr in die Zeit.

Wie sehen die Zukunftsaussichten im Schweizer Bankensektor aus?

Es bedarf für die Schweiz einer besseren Konnektivität und Infrastruktur von mobilen Zahlungslösungen und Banksystemen, damit die Verbraucher bereit sind, auf Digitaltechnik umzustellen. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis Apple mit seiner Bezahllösung in die Schweiz kommt. Und Google Wallet steht auch schon in den Startlöchern. Und eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg solcher Lösungen ist ein möglichst grosses Volumen an Nutzern – was für die Schweiz oft der Grund des Scheiterns einer auf den eigenen Markt beschränkten Lösung ist. Mit Google Wallet und Apple Passbook haben beide Trendgeber zum Beispiel eigene Dienste zur Verwaltung des Online-Zahlungsverkehrs eingeführt. Einer Konsumentenbefragung in den USA und im Vereinigten Königreich zufolge sind 43 Prozent der Apple-User bereit, auch Bankdienstleistungen von ihrer Lieblingsmarke zu beziehen. Führt man sich die Abermillionen Nutzer vor Augen, die täglich den Suchdienst von Google nutzen, lässt sich das Ausmass für den Vertrieb eigener Bankdienstleistungen erkennen. Und dies wohlgemerkt ohne gross angelegte Marketingkampagnen.

Wie sollte die ideale Bankenlösung von morgen aussehen?

Es muss einfach Crealogix draufstehen! Im Ernst: Es braucht ein gut orchestriertes und konsistentes Leistungsangebot über die verschiedenen Kanäle. Die ideale Bank von morgen wird den Ansatz "alles in allen Kanälen" ändern in "das Richtige im richtigen Kanal", so wie es sich der Kunde wünscht. Damit schafft sie sich ein differenzierendes Angebot sowie Preisstrategien für spezifische Kanäle, einhergehend mit neuen Nutzenversprechen in einer attraktiven Verpackung.

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