Christof Zogg über den SBB-Sieg bei Best of Swiss Apps 2016
Christof Zogg ist verantwortlich für die reichweitenstärkste Schweizer Website und die am häufigsten genutzte Schweizer App. SBBs Director Digital Business und sein Team haben mit "SBB Mobile vNext" den Titel Master of Swiss Apps 2016 gewonnen. Die Redaktion hat nach dem Erfolgsrezept gefragt und danach, wie die SBB den täglichen Ansturm verkraften.
Herzliche Gratulation zum Master of Swiss Apps. Was bedeutet der Award für die SBB?
Christof Zogg: Wir sind glücklich und stolz, den Titel gewonnen zu haben. Die Anerkennung unserer Arbeit durch die Fachjury ist eine grosse Genugtuung. Noch wichtiger ist uns aber natürlich das Feedback unserer Nutzer in Form von Downloads und User Sessions sowie die App-Store-Ratings.
Wie lange dauerte die Entwicklung der neuen App?
Vom eigentlichen Startschuss der kompletten Neuentwicklung bis zum offiziellen Launch von «SBB Mobile vNext» vergingen achtzehn Monate. Nach sechs Monaten veröffentlichten wir mit «SBB Mobile Preview» aber bereits eine erste öffentliche Vorschau auf die neue App.
Wie viele Personen waren an der Entwicklung beteiligt?
Das Kern-Entwicklungsteam von SBB Mobile umfasst rund ein Dutzend Personen in den Disziplinen Product Management, Interaction Design, Frontend- und Backend-Entwicklung sowie Mobile Testing.
Die SBB kooperierten für die App mit Ubique Innovation. Warum haben Sie sich für diese Agentur entschieden?
Wir hatten Ubique kurz nach der Lancierung ihrer eigenen App Viadi kennengelernt. Das war beste Werbung in Sachen Innovativität und Affinität für den öffentlichen Verkehr. Am Anfang beschränkte sich die Zusammenarbeit aber auf die Lizenzierung des Kachel-Prinzips von Viadi für unseren Touch-Fahrplan.
Wie verlief die Zusammenarbeit?
Erst nach dem Launch der Preview-Version auf Android, die wir mit unserem eigenen Team entwickelten und auch heute noch entwickeln, engagierten wir Ubique für die Realisierung des iOS-Clients von SBB Mobile. Die Zusammenarbeit verläuft seither sehr fruchtbar und hat uns viele zusätzliche Detailinnovationen gebracht, da Ubique unsere eigenen Ideen und UX-Umsetzungen auf Augenhöhe herausfordern und verbessern kann.
Die SBB integrierten Ubiques Touch-Fahrplan. War das aufwendig?
«Speed matters» in unserem Business: Am Tag, nachdem Ubique ihre App Viadi lanciert hatte, bat ich sie um einen Termin, der noch in derselben Woche stattfand. Drei Tage später hatten wir einen Vertrag zur Nutzung des Touch-Interfaces zur Fahrplanabfrage unterzeichnet. Die Integration erfolgte dann innerhalb einer Woche via Software Development Kit (SDK), das wir sehr einfach mit dem SBB-Fahrplan verbinden konnten.
Die SBB setzten erstmals auf eine offene Beta in den App-Stores. Wie sind die Erfahrungen damit?
Wir stellten nicht bloss eine Beta-Version in die App-Stores, sondern haben vermutlich eines der grössten und erfolgreichsten Co-Development-Programme der Schweiz geschaffen. Unsere Preview-App wurde rund 400 000 Mal heruntergeladen, und in unserer Online-Community engagieren sich mehr als 12 000 aktive User. Auch wenn wir zur Pflege der Community und Beantwortung der Feedbacks einen grossen Aufwand betrieben, machte sich das Vorgehen in jeder Hinsicht bezahlt – bei der Priorisierung von Features, beim Erkennen von Bugs und bei der Benutzerzufriedenheit.
Die Preview-App gab es zuerst für Android und erst später auch für iOS. Warum?
Um möglichst schnell in die Preview-Phase gehen zu können, mussten wir uns zu Beginn auf eine mobile Plattform fokussieren. Da Apple kontrollierte Beta-Launches auf 1000 User limitiert, schränkte das unsere Möglichkeiten ein. Der Entscheid war richtig: Innerhalb weniger Tage hatten wir bereits über 10 000 Android-Downloads und in weniger als drei Monaten lieferten wir die iOS-Version nach.
Welche Community war aktiver?
Das Verhältnis von aktiven Community-Mitgliedern pro Download ist für beide Plattformen ähnlich, wobei wir etwas mehr iOS-Mitglieder haben. Rund 55 Prozent unserer Preview-User nutzen ein iPhone – und das obwohl wir diese Version drei Monate später lancierten.
Welche Ziele wollen die SBB mit der neuen App erreichen? Was sind deren wichtigsten Neuerungen?
Das Ziel ist sehr einfach: Die SBB haben rund fünf Millionen Kunden, drei Millionen davon nutzen SBB Mobile und eine Million kauft auch die Tickets damit. Wir wollen also 2 Millionen neue User und 4 Millionen neue Billettkäufer gewinnen. Unsere Vision ist es, den persönlichen, digitalen Reisebegleiter für alle ÖV-Kunden in der Schweiz zu schaffen. Deshalb sind die wichtigsten Neuerungen – und eigentlich ist fast alles neu in «SBB vNext» – das komplett neue Design, die massiv verbesserte Benutzerführung (nur noch zwei statt sieben Interaktionen bis zum Billettkauf) und der Reisebegleiter.
Kann man schon abschätzen, ob das gelingen wird?
Wir sind optimistisch: In den ersten zwei Wochen seit dem Launch haben wir zusätzlich zum organischen Wachstum 60 000 neue Nutzer gewonnen.
Gibt es auch Funktionen, die in der neuen App weggefallen sind? Wann wird das Velo-GA wieder integriert?
Mit Ausnahme der Schüttel-Funktion zum Aufrufen des Tickets, die insbesondere auf iOS durch die Unterstützung von Apple Wallet und dem Anzeigen des Tickets auf dem Lock-Screen eigentlich hinfällig wurde, planen wir, so ziemlich alle Funktionen in «vNext» zu integrieren. Bis zum Launch hat es leider nicht mehr für alle Features gereicht. Die Hunde- und Velotageskarten werden wir aber bis Ende des Jahres nachliefern.
Welche Bedeutung hat die App für die SBB?
SBB Mobile ist heute schon der reichweitenstärkste digitale Kanal der SBB und hat SBB.ch bereits knapp überholt. Mobile-First ist für uns also nicht bloss ein Schlagwort. Bezüglich des Ticketkaufs bezieht die Mehrheit der Kunden ihr Ticket aber nach wie vor über den Billettautomaten. Hier wird es in den nächsten Jahren zu signifikaten Verschiebungen vom Automaten zu SBB Mobile kommen. Der Mobile-Billettabsatz ist 2016 im Vergleich zum Vorjahr um fast 50 Prozent gewachsen.
Wie viele Tickets verkaufen die SBB pro Tag über die App? Wie viele Nutzer hat die App pro Tag?
Wir verkaufen durchschnittlich über 50 000 Billette pro Tag. Das ist etwa 15 Mal so viel, wie wir am Zürich HB, unserem grössten Bahnhof, absetzen.
Die SBB verteilten die neue App per Zwangsupdate. Wie kam das bei den Nutzern an? Die jüngsten Kommentare zur App in den App-Stores sind zudem eher negativ. Sind die Nutzer unzufrieden?
Das war auch für uns interessant, zu sehen: Dieselbe App, die als SBB Mobile Preview etwa in der iOS-Version ein exzellentes Rating von 4.5 von 5 Sternen erhält, wird in der Version ohne Zusatz «Preview» aktuell noch deutlich schlechter bewertet. Der Hauptgrund dafür ist das «Zwangsupdate». Die User, die ihre Apps automatisch aktualisieren (man schätzt, dass das etwa 60 Prozent sind) erhielten von einem Tag auf den anderen eine rundum erneuerte App und müssen sich erst wieder zurechtfinden und etwa verstehen, dass man in «SBB Mobile vNext» Tickets nur noch fahrplanbasiert kauft. Wird das erst verstanden, dann freuen sich auch diese Nutzer über die neue App.
Die SBB bieten Support auf Twitter, via E-Mail, Telefon und als In-App-Chat. Gab es auch hier einen Ansturm wegen der App?
In der Tat war unser Team im Contact Center in Brig stark gefordert. Pro Tag erhielten wir bis zu 1500 Anfragen und Rückmeldungen zur neuen App. Dieser umfassende Supportdienst ist für uns aber gleichzeitig eine grosse Hilfe, alle unsere Benutzer auf die Reise mit «SBB Mobile vNext» mitzunehmen.
Haben die kritischen Rückmeldungen auch damit zu tun, dass es am Anfang in der neuen App viele Fehlermeldungen gab? Wo lagen die Probleme im Detail?
Die neue App nutzt eine neue Schnittstelle, um auf den Fahrplan-Service zuzugreifen. Diese konnten wir mit unseren rund 350 000 Preview-Usern testen. Gleichzeitig führten wir Lasttests und Performance-Optimierungen durch, um für den grossen Ansturm am Launch-Tag gewappnet zu sein. Zu den täglichen Spitzenzeiten erhalten wir etwa 350 Anfragen pro Sekunde, und ausgelegt war das System auf maximal 800 Anfragen pro Sekunde. Wir hatten also theoretisch noch Marge. Leider hielt sich die Realität nicht an unsere Planung. Im Nachgang des positiven Berichts in der «Tagesschau» verzeichneten wir über 800 Anfragen pro Sekunde. Dieser Last hielten unsere Backendsysteme nicht stand. Die ersten drei Tage nach dem Launch waren für das ganze Team deshalb eine grosse Belastung, die wir uns und unseren Kunden gerne erspart hätten. Seither läuft der Betrieb nun aber stabil, und wir investieren weiter in Performance-Optimierungen und besser verständliche Fehlermeldungen.
Wer nutzt die App intensiver, Android- oder iOS-Nutzer?
Bei den Downloadzahlen seit dem Launch haben wir fast einen Gleichstand bei Android und iOS erreicht. Wenn es um die Ticketkäufe geht, so kommen aber nach wie vor zwei Drittel von iOS. Fazit: iOS verliert von sehr hohem Niveau aus auch in der Schweiz Marktanteile, wird aber einige Zeit noch die wichtigste und wohl mehrere Jahre noch eine bedeutende mobile Plattform sein.
Was ist eigentlich mit Windows 10 Mobile?
Gerne hätten wir bereits zum Launch SBB Mobile als Windows-Mobile-Version auf den Markt gebracht. Aber im Unterschied zu iOS sind bei Windows die mobilen Marktanteile nicht langsam, sondern im letzten Jahr rasant zurückgegangen und machen bei uns noch knapp 2,5 Prozent aus. Gleichzeitig haben die von Microsoft versprochenen Portierungshilfen «Astoria» für Android und «Islandwood» für iOS bisher nicht gehalten, was sie versprochen hatten. Wir verfolgen aber nach wie vor eine Universal-Windows-App, die dann nicht nur auf den Windows-Smartphones, sondern auch auf den zahlenmässig viel interessanteren Windows-10-PCs laufen würde.
Was sind die nächsten Schritte für die neue SBB-App?
Die Entwicklung der App ist noch längst nicht abgeschlossen. Wir haben aktuell in unserem Backlog Ideen und Anforderungen, die uns mindestens für die nächsten zwei Jahre noch beschäftigen werden. Wenn alles gut läuft, werden wir also auch in den nächsten Jahren wieder einmal einen Release von SBB Mobile bei Best of Swiss Apps einreichen können.