Focus on Future

Firmen ohne Geschäftsleitung - geht das?

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Braucht das Unternehmen der Zukunft noch eine Geschäftsleitung? Diese Frage haben die Teilnehmer eines Focus-on-Future-Events in Baden diskutiert. Eine eindeutige Antwort fanden sie nicht.

Von links: Oliver Wegner, Jutta Rump, Toni Zemp, Urs Prantl (Quelle: Markus Muoth)
Von links: Oliver Wegner, Jutta Rump, Toni Zemp, Urs Prantl (Quelle: Markus Muoth)

Firmen sind meist streng hierarchisch organisiert. Ist das überhaupt sinnvoll? Gibt es Alternativen? Und wer führt das Unternehmen der Zukunft? Die Veranstaltung Focus on Future bot eine Plattform, um über diese Fragen zu diskutieren.

 

Jutta Rump vom Institut für Beschäftigung und Employability der Hochschule Ludwigshafen zeigte auf, wie Firmen das Thema Führung neu anpacken können. Und Tonio Zemp von Liip berichtete von den Erfahrungen, die die Softwarefirma mit Selbstorganisation und Mitarbeiterautonomie macht. Seit Anfang 2016 wirtschaftet Liip ohne Geschäftsleitung und setzt stattdessen auf Holokratie.

 

Menschen statt Geschäftsmodelle

Rump sprach zu Beginn aktuelle Megatrends an. Etwa die Digitalisierung, den Innovations- und Kostendruck und die Globalisierung und Internationalisierung. Laut Rump vergessen wir oft, dass diese Entwicklungen die Arbeitswelt massiv beeinflussen. "Wir müssen nicht nur über Geschäftsmodelle und die Digitalisierung von Prozessen nachdenken, sondern auch über die soziale Transformation."

 

Bei der Industrie 1.0 mit dem mechanischen Webstuhl und der Dampfmaschine sei das noch kein Thema gewesen. Mit der Arbeitsteilung und Henry Ford folgte die Industrie 2.0. Auch damals sei die soziale Transformation kaum Teil des öffentlichen Diskurses gewesen. "Erst als der Computer und das Web die Industrie 3.0 einläuteten, begannen wir endlich mitzudenken", sagte Rump.

 

 

 

Agile Organisation, starre Leitlinien

Eine Führungskraft müsse 15 Aufgaben meistern und 20 Kompetenzanforderungen erfüllen, sagte Rump in einem Interview im Vorfeld des Events. "Damit sind wir bei der eierlegenden Wollmilchsau angelangt, die es so nicht gibt."

 

Jutta Rump vom Institut für Beschäftigung und Employability der Hochschule Ludwigshafen (Bildquelle: Markus Muoth)

 

An der Veranstaltung knüpfte sie an diese Aussage an. Die Anforderungen an Führungskräfte seien heute zu komplex. Die Folge müsse eine Demokratisierung von Führung sein – das Teilen von Kompetenzen unter dem Leitprinzip der Partizipation. "Führungskräfte müssen lernen, Handlungsspielräume zu übertragen und Entscheidungsbefugnisse zu delegieren", sagte Rump.

 

Linienorganisationen würden aber nicht verschwinden. Es werde immer Hierarchien geben. Wer sich für eine agile Organisation entscheide, müsse auch ein passendes Geschäftsmodell und eine passende Kultur haben. So oder so brauche es Regeln für die Kommunikation und gemeinsame Zielvereinbarungen. "Agile Organisationen brauchen Leitplanken, die starr sind", fasste Rump zusammen.

 

160 Mitarbeiter und keine Geschäftsleitung

Nach dieser Einführung teilte Tonio Zemp Erfahrungen aus der Praxis. Das ehemalige Mitglied der ehemaligen Geschäftsleitung bei Liip arbeitet in einem Unternehmen, das seit 13 Monaten keine Geschäftsleitung mehr hat. Obwohl es schweizweit rund 160 Mitarbeiter beschäftigt und mehrere Filialen unterhält.

 

2007 sei Liip einfach "irgendwie" organisiert gewesen, sagte Zemp. 2009 habe das Unternehmen Scrum-Teams eingeführt, bei rund 40 Mitarbeitern. Versuche, Scrum auch für die Firmenorganisation zu nutzen, seien nicht zufriedenstellend gewesen. "Scrum ist eben doch eine reine Projektorganisation." 2010 habe Liip fixe Teams zusammengestellt. Die Projekte sollten zu den Teams kommen und nicht umgekehrt, sagte Zemp. Das habe zwar viele Probleme gelöst, aber auch neue geschaffen.

 

Rollen statt Hierarchien

"Bis 50 Personen braucht es gar keine Organisationsform", zeigte sich Zemp überzeugt. Experten für Arbeitsorganisation würden ihm wohl widersprechen. 2012 hatte Liip 55 Mitarbeiter und versuchte es mit Cross-functional-Teams. 2013 waren es bereits 70 Mitarbeiter. Liip setzte nun auf Self-organizing-Teams, die selbst für ihr Budget und die Anstellung von neuen Mitarbeitern verantwortlich waren. Das habe lange hervorragend funktioniert, sagte Zemp.

 

Tonio Zemp, ehemaliges Mitglied der ehemaligen Geschäftsleitung von Liip (Bildquelle: Markus Muoth)

 

Bis 2015 wuchs Liip auf 130 Mitarbeiter an. Es habe damals noch ein Mal pro Woche eine Geschäftsleitungssitzung mit 6 Teilnehmern gegeben. "Wir schafften sie ab und schauten mal, was passiert", sagte Zemp. "Es passierte eigentlich gar nichts."

 

2015 befassten sich Mitarbeiter von Liip zum ersten Mal intensiver mit Organisationstheorien. Eine Inspiration sei das Buch "Reinventing Organizations" von Frederic Laloux gewesen. Seit Anfang Jahr setzt Liip auf das Holacracy-Modell. Es gebe nun zwar eine Art Rollenmodell, aber keine klassischen Befehlswege mehr, sagte Zemp. Er selbst habe bei Liip aktuell rund 15 Rollen.

 

Wer entlässt wen?

Die Kunden seien von Liips Experimenten im Bereich Organisation nicht betroffen, sagte Zemp. Viele Fragen seien noch ungeklärt. So sei etwa unklar, wer wen entlassen könne. Auch bei wichtigen, schwierigen Entscheidungen gebe es noch Herausforderungen.

 

Holacracy habe aber auch viele Vorteile. Die Struktur von Liip sei sehr transparent und das Unternehmen äusserst flexibel. Die Mitarbeiter könnten viel Verantwortung tragen. Und Liip betone mit dem Modell Qualitäten, die der Mitarbeiter der Zukunft brauche. Er werde entscheiden, organisieren und Kommandos formulieren müssen, die dann ein Roboter ausführe. Holacracy fördere genau diese Fähigkeiten und mache die Mitarbeiter fit für den Arbeitsmarkt der Zukunft, sagte Zemp.

 

Ausverkauftes Haus

Die Organisatoren der Focus-on-Future-Reihe sind Urs Prantl, Geschäftsführer des IT-Beraters KMU Mentor, und Oliver Wegner, Inhaber und CEO von Evolutionplan. Die Veranstaltung in der Villa Boveri in Baden war mit rund 110 Teilnehmern ausverkauft.

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