Fokus: Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen

Wie künstliche Intelligenz Expertenwissen potenziert

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von Anna Hitz, Partnerin, Indema

In Spitälern ist viel fragmentiertes Expertenwissen vorhanden. Selbstständig lernende KI-Netze könnten dabei helfen, das räumlich und organisatorisch verteilte Wissen zu bündeln und ­Menschen mit den richtigen Experten zu verbinden. Dadurch lassen sich die Behandlungsqualität verbessern und der administrative Aufwand verringern.

Künstliche Intelligenz (KI) ist derzeit in aller Munde und wird immer wieder als eine der Schlüsseltechnologien der Digitalisierung bezeichnet. Und jedes Mal, wenn ein Computer den Menschen in einem Brettspiel wie Go bezwingt, überschlagen sich die oft pessimistischen Prognosen: KI werde die Arbeit abschaffen, der Mensch dereinst sogar überflüssig werden. Natürlich stellt man sich auch im Gesundheitswesen die berechtigte Frage, was KI in einem Spital leisten kann – oder was nicht.

Rechenleistung heisst nicht automatisch Intelligenz

Die meisten der heute eingesetzten KI-Systeme sind extrem leistungsstarke Rechner, die aus riesigen Datenmengen bestimmte Verhaltensregeln ableiten. Der Aufwand, der betrieben werden muss, damit die Maschine einen Hund von einer Katze unterscheiden kann, ist jedoch unverhältnismässig hoch. Erst nachdem man sie mit riesigen Datenmengen gefüttert und unzählige Versuchsläufe absolviert hat, kann das System eine einigermas­sen treffsichere Entscheidung fällen. Die Maschine ist zudem nur auf einen Anwendungsfall trainiert und unfähig, das Wissen auf eine andere Situation zu adaptieren: Setzt man ihr das Bild eines Meerschweinchens vor, versagt sie kläglich. Ein zweijähriges Kind sieht einmal eine Katze und kann sie für den Rest des Lebens von tausenden anderen Tieren unterscheiden.

Mensch und Computer sollten zusammenarbeiten

Dass eine KI also schon bald komplexe Krankheitsdiagnosen selbstständig stellen wird, danach sieht es zumindest im Moment nicht aus. Gefragt sind vielmehr alternative Ansätze: Anstatt dem Computer beizubringen, wie ein Mensch zu lernen, sollten sich Mensch und Maschine auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren. Der Computer ist unschlagbar im Speichern und Verarbeiten von riesigen Datenmengen. Die grosse Stärke des Menschen ist demgegenüber, das Wissen in einen Kontext zu setzen und zu verbinden. Gerade diese menschliche Fähigkeit wird aufgrund der zunehmenden Komplexität in vielen Lebensbereichen künftig noch viel wichtiger.

Den richtigen Experten mühelos finden

Eine Schweizer Firma verfolgt einen interessanten Ansatz im Bereich KI, der auch "Augmented Intelligence" genannt wird. Das Zürcher Unternehmen Starmind hat ein lernfähiges KI-Netzwerk entwickelt, das Menschen mit anderen Menschen zusammenführt und Expertenwissen zu bestimmten Themen einfach zugänglich macht. Weil es durch die ständige Interak­tion dazulernt, ist es mit der Zeit in der Lage, die Experten eines Themengebiets selbstständig zu identifizieren und damit ein mächtiges Netzwerk menschlicher Intelligenz zu schaffen. Ständig wiederkehrende Fragen werden autonom durch Maschinenintelligenz beantwortet.

Diese Technologie wird etwa von der Informationsplattform DS21 eingesetzt, um Angehörigen von Menschen mit dem Down-Syndrom den Zugang zu Fachwissen zu erleichtern. Diese müssen sich nicht nur über Trisomie 21 als solche informieren, auch die Suche nach rechtlichen Grundlagen etwa für die Leistungsansprüche an Krankenkassen gestaltet sich schwierig und zeitraubend. Wichtig ist zudem der Austausch mit Fachleuten und anderen Eltern zu Therapien. Das KI-Netzwerk verbindet Eltern, Ärzte und Forscher. So können Eltern für jede ihrer Fragen in Echtzeit einen Experten finden und kontaktieren. Weil Fragen anonym gestellt werden können, fällt zudem eine Hemmschwelle weg, sich Hilfe zu holen.

In den Spitälern gibt es viel fragmentiertes Wissen

Diese Herangehensweise ist auch im Gesundheitswesen sinnvoll, denn im Umfeld von Spitälern gibt es viel fragmentiertes Expertenwissen. Durch die organisatorische und räumliche Trennung in Medizinbereiche und Kliniken entstehen Wissensinseln, die nur beschränkt miteinander im Austausch stehen. Das Wissen ist durchaus vorhanden. Oft kann jedoch nicht rasch genug ein Experte mit dem nötigen Know-how lokalisiert werden. Die Eigenheiten des klinischen Betriebs, die Patientenbehandlung durch mehrere Ärzte sowie die Schichtarbeit erschweren zusätzlich einen nahtlosen Informationsfluss in der Gruppe. Ein Szenario ist, medizinisches Fachwissen zu einem bestimmten Thema in einem lernfähigen KI-Netzwerk zu sammeln und es dadurch allen Akteuren leichter zugänglich zu machen.

Medizinisches Wissen sammeln und zugänglich machen

Die Behandlung von Krebserkrankungen beispielsweise erfordert in der Regel eine intensive Zusammenarbeit von Ärzten aus verschiedenen Fachrichtungen. Um die beste Therapie zu finden, werden sogenannte "Tumorboards" abgehalten. Für den individuellen Behandlungserfolg kann es jedoch entscheidend sein, dass der richtige Experte gefunden und hinzugezogen wird. Hier ist der Einsatz eines lernfähigen KI-Netzwerks sinnvoll, um die verschiedenen medizinischen Experten über Klinikgrenzen hinweg miteinander zu vernetzen und die Diagnostik zu unterstützen.

Ein anderer Anwendungsfall sind medizinische Labore. In jedem Spital gibt es Labore, in denen Blut, Stammzellen oder andere Flüssigkeiten untersucht werden. Sie arbeiten zwar für unterschiedliche Fachbereiche, führen aber oft ähnliche oder gleiche Analysen durch. Hier kann ein KI-Netzwerk eingesetzt werden, um die Mitarbeitenden bei häufig gestellten Fragen zu Analysegeräten, übergeordneten Spitalprozessen oder Best Practices zu unterstützen.

Eine weitere Herausforderung im Spitalalltag ist die Flut von klinikspezifischen Vorschriften, SOP (Standard Operating Procedures) oder Compliance-Vorgaben. Diese müssen nicht nur im täglichen Betrieb eingehalten werden. Sie machen auch die Einführung von neuen Mitarbeitenden sehr zeitaufwendig. Ein KI-Netzwerk kann dieses Wissen im Sinne eines "Gehirns" für das Spital zentral verwalten. Ständig wiederkehrende Fragen werden vom System automatisch beantwortet.

Die medizinischen Fach-Hotlines entlasten

Ein Anwendungsfall sind auch die Spital-Informations-Hotlines. Viele Spitäler betreiben telefonische Hotlines zu Themen wie Spitalhygiene, Pharmakologie oder Qualitätsmanagement. Dort kann sich das medizinische Personal etwa informieren, ob bestimmte Medikamente zusammen verschrieben werden dürfen oder nicht. Nicht nur ist der Betrieb dieser Hotlines, die oft rund um die Uhr und sieben Tage in der Woche besetzt sein sollten, sehr aufwendig. Dazu kommt, dass viel Zeit für die Beantwortung der immer gleichen Fragen aufgewendet wird. Ein KI-Netzwerk kann das Know-how zentral zur Verfügung stellen und häufig auftauchende Fragen automatisch beantworten. So haben die Spezialisten am Telefon mehr Zeit, um das medizinische Personal bei komplexen Fragestellungen zu beraten.

Schulungen auf den ­Bedarf ausrichten

Ein weiterer Vorteil eines selbstlernenden KI-Netzwerks offenbart sich erst, wenn ein solches System eine Zeit lang im Einsatz ist: Es weiss nämlich sehr genau, zu welchen Themen immer wieder Fragen gestellt werden. Auf der Basis dieses Wissens kann das Schulungs- und Weiterbildungsangebot in einem Spital oder einer Klinikgruppe verbessert werden. Wenn sich etwa Fragen zu Hygienethemen häufen, können Workshops zu diesem Thema auf den Ausbildungsplan gesetzt werden. So lassen sich die beschränkten Ressourcen für Aus- und Weiterbildungen noch besser auf den effektiven Bedarf ausrichten.

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