Wie die Cloud den Einstieg in die KI erleichtern soll
Wer ins Geschäft mit künstlicher Intelligenz einsteigen will, braucht einen Überblick über die aktuellen Use Cases. Fälle aus der Praxis und ein offener Erfahrungsaustausch – darum ging es am Frühlingsevent von Eurocloud-Swiss. Die Beispiele aus der Medizin und der Vermögensverwaltung zeigten: Die Basis für KI-Projekte ist die Cloud.
Kaum ein IT-Thema weckt so viele Hoffnungen und Ängste wie künstliche Intelligenz (KI). Sie sei die letzte Erfindung der Menschheit, sagen die Kritiker, die KI als Bedrohung sehen. Als eine Gefahr, die zunächst die menschliche Arbeitskraft wegrationalisiert, um eines Tages vielleicht sogar den Menschen abzuschaffen. Etwa so sieht das düstere Szenario aus. Die optimistische Variante dagegen lautet: KI macht es möglich, dass sich der Mensch endlich wieder auf kreative Aufgaben konzentrieren kann. Und vor allem: KI kurbelt den Wirtschaftsmotor an. Sie ermöglicht neue Geschäftsmodelle und macht das Business lukrativer.
Dieser Anreiz bringt Grosskonzerne wie auch KMUs dazu, sich ernsthaft mit KI zu beschäftigen. Sie interessieren sich nicht für graue Theorie, sondern für handfeste Beispiele aus der Praxis. Sie brauchen Antworten auf die Frage, was es braucht, um mit einem KI-Projekt zu beginnen. Und: Wie machen es die anderen? Über solche Fragen diskutierten Referenten und Besucher am Frühlingsevent von Eurocloud Swiss. Der Fachverband setzt sich für die Förderung von Cloud Computing ein und sieht sich als Brückenbauer zwischen Anbietern und Kunden, wie Eurocloud-Swiss-Präsident und Glenfis-Gründer Martin Andenmatten zur Begrüssung sagte. "Wir wollen die Leute zusammenbringen, diskutieren und Know-how vermitteln."
Martin Andenmatten, Präsident von Eurocloud-Swiss und Gründer von Glenfis. (Source: Netzmedien)
Mehrwert für die Medizin
Wer ein KI-Projekt starten will, braucht in erster Linie Daten, um die Modelle zu trainieren. Geeignete Trainingsdatensätze zu finden, kann schwierig sein. Wer auf Github oder Kaggle nichts findet, kann vielleicht Daten kaufen. Ansonsten führt kein Weg an Kooperationen vorbei. Die Firma Balzano Informatik bekommt ihre Daten von Partner-Spitälern, wie Stefan Voser, Produkt Manager AI, Balzano, sagte. Die Spitäler lieferten bestimmte medizinische Bilddaten, im Gegenzug erhielten sie die Lösung von Balzano lizenzfrei. Was die Lösung bezweckt? Sie soll Radiologen helfen, bestimmte Pathologien zu erkennen.
Balzano arbeite mit Deep-Learning-Algorithmen, die etwa Meniskus-Risse oder Bandscheibenvorfälle auf MRT-Aufnahmen erkennen. Die Software würde solche Vorfälle auf Heat Maps aufzeigen. Diese würden den Radiologen als sofortige Zweitmeinung dienen. Die Lösung liesse sich aber auch zur Priorisierung von medizinischen Notfällen einsetzen, sagte Voser.
Ausgehend von diesem Use Case entwickelte Balzano eine KI-Entwicklungsumgebung namens Workbench. Ziel sei es, dass Spitäler mit diesem Angebot ihre eigenen KI-Lösungen bauen und trainieren könnten. Mit ihren eigenen Daten, auf ihre spezifischen Anwendungsfälle. "So müssen die Spitäler nicht von Grund auf neu anfangen, wenn sie eine KI-Lösung einsetzen wollen", sagte Voser.
Stefan Voser, Produkt Manager AI, Balzano. (Source: Netzmedien)
Keine KI ohne Cloud
Die medizinische Bildanalyse sei sehr rechenintensiv, merkte Voser an. Grundsätzlich gilt: Wer neuronale Netze trainieren will, braucht skalierbare GPU-Ressourcen. Da führt heute kein Weg mehr an den Cloud-Anbietern vorbei. "Die Cloud und APIs sind die Basis für KI", sagte Andy Fitze, Mitgründer von Swisscognitive. Sie lieferten den nötigen Technologie-Stack.
Was es sonst noch braucht? Die richtigen Talente und Leadership. Letzteres sei entscheidend, denn: "Es geht heute nicht mehr darum, ob wir etwas können, sondern darum, ob wir es wollen." Die grösste Herausforderung sei es, Erwartungen zu steuern, Leute zu überzeugen und mit ihren Ängsten umzugehen.
Andy Fitze, Mitgründer von Swisscognitive. (Source: Netzmedien)
Deep Learning für die Drecksarbeit
Wer Trainingsdaten beschafft hat und eine cloudbasierte Infrastruktur nutzen kann, muss sich mit Entwicklungsumgebungen für maschinelles Lernen beschäftigen. Derzeit ist etwa Googles Tensorflow hoch im Kurs. Ein Framework, mit dem auch Ursin Brunner arbeitet. Brunner ist Senior Software Engineer bei TI&M. Er stellte den zweiten Use Case am Eurocloud-Swiss-Event vor. Der Titel seines Referats: Dokumente verstehen mit KI.
Er präsentierte eine Lösung, die TI&M im Auftrag von Robecosam umsetzte. Robecosam ist ein Vermögensverwalter, der sich auf nachhaltige Investments spezialisiert und in Zürich sitzt. Die Firma gibt – gemeinsam mit Dow Jones – den sogenannten Sustainability Index heraus. Dieser soll Unternehmen danach bewerten, wie nachhaltig sie wirtschaften. Um diesen Index zu ermitteln, evaluiert Robecosam jährlich über 4500 Fragebögen. Ziel der Lösung von TI&M sei es gewesen, die Auswertung dieser Fragebögen sowie weiterer Dokumente zu automatisieren.
Was leistet die Lösung? "Sie dient den Analysten als Werkzeug, um effizienter zu arbeiten", sagte Brunner. Die Software solle etwa Ausreisser, falsche oder fehlende Antworten markieren. Die KI übernehme die repetitiven Aufgaben, "und die Analysten können sich auf die spannenden Aufgaben konzentrieren".
Ursin Brunner, Senior Software Engineer bei Ti&M. (Source: Netzmedien)
Und wer trägt die Verantwortung?
Im Anschluss an die Kurzreferate gab es eine offene Diskussionsrunde. Aus dem Publikum kam etwa die Frage auf, ob künftig die Verantwortung an die Maschinen übertragen werde. Das bezweifelte die Rechtsanwältin Carmen de la Cruz. Zumindest in absehbarer Zeit würden weiterhin Ärzte und Spitäler ihr Handeln verantworten. "Wie das in ferner Zukunft aussieht und wie das versicherungstechnisch gehandhabt wird, ist allerdings offen."
Aus juristischer Sicht gäbe es überall spannende Fragen, wo KI ins Spiel komme. Was den medizinischen Einsatz angehe, müsste man genau hinschauen, etwa in puncto Arztgeheimnis aber auch in datenschutzrechtlicher Hinsicht, was die EU-DSGVO betreffe. Auch immaterialgüterrechtliche und vertragsrechtliche Fragen würden derzeit heiss diskutiert.
Wem gehört welcher Teil der Software? Wem gehören die Daten? Juristische Lösungen für solche Streitfragen liessen auf sich warten. "Doch was die Haftung angeht, bin ich überzeugt, dass in den kommenden Jahren reguliert wird", sagte de la Cruz.
Rechtsanwältin Carmen de la Cruz (r.) sprach in der Diskussionsrunde über die juristischen Fragen rund um KI. (Source: Netzmedien)