Wie Inacta zur Blockchain kam - und das Crypto Valley miterfand
Eigentlich hatten die beiden Inacta-Gründer Ralf Glabischnig und Marco Bumbacher gar nichts mit Blockchain und Bitcoin am Hut. Aber ohne das Beratungsunternehmen gäbe es wohl das Zuger Crypto Valley mit all seinen Start-ups in der heutigen Form nicht. Wie es dazu kam und wie es weitergeht, erklären die Co-Gründer im Interview zum zehnjährigen Jubiläum.
Sie feiern dieses Jahr mit Inacta das zehnjährige Jubiläum – wie hat sich das Unternehmen in dieser Zeit entwickelt?
Ralf Glabischnig: Wir sind damals als reiner Dienstleister mit sechs Leuten gestartet. Als Berater für Digitalisierung haben wir unsere Kunden von papierbasierten zu effizienten, digitalen Prozessen begleitet. Technisch gesprochen vom Papier zum PDF zum XML und heute in die Blockchain! Auf diesem Weg hat sich Inacta zu einem "Solution Provider" und "Company Builder" mit 60 Mitarbeitenden bei Inacta und über 90 Mitarbeitenden in der Gruppe entwickelt. Heute glauben wir, dass das reine Dienstleistungsgeschäft, das Consulting, wie wir es von früher kennen, keine Zukunft mehr hat, weil sich die Art und Weise der Projekte und die Bedürfnisse der Kunden verändert haben. Sie wollen schneller Ergebnisse sehen und brauchen dafür vorgefertigte Lösungen und Produkte.
Und wie entwickeln Sie diese Produkte?
Glabischnig: Die Entwicklung solcher Lösungen passiert heute in kleinen, agilen Einheiten. Deswegen haben wir ein Produktentwicklungsteam und verschiedene Tochter- und Schwestergesellschaften gegründet. Mit unserer "inadox Platform" unterstützen wir effiziente Prozesse im Dokumentenmanagement. Im Blockchain-Umfeld haben wir Tokengate.io aufgebaut, mit der wir den Onboarding-Prozess für ICOs, STOs und auch für Banken mit vollständigem KYC/AML anbieten. Oder Inapay, mit dem wir uns in der Welt der Krypto-Payments bewegen. Und dann ist da noch Gentwo Digital, mit der wir jedem Non-bankable Asset eine ISIN geben können. Das alles waren Marktlücken, die wir mit diesen kleinen Einheiten – je maximal 20 Personen – erschlossen haben. So werden wir auch in Zukunft weitermachen, in kleinen agilen Teams gezielt Probleme lösen, statt ein grosses und behäbiges Unternehmen aufbauen.
Marco Bumbacher: Genau aus diesem Gedanken heraus haben Ralf und ich vor zehn Jahren Inacta gegründet. In unseren vorherigen Jobs erlebten wir, wie Unternehmen schnell wachsen und ineffizient werden. Wir arbeiteten beide in diversen Führungspositionen und beschäftigten uns fast nur noch mit Forecasts und dem Controlling des letzten Monats in Excel-Tabellen. Wir wollten aber viel lieber Projekte in kleinen Teams umsetzen. Aus diesem Wunsch wurde unsere Inacta-Vision: eine kleine Boutique aufbauen, die in einer Nische das Beste anbietet, das es auf dem Markt gibt. Und das ist uns auch gelungen.
Mit 60 Mitarbeitenden entfernen Sie sich aber deutlich von der Idee der kleinen, agilen Einheit.
Bumbacher: Ja, wir sind jetzt an dem Punkt, der bei uns Erinnerungen an frühere Gesellschaften weckt, und wir fragen uns, wie gross wir werden wollen. Wir sind uns einig, dass wir weiterhin gezielt kleine Einheiten bilden, sei dies innerhalb von Inacta oder als ausgegründete Gesellschaft. Die Vision ist heute: Idee, Umsetzung, Go-to-Market und dann eigenständig weitermachen lassen.
Der erste bekannte Anwendungsfall einer Blockchain, der Bitcoin, hatte sein Debüt ebenfalls vor zehn Jahren. Wie hat das Ihre Geschäftstätigkeit beeinflusst?
Glabischnig: Die Frage ist eher, wie wir in den Blockchain-Space gekommen sind. Wegen unseres steten Wachstums waren wir mehrmals gezwungen, neue Büros zu suchen. Darum gründeten wir 2014 das Lakeside Business Center, um Wachstumsfläche für uns zu haben und die Überkapazitäten an Dritte zu vermieten. Als sich dann in Zug das Crypto Valley zu formieren begann, klopften plötzlich Blockchain-Firmen bei uns an und fragten, ob hier im Business Center schon andere Blockchain-Firmen seien. Pioniere wie Bitcoin Suisse und die Ethereum Foundation hatten 2013/2014 den Grundstein dafür gelegt.
Bumbacher: Die Zahl der Blockchain-Firmen im Center stieg dann rasant an. Politiker begannen sich zu interessieren, und unsere Kunden aus dem Versicherungs- und Bankenumfeld fragten uns plötzlich, was das Thema Blockchain für sie bedeute, ob es sie betreffe. Ab diesem Zeitpunkt fingen wir an, uns selbst mit der Blockchain zu befassen und das Thema voranzutreiben.
Wann war das?
Bumbacher: Vor etwa drei Jahren. Kurz davor hatten wir damit angefangen, uns intensiver mit Start-up-Investments zu beschäftigen und haben uns dazu mit Mathias Ruch, einem dritten starken und komplementären Partner, ergänzt und gemeinsam Lakeside Partners gegründet. Mit Mathias hatte ich bereits in den 90er-Jahren gemeinsam Firmen während des Internethypes gegründet. Heute sind im Lakeside Business Center und vor allem bei Crypto Valley Labs über 200 Firmen eingemietet, die sich ausschliesslich mit Blockchain-Technologie beschäftigen.
Glabischnig: Befeuert wurde das Ganze zusätzlich durch die von uns lancierte "Blockchain Competition". Zu gewinnen gab es an dem Wettbewerb 100 000 Dollar für die beste Anwendungsidee der Blockchain. Den ersten Wettbewerb starteten wir 2016 für die Versicherungsbranche, den zweiten für die Finanzindustrie und den dritten für Real Estate. Das war für uns extrem spannend, weil wir bei jedem Wettbewerb jeweils über 100 Ideen aus mehr als 30 Ländern erhielten. Dabei haben wir enorm viel gelernt und auch die Schweizer Corporate-Welt eingebunden.
Zum Beispiel?
Bumbacher: Wir haben gemerkt, dass wir uns engagieren müssen und haben auf politischer Ebene eine sehr aktive Rolle eingenommen. Denn der Schweiz respektive Zug fehlten zwei Rahmenbedingungen, die nötig sind, um ein Blockchain-Ökosystem aufzubauen: Regulierung und Infrastruktur für Start-ups im Sinne von Büros, Inkubatoren, Treffpunkten. Mit Unterstützung von den Bundesräten Johann Schneider-Ammann und Ueli Maurer initiierten wir deshalb die Blockchain-Taskforce, bei der es darum ging, eine vorteilhafte Regulierung zu schaffen. In diesem Zusammenhang kam ein weiterer wichtiger Partner ins Spiel, Lorenz Furrer, der Gründer von Furrerhugi, einer der stärksten Public-Affairs-Agenturen der Schweiz. Für die Infrastruktur gründeten wir die Crypto Valley Labs, wo wir heute 2500 Quadratmeter Fläche ausschliesslich für Blockchain-Firmen zur Verfügung stellen. Aus Lakeside Partners wurde CV VC (Crypto Valley Venture Capital, Anm. d. Red.), was heute ein eigenständiges Unternehmen mit einem starken Führungsteam unter der Leitung von Mathias Ruch ist.
Welches Potenzial hat die Blockchain für den Finanzplatz? Werden die Banken dadurch abgeschafft?
Glabischnig: Nein, das glaube ich nicht. Es geht mehr darum, was ihr Geschäft in Zukunft sein wird. Eine der grössten Herausforderungen in Zukunft wird die Aufbewahrung der Tokens sein. Denn bereits heute sind schätzungsweise 16 bis 18 Prozent der Bitcoins verloren, weil die Private Keys verloren sind. So etwas können wir uns nicht erlauben, wenn wir all unsere Werte auf die Blockchain bringen. Wenn sich die Schweizer Banken als Aufbewahrer dieser Werte positionieren, dann kann das international ein sehr spannendes Geschäft für sie werden.
Bumbacher: Und wenn die Schweiz als eines der ersten Länder die nötige Regulierung umgesetzt hat, dann werden wir im Ausland weiterhin als sehr vertrauenswürdiger Standort wahrgenommen werden. Für die Langzeitdatensicherung hat die Schweiz diesen Status bereits. Das spüren wir immer wieder, wenn wir im Ausland unterwegs sind. Das gilt es zu nutzen. Ich weiss aber nicht, ob das schon alle Banken verstanden haben.
Wie wird das alles das Banking in den kommenden zehn Jahren verändern?
Glabischnig: Ich glaube, dass sich die Retailbanken noch mehr in Richtung Automatisierung, Selfservice und Mobile Banking entwickeln werden. Für reine Payment-Prozesse werden wir alternative Lösungen sehen. Beim Private Banking wird es immer mehr um die persönliche Beratung gehen. Beide Arten von Banken werden nicht um die Blockchain herumkommen.
Bumbacher: Was wir sicher sehen werden, ist die Tokenization verschiedenster Assets: von Immobilien über Rohstoffe und Rinderfarmen bis hin zu Kunstwerken und Oldtimern – alles was einen Wert hat, wird auf der Blockchain sein. Dadurch wird ein ganz neuer Markt für Investments entstehen. Es wird relativ einfach werden, in Dinge zu investieren, in die man heute nicht oder nur sehr umständlich investieren kann. Banken werden hier die Chance haben, den Kunden diese neuen Arten von Assets vorzuschlagen, auf die sie von selbst nicht kommen würden. Die Banken können diese neuen Assets dann auch wieder in einem Fonds oder Index kombinieren und auch für ihre Kunden sicher aufbewahren.
Auf einer Skala von 1 bis 10, als wie "digital fit" bezeichnen Sie ...
9 | sich selbst?
6 | die Schweiz?
7 | die Finanzbranche?
9 | Ihr Unternehmen?
Facebook will mit der Kryptowährung Libra zum Fintech-Dienstleister werden. Was halten Sie von dem Vorhaben?
Glabischnig: Es freut uns sehr, dass Facebook das Crypto Valley (Genf) und nicht das Silicon Valley ausgesucht hat, um sein Krypto-Projekt Libra umzusetzen. Dieser Schritt hat die Relevanz der Schweiz in diesem Markt bestätigt. Spannend bleibt der regulatorische Teil rund um Libra. Bereits jetzt haben sich Datenschützer vieler Länder angemeldet, um frühzeitig Details zu erfahren und auch die US-Behörden und die Finma beschäftigen sich intensiv mit dem Thema.
Inzwischen gibt es mehr als 800 Firmen im Crypto Valley. Wo wächst die Branche aktuell besonders?
Glabischnig: Wir bringen gemeinsam mit CV VC und PwC halbjährlich einen Top-50-Report über das Crypto Valley heraus. Bei der Analyse konnten wir feststellen, dass die Industrie derzeit vor allem bei den zukünftigen Kryptobanken – Bitcoin Suisse, Seba und Sygnum – und bei den Aufbewahrungsstellen und Serviceprovidern für Token, sogenannten Custody-Anbietern – unter anderem die Swisscom-Tochter Custodigit, Metaco und Securosys – wächst. Da sehen wir auch ein enormes Potenzial für die Schweiz, da die sichere Aufbewahrung von Assets schon immer eine Stärke unseres Heimatmarktes war.
Wie steht es um die politischen Rahmenbedingungen für Blockchain-Firmen?
Glabischnig: Sowohl in der Schweiz als auch in Liechtenstein wird an den regulatorischen Rahmenbedingungen gearbeitet. In der Schweiz geht man den Weg, die bestehende Gesetzgebung punktuell anzupassen. In Liechtenstein wurde ein vollständig neues Gesetz ausgearbeitet, der sogenannte Liechtensteiner Blockchain Act. Ein grosser Schritt war die Vergabe der ersten zwei Bankenlizenzen durch die Finma, die für die Firmen Seba und Sygnum Ende August erteilt wurden. Weitere werden hier in Kürze folgen.
Was wird für das Crypto Valley in den nächsten Monaten wichtig?
Glabischnig: Für die Schweiz ist es wichtig, dass wir eine führende Position im Blockchain- und Kryptomarkt beibehalten. Dies ist eine grosse Herausforderung, da andere innovative Regionen, wie etwa Singapur oder auch Berlin, nicht untätig sind. Neben dem weiteren Ausbau der Kryptobanken und -Börsen sollten wir auch darauf fokussieren, dass die Blockchain-Technologie in anderen Unternehmen eingesetzt wird. Es ist zum Beispiel sehr erfreulich, dass die Migros mit einem Pilotprojekt die Lieferkette für Obst und Gemüse besser kontrollieren will. Ein weiterer Schritt für die Verbreitung von Blockchain-Technologie ist die Akzeptanz von Kryptowährungen als Zahlungsmittel. Aus diesem Grund werden wir mit unserem Produkt Inapay in den nächsten Monaten viele weitere Akzeptanzstellen in der Schweiz und international onboarden.
Wie sehen die weiteren Pläne von Inacta aus?
Glabischnig: Wir wollen als Inacta weiter nachhaltig wachsen. Dabei sehen wir, dass unsere langjährige Digitalisierungskompetenz immer stärker mit der relativ neuen Blockchain-Technologie zusammenwächst. Wir sind zum Beispiel sehr stolz darauf, dass wir ein System auf Basis der Ethereum-Blockchain bei der Partners Group, eines der grössten Private-Equity-Häuser der Welt, bereits seit 2 Jahren produktiv im Einsatz haben, und dieses System sehr aktiv genutzt wird.
Welche Projekte laufen sonst noch?
Glabischnig: Bei vielen von unseren Kunden in der Versicherungs- und Banken-Industrie sind wir natürlich auch in klassischen Digitalisierungsprojekten beteiligt, und sind dabei, papierbasierte Prozesse abzulösen und vollständig digitale Prozesse einzuführen. Dies ist die Basis, dass in den nächsten 5-10 Jahren dann auch die Blockchain-Technologie in diesen Prozessen zum Einsatz kommen wird. Die breite Adoption der Blockchain-Technologie werden wir aber erst sehen, wenn nicht mehr die Technologie, sondern die konkreten Anwendungsfälle in den Vordergrund gestellt werden.