Vom Silicon Valley ins Silicon Wallis
Andy Abgottspon entwickelt seit knapp 20 Jahren Onlineplattformen, Apps, Games und High-End-Software. Am diesjährigen CNO Panel hält Abgottspon eine Keynote. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen aus dem Silicon Valley.
Herr Abgottspon, man bezeichnet Sie als Unternehmer "durch und durch". Was bedeutet der Begriff Unternehmer für Sie?
Andy Abgottspon: Machen ist wie wollen, nur krasser. Viele Leute haben eine Idee oder wollen gerne etwas sein. Sobald sie realisieren, wie viel Zeit, Risiko und Energie dies bedarf, lassen sie es sein. Unternehmerinnen und Unternehmer sind für mich diejenigen, die es trotzdem tun. Der legendäre Geiger Isaac Stern wurde einmal nach einem Konzert von einer Frau mittleren Alters angesprochen. Sie schwärmte: "Oh, ich würde mein Leben dafür geben, so zu spielen wie Sie!" "Lady", sagte Stern scharf, "genau das habe ich getan!"
Was haben Sie aus Ihrem ersten Schritten des Unternehmertums für die späteren Ventures mitgenommen?
Bei mir fing dies mit 13 Jahren an, als ich meine ersten kommerziellen Websites erstellte. Ob für ein Hotel, den grössten Kabelnetzanbieter im Kanton zu dieser Zeit oder eine Foto-Community, die zu den meistbesuchten Seiten im Wallis gehörte: Bei jedem Projekt lernt man die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden kennen. Da mich alles interessierte - von Grafik über Programmierung bis hin zu Verkauf - konnte ich alles aus einer Hand anbieten. Mit der Zeit waren meine eigenen Ansprüche in vielen Bereichen höher als die von Leuten, die sich nur mit Grafik, Programmierung oder Verkauf befassten.
Was meinen Sie damit?
Es gibt diesen Spruch: "Jack of all trades, master of none." Oft wird damit suggeriert, dass man entweder ein oberflächlicher Generalist ist oder in einem Gebiet eine hohe Expertise hat. Ich versuche lieber ein "Master of many" zu werden. Malcolm Gladwell stellte die bekannte These auf, es brauche 10'000 Stunden, um einen Skill wahrlich zu meistern. Das würde also bedeuten, dass wir dies schon rein rechnerisch nur in wenigen Bereichen schaffen können. Was ist aber, wenn wir die Stunden aus einem Bereich in einem anderen anrechnen können? Ein Eishockeyspieler wird einen Golfschwung vermutlich schneller meistern als jemand, der nie im Leben sportlich tätig war oder für den die Entwicklung der Hand-Augen-Koordination nie eine Rolle spielte. Jemand, der perfekt Englisch spricht, wird tendenziell eine Pilotenlizenz schneller absolvieren können, da sowohl sämtliche Theorie als auch die Kommunikation in der Praxis in eben dieser Sprache abläuft. Ich bin jeden Tag erstaunt, wie viel Gelerntes man tatsächlich wiederverwenden kann und so extrem schnell neue Dinge meistern kann. Vielleicht nicht wie Isaac Stern, aber gut genug, um im Soundtrack seines eigenen Lebens die erste Geige zu spielen.
Sie haben viel Erfahrungen im Ausland gemacht. Was sind die Eigenheiten der Schweiz, die Sie verinnerlicht haben?
Es wird gesagt, im Silicon Valley sei es anfangs einfacher, Risikokapital zu holen als in der Schweiz, wo die Investoren den ersten Teil dieses Begriffes oft noch nicht wirklich verstanden haben. Dazu kommt der Umgang mit dem Scheitern: In den USA ist es einem Early Investor klar, dass 90 Prozent seiner Hochrisikoinvestments scheitern werden. In der Schweiz suchen Investoren eine sichere Sache, die genau deswegen kaum entstehen kann, weil die nötigen Risiken, die es braucht, um wirklich einen Wandel zu bewirken, gar nicht erst finanziert werden. Die erste Million für Hazu kam aus meinem persönlichen Umfeld in der Schweiz. Es gab einige Momente, wo es sehr knapp wurde. Trotzdem war es mir wichtig, nur Leute an der Firma zu beteiligen, denen ich - wenn alles schief gehen sollte - immer noch in die Augen schauen kann, und die nicht existenziell auf den investierten Betrag angewiesen sind. Das ist sicher ein guter Rat, auch wenn man in der Praxis manchmal das Gefühl hat, man habe keine Wahl.
Nun setzten Sie Ihre Leidenschaft für Hazu ein. Welche Idee stand am Anfang dieser Unternehmung?
Ich war Softwarechef einer Firma im Silicon Valley, welche Live-Events für Google, Apple, Facebook und das Weisse Haus produzierte. Eines der Bedürfnisse war, die Organisation von Fragen, welche auf Twitter, per E-Mail und auf anderen Kanälen auf die Moderatoren herein prasselten, massiv zu vereinfachen. Ich entwickelte ein System, welches Fragen in Echtzeit abstimmbar machte und mit der dazugehörigen Antwort innerhalb einer Zeitachse an der richtigen Stelle im Video platzierte. Es wurde schnell klar, dass dies ein eigenes Produkt, eine eigene Firma sein muss, und so war Hazu geboren. Die Vision wurde immer grösser und mir wurde klar, dass wir mit diesen einfachen, grafischen Elementen nicht nur Fragen in einer Zeitachse darstellen können, sondern jegliche Inhalte in einer Vielzahl von Ansichten.
Sie sprechen von Metaphern, die wir neu erfinden sollen. Was meinen Sie damit?
Entwickler arbeiten mit Metaphern, um Leuten den Einstieg in abstrakte Konzepte zu vereinfachen. Die erste Kontakte-App des iPhones sah aus wie ein Adressbuch, der erste Kalender wie eine physikalische Agenda. Auch das Symbol zum Knipsen eines Fotos ähnelte einer Kamera, inklusive Sound beim Abdrücken. Apple und Steve Jobs waren Pioniere dieses sogenannten Skeuomorphismus, obschon sie diesen nach einigen Jahren bewusst und nahezu vollumfänglich aufgaben, oder aufgeben mussten. Der Grund: Die Metaphern kamen ans Limit. Wo bringe ich in meiner Adressbuch-Metapher nun die Suchfunktion unter, wenn mein physikalisches Adressbuch diese Funktion gar nicht hat? Was bringt es mir noch, dass der Lederhintergrund meiner App mich an meinen physischen Terminkalender erinnert, wenn die Metapher bei vielen der anderen Funktionen komplett bricht? Zudem hatten die Metaphern mittlerweile ihren Zweck erfüllt und die Mehrheit der Benutzer das Prinzip verstanden. Im Vergleich zur Digitalkamera musste man zwar neu erlernen, wie man dort ein Foto schiesst, dafür war es in einem Klick weitergeschickt, ohne mühsame SD-Karten-Jongliererei. In unserem Alltag gibt es heute noch sehr viele, mindestens genauso veraltete Metaphern.
Zum Beispiel?
Ein Kind klickt auf ein Diskettensymbol in Microsoft Word, um ein A4-Blatt als PDF in einem Ordner zu speichern. Danach schickt es diese Datei - übrigens eine Wortschöpfung aus "Daten" und "Kartei" - via Anhang einer E-Mail an seine Lehrerin, welche diese dann in einem Postfach empfängt. Dieser Vorgang, welcher einen alltäglichen Prozess für viele von uns beschreibt, enthält 7 Metaphern. Keine dieser Metaphern ist in der digitalen Welt wirklich nötig, sinnvoll oder geschweige denn intuitiv. Das Kind hat weder je eine Diskette in der Hand gehalten, noch besucht es regelmässig die Post oder hat bereits einmal ein A4-Blatt in einem Ordner abgelegt. Wir sehen also, dass wir immer noch in sehr vielen alten Paradigmen denken. Auch wenn einige davon für einen Teil der Menschen immer noch verständlich sind, bremsen sie doch gleichzeitig jeglichen Fortschritt und die Chance auf Vereinfachung. Wenn wir von First Principles ausgehen würden, also die digitale Welt von heute quasi von null auf neu aufbauen würden, hielten wir wohl kaum am Diskettensymbol fest, zumal es den Speichervorgang in vielen Programmen in der Form bereits gar nicht mehr gibt. Vielmehr würden wir ein universelles, agiles, visuelles und hirngerechtes Paradigma bevorzugen, welches einen ähnlichen Quantensprung bedeutet wie damals das iPhone für die verschiedenen, bereits digitalen Geräte.
Hazu ist attraktiv für jede Branche. So auch für das Schulwesen - und da haben Sie tolle Erfolge verzeichnen können. Welche Veränderungsnotwendigkeit sehen Sie im Schweizer Schulwesen und warum?
Wir sind hier in einer glücklichen Position, weil viele der innovativsten Vertreter der jeweiligen Gruppen aktiv auf uns zukommen: Eltern, Lehrpersonen, SuS, öffentliche Schulen, private Schulen, Unis, Fachhochschulen, Kantone, Datenschützer, Lehrplan-Verantwortliche, ETH-Forscher, Verlage und Top-EdTech-Startups. Sie alle haben Bedürfnisse und ein Bild der Zukunft, welches sie alleine nur schwer umsetzen können. Die Verantwortung wird abgeschoben und so ist eine Art Deadlock entstanden. Die innovativen Player nutzen Hazu, um ihre Vision von Bildung in meist sehr kurzer Zeit umzusetzen, und erkennen dabei auch noch Synergien mit anderen Mitgliedern der Hazu-Community, die vorgängig nicht offensichtlich erschienen. So bieten wir im wahrsten Sinne des Wortes eine Plattform für Innovation, die kaum Grenzen kennt und so einen systemischen Stillstand überwinden kann. Verlage haben erkannt, dass sie "digital first" sein müssen und dass Inhalte in Zukunft nicht nur dynamisch sind, sondern von allen Akteuren des Systems mitgestaltet werden. Schulen haben realisiert, dass projekt- und interessenbasiertes Lernen nachhaltiger, effizienter und auch im eigentlichen Sinne des Lehrplans 21 ist, aber auch andere Fähigkeiten von der Lehrperson erfordert. Wir müssen Kinder und alle Menschen vermehrt auf ein Leben vorbereiten, in dem sie auf ständig ändernde Situationen reagieren können und neuartige Lösungen zu bisher nie dagewesenen Problemen entwickeln. Das ist mit alten Denkweisen und Hilfsmitteln schwer möglich. Nicht all diese Erkenntnisse waren vor einigen Jahren bereits weitläufig akzeptiert und vielerorts sind sie auch heute noch weit entfernt von gelebter Praxis. Der Blick auf die Pioniere der Industrie, welche mit unserer Plattform eine nachhaltige und ganzheitliche Zukunft gestalten, stimmt uns aber sehr zuversichtlich. Dies beweist indes eindrücklich, dass die technologischen Probleme weitestgehend gelöst sind und es primär eine Frage der Bereitschaft ist.
Zum Schluss noch dies: Was gaben Sie den Managerinnen und Managern sowie Unternehmerinnen und Unternehmern mit auf den Weg?
Wie Steve Jobs sagte: "Stay hungry, stay foolish." Erlaubt euch und euren Leuten, Fehler zu machen, und lernt daraus. Ein gewisses Mass an Chaos schafft neue Gedanken. Zu viel Chaos ist schwer kontrollierbar. Kein Chaos bedeutet Stillstand. Wenn ihr nicht absolut überzeugt seid und nicht an euch glaubt, dann gibt es gar keinen Weg. Wenn ihr es aber tut, gibt es immer einen.
Andy Abgottspon referiert am CNO Panel 2020. Der Anlass, der nun sein 20-Jahr-Jubiläum feiert, findet am 26. Oktober im Casino Bern statt - unter dem Leitthema: nachhaltige Digitalisierung.
Die letztjährige Ausgabe des CNO-Panels drehte sich um das Thema . Die Veranstaltung lud auch dazu ein, über die Zukunft der Schweizer Softwarebranche nachzudenken - gewagte Thesen inklusive.