Was unbezahlte Rechnungen mit User Experience zu tun haben
Wenn sich die Kundschaft anders verhält als geplant, liegt das nicht immer nur an mangelnder Usability. Wo Benutzerfreundlichkeit allein nicht weiterhilft, lohnt es sich, etwas tiefer zu graben und das bisweilen unlogische Verhalten der Menschen unter die Lupe zu nehmen.
Dass auch sekundäre Prozesse wie das Mahnwesen viel Potenzial für Kostenoptimierungen und Kundenzufriedenheit bergen, erschliesst sich wohl nicht auf Anhieb. Der Vorgang ist ja so berüchtigt wie bekannt: Wer nicht zahlt, landet, grob gesagt, in einem eskalierenden Prozess, der mit einer Mahnung beginnt und nötigenfalls in einer Betreibung oder Schlimmerem endet. Ein entscheidendes Element dabei ist die Androhung von Sanktionen, und die sollten eigentlich Antrieb genug sein für pünktliches Zahlen. Was also gibt es da zu verbessern?
Viel, wie ein Blick in die Praxis lehrt - nehmen wir als Beispiel ein grosses Schweizer Dienstleistungsunternehmen. Es wendete einen gängigen Mahnprozess an und hatte diesen auch schon mehrmals zu optimieren versucht. Trotzdem verbesserte sich das Zahlverhalten der Kundschaft nicht. Und zu allem Übel häuften sich auch die Kündigungen während laufender Mahnprozesse.
Manchmal reicht gute Usability alleine nicht
Was lief hier schief? Klar, Usability und Kundenerlebnis waren verbesserungsfähig. Aber das allein erklärte das Versagen des Prozesses nicht. Um herauszufinden, was noch im Argen lag, wurde ein kombinierter Ansatz gewählt, der Usability und verhaltensökonomische Konzepte kombiniert. Hierfür wurden unter anderem die Tests im Usability-Labor um ausgedehnte Interviews mit Kunden ergänzt, die sich gerade im Mahnverfahren befanden.
Resultat: Menschen zahlen ihre Rechnungen nicht nur zu spät, weil sie zu wenig pflichtbewusst oder vergesslich sind. Oft spielen auch vorübergehende finanzielle oder persönliche Probleme mit hinein. Viele Befragte waren vom Mahnprozess an sich frustriert. Viele störten die zu kurzen Zahlungsfristen. Andere reklamierten, dass ihnen in einer ohnehin schon schwierigen Situation keine Unterstützung angeboten werde. Weitere beanstandeten etwa, dass sie nicht auf den Kanälen kontaktiert wurden, die sie täglich nutzten.
Hier ging es also nicht nur darum, den Prozess verständlicher und einfacher zu gestalten, sondern gegenüber den säumigen Kunden auch mehr Empathie zu zeigen, sie zur Zahlung zu motivieren und dabei aktiv zu unterstützen. Empathie im Mahnprozess? Unbedingt, denn nur zu fordern und zu drohen genügte hier offensichtlich nicht. Hinzu kommt noch, dass auch dieser unbeliebte Teil der Kundenbeziehung zum Gesamterlebnis eines Unternehmens, einer Marke beiträgt - zur User Experience also. Deshalb lohnt es sich, auch den Mahnprozess ähnlich einem Produkt auf die Bedürfnisse der Zielgruppe auszurichten. Dabei gilt es Fragen zu beantworten wie: Wann sollen die Kunden kontaktiert werden? Über welche Kanäle? Wie lassen sie sich zum Bezahlen motivieren? Welche Konditionen können wir ihnen bieten und welche Tipps können wir ihnen geben?
Empathie zahlt sich aus
Um auf unser Beispiel zurückzukommen: Nachdem der Mahnprozess eine bessere Usability und kooperative Elemente erhalten hatte, konnte das Unternehmen innerhalb von zwei Jahren mehr als 8 Millionen Franken sparen. Die Vertragskündigungen wegen unbezahlter Rechnungen nahmen um zwei Drittel ab. Kunden im Zahlungsverzug sind deutlich zufriedener als früher, und ihr Zahlverhalten hat sich entsprechend verbessert - eine lohnende Sache für alle Beteiligten also.