Editorial

Bares ist Rares

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Joël Orizet, leitender Redaktor, Netzwoche. (Source: Netzmedien)
Joël Orizet, leitender Redaktor, Netzwoche. (Source: Netzmedien)

Neulich habe ich mich wieder einmal in ein schräges Gespräch verwickeln lassen. Auf der Strasse sprach mich ein etwas älterer Herr an. Braun-gelbes Karohemd, zerzauste Haare, Hornbrille mit fettigen Gläsern. In der einen Hand hielt er ein Klemmbrett, in der anderen einen Kugelschreiber, mit dem er dauernd durch die Luft fuchtelte. Er fragte mich, ob ich eine Initiative gegen die Abschaffung des Bargelds unterschreiben wolle. "Wer will denn in der Schweiz das Bargeld abschaffen?", fragte ich zurück. Er schwang den Kugelschreiber wie einen Taktstock und sagte, es gebe "internationale Bestrebungen", den Zahlungsverkehr komplett zu digitalisieren – zwecks "totaler Kontrolle" des "gläsernen Bürgers". Ich unterbrach ihn so freundlich wie nötig und fragte erneut: Wer will so etwas in der Schweiz? Er wich aus, sprach weiter von Überwachung und wuselte noch energischer mit dem Kugelschreiber herum. Nach der dritten Nachfrage sagte er sichtlich entnervt, das sei alles nachzulesen in den Medien – aber vermutlich nicht in denen, die ich lesen würde. Da gab ich ihm Recht, wünschte ihm viel Glück und verabschiedete mich.

Eigentlich wollte ich ihn fragen, ob man auch digital unterschreiben könne. Das wäre allerdings nur unnötig provokativ gewesen. Immerhin sammelte der Mann Unterschriften. Er hatte ein legitimes, direktdemokratisches Mittel gewählt, um sich Gehör zu verschaffen. Hinzu kommt: Das Thema Bargeld schien ihm eine hoch emotionale Angelegenheit zu sein – deswegen wohl das ganze Gefuchtel. Zudem war er offenbar tatsächlich sehr besorgt.

Mit seiner Sorge steht dieser Mann nicht allein da. Ein ähnliches Anliegen stand vor sechs Monaten im Nationalrat zur Debatte. Nationalrat Jean-Luc Addor (SVP/VS) forderte in einem Vorstoss, dass "die Schweiz ein Land des Bargelds bleibt". Konkret wollte er das Recht auf Barzahlung in der Verfassung verankern. Der Nationalrat lehnte den Vorstoss jedoch mit 130 zu 58 Stimmen bei 5 Enthaltungen ab. Und der scheidende Finanzminister Ueli Maurer beschwichtigte: Niemand will das Bargeld abschaffen.

Im Alltag verliert es allerdings an Bedeutung. Münz und Nötli verschwinden aus dem Portemonnaie, das spürt man spätestens seit der ersten Coronawelle. Kontaktloses Bezahlen per Karte oder App erwies sich als praktisch – zumindest für die meisten Konsumentinnen und Konsumenten. Doch für Händler sind Zahlungen per Debitkarte oder Twint eine kostspielige Angelegenheit. Zudem sind die bisher einschlägigen Formen des digitalen Bezahlens alles andere als anonym.

Nun verspricht jedoch ein Projekt unter massgeblicher Beteiligung der Berner Fachhochschule (BFH), vieles besser zu machen. Der sogenannte GNU Taler soll so datenschutzfreundlich sein wie Bargeld und dennoch alle Vorteile des Onlinebezahlens bieten. Es handelt sich weder um eine Krypto- noch um eine sonstige Währung, sondern um ein digitales Abbild von Fiatgeld. Nationalrat Jörg Mäder (GLP/ZH) forderte den Bundesrat in einem Postulat dazu auf, die gesetzlichen Grundlagen zu prüfen, die es für die Einführung eines Bezahlsystems auf Basis von solchen Talern bräuchte.

Es klingt vielversprechend: Transaktionen sollen keine Datenspuren hinterlassen, wenig Energie verbrauchen, Geldwäsche und Steuerhinterziehung verhindern. Spekulieren liesse sich mit den Talern nicht, weil deren Wert an den Schweizer Franken gekoppelt wäre. Und die Gebühren wären wesentlich tiefer als bei Zahlungen mit Karte, Twint und Konsorten. Christian Grothoff, Professor für Informatik an der BFH, schätzt die Kosten für eine Überweisung auf einen Tausendstel Rappen, wie er gegenüber "SRF" sagte.

So aussichtsreich der Ansatz auch sein mag – auf absehbare Zeit wird die Schweiz ein Land des Bargelds bleiben. Und das ist gut so. Denn auch hier leben Menschen, die auf den Bargeldverkehr angewiesen sind. Zum Beispiel Menschen mit mangelnder Kreditwürdigkeit, ohne festen Wohnsitz, Asylsuchende, Sans-Papiers, Strassenmusikerinnen, Bettler. Und es gibt jene, die zwar digital bezahlen könnten, es aber nicht wollen – aus welchem Grund auch immer. Das sollte man respektieren. Genauso wie den kauzigen Unterschriftensammler, der einen in schräge Gespräche verwickelt.

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