Warum uns eine Kryptographie-Apokalypse droht
Swico hat zum Event "Insights für Insider" zum Thema Quantenkryptographie geladen. Zwei Experten sprachen darüber, warum ein Durchbruch im Bereich des Quantencomputings eine kryptographische Apokalypse bedeuten könnte, und welche Mittel es dagegen gibt.
Swico, der Wirtschaftsverband für die digitale Schweiz, hat am 23. Januar zu einer weiteren Ausgabe seiner jährlichen Eventreihe "Swico Insights für Insider" geladen. Thema der Veranstaltung war die Quantenkryptografie, also der Einsatz von Quantencomputing in der Ver- und Entschlüsselung von Information. Der Event fand im Landesmuseum Zürich statt.
Swico-Geschäftsführerin Judith Bellaiche eröffnete den Abend. An einem Event zu diesem Thema kam die Geschäftsführerin natürlich nicht umhin, "Schrödingers Katze" zu erwähnen: ein hinlänglich bekanntes Gedankenexperiment aus der Physik, das - vereinfacht ausgedrückt - aufzeigen soll, dass in der Welt der Quantenmechanik vieles möglich ist, was in unserer makroskopischen Alltagswelt kaum denkbar ist.
Judith Bellaiche, Geschäftsführerin von Swico (Source: Netzmedien)
Kryptographie ist überall
Der erste Redner des Abends war Kenny Paterson, unter anderem Professor für Angewandte Kryptographie am Computer-Science-Departement der ETH Zürich. Der gebürtige Brite hielt seinen Vortrag zum Thema "Cryptography for the Quantum Era" auf Englisch. Kryptographie umgebe uns im täglichen Leben ständig, sagte Paterson. Egal ob auf Social Media, im E-Commerce oder beim Telefonieren mit dem Handy - fast alles sei heutzutage verschlüsselt. Allein im letzten Jahrzehnt habe die Präsenz von Verschlüsselung im Netz ordentlich zugenommen. Allerdings würden wir die Verschlüsselung nur dann bemerken, wenn sie einmal nicht funktioniere.
Alles zum Thema Verschlüsselung, von Julius Caesar bis zur modernen Kryptografie, lesen Sie hier.
Kenny Paterson vom Departement für Computer Science der ETH Zürich. (Source: Netzmedien)
Anschliessend gab Paterson einen Einblick in den Status quo im Bereich Quantencomputing. In den aktuellen Quantengeräten sind demnach Prozessoren mit ein paar hundert Qubits verbaut. Qubits sind die grundlegenden Bausteine von Quantencomputern. Mit mehr Qubits steigt die Rechenleistung, während die Fehleranfälligkeit sinkt, wie Paterson erklärte. Noch dieses Jahr soll es Rechner mit 1000 oder mehr Qubits geben. Dennoch gebe es eine grosse Lücke zwischen dem heutigen Stand und dem, wo wir hinwollen, wie der Experte sagte. Dort hinzukommen, dauert Zeit - jedoch könne man nicht abschätzen, wieviel Zeit.
Wie Quantencomputer genau funktionieren, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Die Apokalypse steht bevor - vielleicht
Das zentrale Problem in der Kryptographie sei derzeit, dass niemand wisse, ob es einen Durchbruch in der Quantentechnologie geben wird, und wenn ja, wann es soweit ist. Es sei unmöglich, hierzu eine Prognose abzugeben, sagte Paterson - man bedenke etwa, wozu herkömmliche Computer vor 30 Jahren im Stande waren, und wo sie heute stehen.
Kenny Paterson blickt einem solchen Durchbruch, so er denn kommt, mit gemischten Gefühlen entgegen. In den falschen Händen könnte die Technologie nämlich das hervorrufen, was er als "Kryptographie-Apokalpyse" bezeichnete. Weit fortgeschrittene Quantencomputer könnten alles entschlüsseln, was in unserem täglichen Leben derzeit verschlüsselt ist. Dazu zählen auch streng geheime Informationen und Nachrichten sowie Bankkonten oder Krypto-Wallets.
In Antizipation eines solchen Quanten-Durchbruchs setzen bereits jetzt viele Bedrohungsakteure auf sogenannte "steal now, decrypt later"-Attacken. Wie der Name schon vermuten lässt, stehlen sie dabei Informationen, mit denen sie in der heutigen Zeit nichts anfangen können - in der Hoffnung, sie mit zukünftiger Quantentechnologie entschlüsseln und für ihre Zwecke verwenden zu können.
Der Event fand im Zürcher Landesmuseum statt. (Source: Netzmedien)
PCQ - der Bruce Willis der Kryptographie?
Ein möglicher Retter in der Not: Post-Quanten-Kryptographie (PCQ). Dabei handle es sich um Verschlüsselungsmethoden, die resistent gegen uns bekannte Quantenalgorithmen sind, erklärte der Professor. Bis vor einem Jahrzehnt sei dieser Bereich der Quantenforschung noch sehr nischig gewesen, sagte Paterson weiter. Ein Wettbewerb des NIST, des US-amerikanischen National Institute of Technology, soll seit einigen Jahren die Entwicklung in diesem Feld vorantreiben. Paterson ist selbst an mehreren Projekten beteiligt, die am Wettbewerb teilnehmen, wie er verriet.
"Die Kryptographie-Apokalypse könnte vor der Tür stehen - oder auch nicht", sagte Paterson zusammenfassend. Die Gefahr alleine sei jedoch genug, um an einem Umstieg auf alternative Protokolle für die Verschlüsselung zu arbeiten. Zum Abschluss gab Paterson dem Publikum noch zwei gute Nachrichten mit auf den Weg: "Erstens: Ein solcher Umstieg wird für die allermeisten von uns nicht spürbar sein. Und zweitens: Kluge Leute rund um die Welt arbeiten bereits an dem Problem."
Daraufhin betrat Judith Bellaiche vom Swico erneut die Bühne und bekannte sich gegenüber dem Publikum im Landesmuseum als Filmjunkie. Sie habe bereits viele Apokalypsen-Filme gesehen, erzählte die Geschäftsführerin schmunzelnd, aber noch keinen über die Kryptographie-Apokalypse. Es sei erstaunlich, dass die Technologie schneller voranschreite, als Netflix einen Film dazu drehen könne.
Was die Schweiz falsch macht
Gleich darauf überliess die Swico-Chefin die Bühne auch schon dem zweiten Vortragenden des Abends, Florian Schütz. Der Delegierte des Bundes für Cybersicherheit widmete sich der Frage nach den Chancen und Risiken von Quantencomputing in der Schweiz. Schütz knüpfte zunächst an den Vortrag seines britischen Kollegen an und sprach vom sogenannten Zeitwert einer Information. Je höher der Zeitwert, desto länger ist eine Information relevant. Informationen mit geringem Zeitwert seien im Umkehrschluss später nicht mehr interessant und müssten daher auch nicht so gut geschützt werden.
Florian Schütz, Delegierter für Cybersicherheit des Bundes. (Source: Netzmedien)
Die Schweiz mache im Bereich des Quantencomputings einen zentralen Fehler, merkte Schütz weiter an. Zwar sei die Forschung hierzulande sehr stark ausgeprägt, ohne jedoch selbst einen Computer herzustellen. "Wir müssen beginnen, Technologien, in die wir involviert sind, auch selbst zu nutzen", forderte der Delegierte. Der Bund müsse sich die Frage stellen, ob es im Interesse der Schweiz ist, im Bereich des Quantencomputings international führend zu sein. "Uns nützt alles Wissen nichts, wenn die Leute rausgehen und nicht zurückkommen", sagte Schütz später auch in Bezug auf den Fachkräftemangel im Land.
Viel Aufholbedarf, viel Marketing
Anschliessend kam Schütz wieder auf das Thema Kryptographie zurück. Hier habe die Politik Aufholbedarf, sagte er: "So wirklich auf der Agenda des Bundes ist Quantenkryptografie noch nicht." Hier müsse man der politischen Führung im Land das von Paterson beschriebene Risiko darlegen und der Politik dabei vor allem den Zugang zu den richtigen Informationen geben. Gleichzeitig besänftigte Schütz im Hinblick auf die Thematik: "Es ist nicht die Apokalypse." Es sei auch nicht genug, einfach blind zu investieren. Vieles von dem, was die Wissenschaft diesbezüglich fordere, sei auch Marketing, betonte Schütz.
Nach den Vorträgen stellten sich Schütz und Paterson den Fragen des Publikums und jenen von Swico-Chefin Bellaiche, ehe der Verband zu einem gediegenen Apéro lud.