Europol warnt

Online-Grooming-Sekten haben es auf Minderjährige abgesehen

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von Tanja Mettauer und jor

Online-Gruppen nehmen gezielt vulnerable Minderjährige ins Visier, um sie zu manipulieren und zu Gewalttaten zu verleiten. Die europäische Polizeibehörde warnt vor der zunehmenden Gefahr im Internet.

(Source: Valua Vitaly / stock.adobe.com)
(Source: Valua Vitaly / stock.adobe.com)

Social-Media-Plattformen bestehen nicht nur aus lustigen Meme-Seiten und Influencern, die einem das perfekte Leben vorgaukeln wollen. Ein paar wenige Klicks auf einschlägige Hashtags reichen aus und man wird mit expliziten Inhalten verabscheuungswürdiger Art konfrontiert. Es erstaunt deshalb nicht, dass verschiedene Gruppen diese Plattformen für sich ausnutzen. Sie versuchen etwa, extreme Gewalttaten zu normalisieren, Menschen zu erpressen oder sie zu radikalisieren. Europol warnt in einem Bericht speziell vor Online-Gemeinschaften, die gezielt Minderjährige ins Visier nehmen. Diese Gruppen stellen demnach eine ernste Bedrohung für die öffentliche Sicherheit dar. 

Sektenähnliche Gruppen

Solche Gruppen bilden ein Netzwerk, das weltweit potenzielle Täter rekrutiert und auf Opfer abzielt. Die Inhalte seien von äusserst gewalttätiger Natur: grafische und eindeutige Darstellungen von extremer Gewalt, Blutvergiessen oder Körperverletzung, Tierquälerei, Kindsmissbrauch bis hin zum Mord. Indem die Gruppen solch extreme Inhalte verbreiten, versuchen sie laut Europol gezielt Minderjährige zu desensibilisieren, dadurch Gewalt zu normalisieren und sie schlussendlich für ihre kriminellen Absichten zu gewinnen. 

Die verschiedenen Gruppen würden jedoch untereinander um die "gewalttätigsten Inhalte" konkurrieren. Ähnlich wie bei Sekten stünden an der Spitze der Gruppe häufig charismatische Anführer, die ihre Follower gezielt täuschen und manipulieren, um sie so von sich abhängig zu machen (eng. grooming). In der Hierarchie zuoberst stünden in der Regel jene Mitglieder, welche die meisten Inhalte verbreiteten. 

Die Vorgehensweise

Leichte Beute für die Gruppen seien insbesondere Minderjährige und schutzbedürfte Jugendliche. Diese machen sie gezielt auf Plattformen ausfindig. Dazu gehören laut Bericht Gaming-Plattformen, Streaming-Services und beliebte Social-Media-Plattformen. Anschliessend versuchen sie, ihre Opfer in private Kommunikationsräume zu locken. 

Zu den gefährdeten Personen zählen gemäss Europol Minderjährige im Alter von 8 bis 17 Jahren - vor allem Personen, die sich als LGBTQ+ (lesbisch, schwul, bisexuell, transgeschlechtlich und queer) identifizieren, ethnische Minderheiten oder Personen mit psychischen Erkrankungen. Dabei scheuten die Kriminellen nicht davor zurück, ihr Unwesen in Selbsthilfegruppen zu treiben.

Die ersten Kontakte seien häufig "unschuldiger" Natur. Die Tätergruppen wenden demnach "Love Bombing" an, eine Taktik bei der sie die Opfer mit Zuneigung und Verständnis quasi überschütten, um so ihr Vertrauen zu erschleichen. In dieser Phase würden die Täter versuchen, möglichst viele private Informationen aus ihren Opfern heraus zu kitzeln. Diese Informationen dienten ihnen im späteren Verlauf als Druckmittel, um die Personen gefügig zu machen. 

Typischerweise werde den Opfern damit gedroht, explizite Inhalte mit Familie und Freunden zu teilen, falls bestimmten Forderungen nicht nachgekommen werde. Verlangt werden etwa sexuell explizite Bilder oder dass die Personen Gewalttaten gegenüber anderen Menschen oder Tieren ausüben. Anstachelungen zur Selbstverletzung oder gar zum Selbstmord gehören laut Europol ebenfalls dazu. Zu den Selbstverletzungen gehörten häufig Schnitte, Verbrennungen oder das Einritzen von Namen oder Symbolen. Damit sollen die Opfer ihre Loyalität gegenüber der Gruppe und speziell dem Anführer beweisen. 

Weiter hält Europol fest, dass extreme Gewalttaten, die sich gegen Familienmitglieder oder Passanten richteten, häufig in Verbindung zu Gruppen mit rechtsextremistischen Ideologien stehen. Diese Anführer wollen demnach Chaos, Gewalt und Terror stiften, um den Zusammenbruch der modernen Gesellschaft herbeizuführen. Sie schreckten nicht vor Massenerschiessungen, Bombenanschlägen oder anderen terroristischen Handlungen zurück. 

Die Warnzeichen 

Es sei äusserst wichtig, dass die Warnzeichen von solchen Radikalisierungsversuchen erkannt werden, hält die Behörde fest. Ein frühzeitiges Eingreifen diene dem Schutz der Opfer. 

Folgende Verhaltensmuster können als Warnsignale interpretiert werden: 

  • Geheimhaltung von Online-Aktivitäten: beispielsweise das Verstecken des Bildschirms oder wenn verschiedene und/oder anonyme Konten genutzt werden;
  • Rückzug und Isolation: Die Betroffenen verbringen übermässig viel Zeit alleine und distanzieren sich von Familie und Freunden;
  • seelisches Leid: abrupte Stimmungsschwankungen, Anzeichen von Angst oder Depression;
  • Interesse an schädlichen Inhalten: Faszination für extremistische Ideologien, Symbole und/oder gewalttätiges, grafisches Material; 
  • Änderung der verwendeten Sprache oder Symbole: etwa Slang, Codes oder Symbole, die mit spezifischen Gruppen assoziiert werden;
  • Verbergen von körperlichen Verletzungen: das Tragen von langen Shirts oder Hosen unter ungewöhnlichen Umständen, um Verletzungen zu verstecken. 

Das Online-Verhalten lasse ebenfalls Rückschlüsse zu: 

  • Ungewöhnliche Aktivitäten auf Plattformen: übermässiger Gebrauch von einschlägigen Apps;
  • Interaktion mit unbekannten Kontakten: Fremde, die Betroffene dazu auffordern, den Kontakt geheim zu halten;
  • Verschlüsselte Kommunikation: Messenger-Apps, die mehr Anonymität bieten sollen ohne klaren Grund;
  • Kontakt mit verstörenden Inhalten: Zugriff oder Austausch von gewalttätigem oder grafischem Material. 

Sensibilisieren und Hinterfragen

Europol-Direktorin Catherine De Bolle hebt hervor: "Sensibilisierung ist unsere erste Verteidigungslinie. Familien, Erzieher und Gemeinden müssen wachsam bleiben und jungen Menschen die Fähigkeit zum kritischen Denken vermitteln, damit sie sich gegen Online-Manipulationen wehren können."

In Zeiten von Fake News und gezielten Desinformations-Kampagnen ist kritisches Denken umso wichtiger. In den USA verkündete Meta diesen Januar, dass es künftig keine Faktenchecks mehr geben werde und Nutzerinnen und Nutzer von Instagram und Facebook ihre Inhalte selbst moderieren sollen. Für böswillige Akteure kommen solche Regelungen einem Freifahrtschein gleich, ihre Inhalte zu streuen. Auf der Plattform X habe die Verbreitung von Hassrede gar sprunghaft zugenommen, nachdem Elon Musk den Kurznachrichtendienst 2023 übernommen hatte, wie diese Studie darlegt

 

Weshalb Christian Dussey, Direktor des Nachrichtendienstes des Bundes der Meinung ist, dass der hybride Krieg in Europa bereits begonnen hat, erfahren Sie hier. 

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