Interview mit Manuel Grenacher

Wie Unique mit FinanceGPT den Schweizer Finanzplatz aufwirbeln will

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Mit «FinanceGPT» will das Zürcher Start-up Unique den Arbeitsalltag von Bankberaterinnen ­verändern. Warum dadurch keine Arbeitsplätze verloren gehen und welche Chancen KI dem Schweizer ­Finanzplatz bietet, sagt Firmengründer und CEO Manuel Grenacher im Gespräch.

Manuel Grenacher, Firmengründer und CEO von Unique. (Source: Netzmedien)
Manuel Grenacher, Firmengründer und CEO von Unique. (Source: Netzmedien)

Wie verändert die KI das Finanzwesen?

Manuel Grenacher: Die Finanzbranche ist massiv unter Druck, was die Kostenmarge anbelangt. Es ist nicht mehr so, dass Leute mit ihrem gesamten Vermögen in die Schweiz kommen, um Steuern zu sparen oder Ähnliches. Es wird jetzt nach echter Wertschöpfung und Performance gefragt. Darum sehen viele Finanzinstitute in der KI eine Möglichkeit, Prozesse zu optimieren und zukunftssicher zu agieren. In der Finanzbranche gibt es sehr viel manuelle Arbeit. Besonders im Back-End müssen beim Kunden-Onboarding oder bei Kreditanträgen viele Prozesse befolgt werden, die von einer Vielzahl von Dokumenten abhängig sind. Hier wird KI massiv eingreifen. Die Finanzinstitute müssen sich damit auseinandersetzen, denn es wird irgendwann neue Player geben, die vielleicht mit einem Zehntel des Personals den gleichen Job machen können. Ich glaube aber nicht, dass KI den Banker oder die Bankerin ersetzen wird, da sie den Menschen nicht verstehen kann. Geld ausgeben ist immer noch eine emotionale Sache. KI wird deshalb in der Beratung eher unterstützen, aber nicht ersetzen. Am meisten Veränderungen wird es im Backoffice geben, bei Dokumentenflüssen und im Research-Bereich. Für die Schweiz ist das eine grosse Chance. Als Finanzstandort müssen wir in dieser Technologie Vorreiter sein, sonst kommen neue Player. 

Ihre Plattform, FinanceGPT, ist darauf ausgelegt, die Arbeit von Kundenberaterinnen und -beratern zu vereinfachen. Diese Beraterinnen sollen dann mehr Zeit für den

Kundenkontakt haben. Ist nicht wahrscheinlicher, dass mit der gesparten Zeit einfach mehr Fälle abgehandelt werden sollen?
Vielleicht, wobei unsere Bankkunden primär im Bereich Wealth Management angesiedelt sind, wo es nicht um Volumen geht, sondern darum, bestehende Kunden besser zu betreuen. Letztlich kann man das Asset Management durch Zuwachs von Neukunden erhöhen oder durch einen besseren Job bei den bestehenden Kunden und deren Portfolio verbessern und Wertsteigerungen generieren. Wir wollen mit unseren Lösungen unterstützen, damit unsere Kunden einen besseren Service gegenüber ihren Kunden liefern können. So können sie letztlich mehr Assets managen und durch die Wertsteigerungen in den Portfolios profitieren. Es geht weniger darum, Kunden schneller an Bord zu bringen, sondern vielmehr darum, wie wir die Effizienz verbessern und den Service für bestehende Kunden optimieren können. Kundenberater haben oft ein Limit an Kunden, vielleicht 50 bis 100, je nach Bank. Der administrative Aufwand lässt ihnen oft keine Zeit, sich zu überlegen, wie sie ihre Kunden besser beraten können. Hier setzen unsere Lösungen an.

Ist FinanceGPT als Reaktion auf die KI-Programme der US-Banken entstanden?

Nein. FinanceGPT ist nicht wegen IndexGPT (Produkt von J.P. Morgan, Anm. der Red.) oder BloombergGPT oder Ähnlichem entstanden. Wir wollten eine gemeinsame Lösung anstelle von individuellen Lösungen entwickeln, die jede Bank selbst baut. Es ist eine Kooperation, bei der all unsere Kunden – inzwischen sind es etwa 30 im Finanzsegment – dieselbe FinanceGPT-Lösung nutzen. Die grösseren Kunden, wie Pictet oder LGT, tragen auch zur Entwicklung bei und bauen aktiv an dieser Plattform mit. Wir veröffentlichen und warten die Plattform und sie wächst ständig weiter. Dadurch sind wir konkurrenzfähiger gegenüber möglichen amerikanischen Lösungen, weil etwa J.P. Morgan mit 2000 bis 3000 Personen in der IT schnell etwas bewegen kann. Indem wir eine gemeinsame Plattform nutzen, reduzieren wir das Risiko, das eigene Lösungen mit sich bringen. 

Welche Risiken sind das konkret?

Viele unterschätzen den Aufwand, eine eigene KI-Plattform zu bauen. Das kann schnell Millionen kosten. Daher ist es möglicherweise sinnvoller, in einem gemeinsamen Ansatz mit anderen Finanzinstituten zu investieren.

Wie stellen Sie sicher, dass FinanceGPT nicht wie andere generative KI-Anwendungen «halluziniert» und Kunden finanzielle Ratschläge aufgrund unzutreffender oder gar falscher Annahmen erhalten?

Das ist ein wichtiges Thema. Bei FinanceGPT verwenden wir spezielle Techniken und Modelle, um die Genauigkeit zu verbessern und Halluzinationen zu minimieren. Wir setzen auf eine Kombination aus fortschrittlicher Modellierung, starker Datenvalidierung und kontinuierlicher Überwachung. Zudem arbeiten wir eng mit den Kunden zusammen, um deren spezifischen Anforderungen und Compliance-Richtlinien zu verstehen und zu erfüllen. Wir implementieren auch strenge Tests und Validierungsprozesse, bevor ein System live geht. Das umfasst die Verwendung von Benchmarks und Vergleichsdaten, um sicherzustellen, dass die generierten Ergebnisse korrekt und zuverlässig sind. Bei der Implementierung von KI-Governance ist es wichtig, klare Richtlinien zu haben und regelmässige Audits durchzuführen, um die Integrität des Systems zu gewährleisten. Durch diese Massnahmen können wir das Risiko von Halluzinationen stark reduzieren. Halluzination ist eigentlich der grösste Feind eines Use Cases. Jeder, der schon mal mit ChatGPT gearbeitet hat, merkt relativ schnell, dass das Modell manchmal in eine falsche Richtung geht. In der Finanzbranche ist das ein No-Go. Halluzinationen komplett auszuschliessen, ist schwierig, weil die Modelle nicht immer 100 Prozent fehlerfrei arbeiten. Man muss also sehr sorgfältig vorgehen.

Wie gehen Sie das an?

Wir beschreiben die Use Cases sehr spezifisch und definieren den Datenumfang und den Anwendungsbereich genau. Wir schaffen einen Raum, der zum Beispiel für die Recherche von bestimmten Dokumenten oder Daten genutzt wird. Dadurch stellen wir sicher, dass das Modell nur relevante Daten verwendet und nicht zu viele Daten einbezieht. Wir verwenden «Retrieval-Augmented Generation» (RAG). Das bedeutet, dass wir im Moment der Anfrage die relevanten Daten holen und dem Modell als Kontext geben. Das ist notwendig, weil wir bei jeder Frage oder jedem Prozess dokumentieren müssen, was passiert ist: Welches Dokument wurde verwendet? Hatte die Person überhaupt die Berechtigung, darauf zuzugreifen? Wenn mal etwas schiefläuft, muss man genau nachvollziehen können, was passiert ist. Durch das klare Definieren der Bereiche und das Prompt-Engineering können wir schon viel ausschliessen. Zudem führen wir Benchmarkings durch, je nachdem, was die AI-Governance vorgibt, um einen Use Case livezuschalten.

Wie adressieren Sie Datenschutzbedenken rund um künstliche Intelligenz, insbesondere wenn es um sensible Finanzdaten geht?

Zum Glück ist das in unserer Industrie sehr gut gemanagt. Die Banken haben sehr hohe Standards und wir haben in der Finanz­industrie auch genug Regulatoren, die sicherstellen, dass alles konform ist. Manchmal mache ich mir etwas Sorgen, dass man zu viel reguliert und dadurch gewisse Geschäftsmöglichkeiten verhindert werden, wovon dann andere profitieren können. Die Amerikaner sind in dieser Hinsicht einfach in einem anderen Tempo unterwegs. Man muss letztlich ein gutes Mittelmass finden. Wir geben unser Bestes, um sicherzustellen, dass die Daten sicher bleiben. Alle Daten unserer Schweizer Kunden bleiben in der Schweiz. Wir arbeiten eng mit Microsoft zusammen, die hier in der Schweiz einen grossartigen Job machen. Obwohl sie ein Cloud-Anbieter sind, investieren sie viel, um die lokalen Anforderungen zu erfüllen. Wenn die Anforderungen noch höher sind, bleiben wir On-Premise. Die Banken selbst machen einen sehr guten Job. Wir trainieren keine Modelle mit Kundendaten. Die Daten bleiben da, wo sie sind. Wir helfen unseren Kunden dabei, besser mit ihren Daten zu arbeiten. 

Schafft es der Schweizer Finanzplatz, unabhängig von amerikanischen KI-Tools zu bleiben?

Wir sollten uns darauf konzentrieren, ein Ökosystem zu schaffen, das lokale Innovationen fördert. Das bedeutet, dass wir Start-ups brauchen, die hier vor Ort arbeiten und wachsen. Es braucht die Presse, die darüber berichtet, Investoren, die investieren, und ein Umfeld, das Innovation unterstützt. Ich sehe auch positive Zeichen: Sogar Google-Mitarbeitende wollen zu uns kommen, um im KI-Bereich zu arbeiten. Unsere Kunden verstehen das zunehmend. Es geht darum, lokale Talente zu fördern und ein starkes, unabhängiges Ökosystem aufzubauen. Mein Traum ist es, dass wir hier in der Schweiz eine Vielzahl von erfolgreichen Start-ups haben, die international konkurrenzfähig sind. Es geht mir dabei nicht nur um Unique, sondern auch um Talente und die Menschen. Leute kommen zu uns, gehen vielleicht später zu Kunden, es ist letztlich ein Pooling von Leuten. Es braucht mehrere Akteure, nicht nur uns. Eigentlich müsste es zehn Uniques geben.

Hat die Schweiz überhaupt so ein Talentpool?

Wir hätten definitiv das Potenzial. Mein Traum ist, dass die 5000 Mitarbeitenden von Google nicht für immer dort bleiben, sondern auch neue Start-ups gründen und neue Ideen entwickeln, sodass es irgendwann fünf oder zehn Uniques gibt. Wir leben und profitieren letztlich voneinander. Klar ist man Konkurrent, aber Competition ist gesund. Das gibt Energie und treibt alles voran. Das sieht man auch bei grossen Firmen wie Microsoft und Apple: Sie konkurrieren zwar miteinander, arbeiten aber auch zusammen und lizenzieren gegenseitig Produkte. Das ist das, was ein Ökosystem ausmacht.

Warum ist das noch nicht passiert?

In der Schweiz ist manchmal das Finanzierungsumfeld das Problem. Wenn ich mir ein Start-up im Silicon Valley anschaue, sehe ich, dass diese gute Löhne zahlen, weil sie grosse Finanzierungen erhalten. Sie ziehen dadurch auch Talente von gros­sen Firmen an. Hier in der Schweiz haben wir oft die Situation, dass alle fast gratis arbeiten müssen, und das funktioniert einfach nicht mehr – vor allem in Zürich, wo es schwierig ist, eine Wohnung zu finden und man sogar nach seinem Gehalt gefragt wird, bevor man überhaupt eine Wohnung besichtigen kann. Das erlebst du nur in der Schweiz. 

Wie geht man dagegen vor?

Wir müssen neue Ideen finden. Bei Unique zahlen wir gute Löhne – vielleicht nicht so hoch wie Google –, aber wir motivieren unsere Mitarbeitenden, einen Teil ihres Gehalts in die Firma zu investieren, und zwar in Form von Cash, nicht einfach mit Gratisaktien. Durch dieses System haben wir eine Million Franken von eigenen Mitarbeitenden als Cash-Rückfluss erhalten. Das hilft auch, eine Kultur aufzubauen, in der die Leute so stark an die Firma glauben, dass sie sie an die Börse bringen wollen.

Sie glauben, dieser Kurs führt zum Ziel?

Absolut. Der Start war harzig, aber das ist immer so. Wir sind hoch motiviert für die Zukunft.


Zur Person
Manuel Grenacher, geboren 1981, absolvierte ein Informatikstudium an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Windisch. 2006 gründete er mit seinem Geschäftspartner Andreas Hauri das Softwareunternehmen Coresystems, das sie 2018 an SAP verkauften. Bereits im Jahr 2015 verkaufte er eine zweite von ihm gegründete Firma, Mila, an Swiss­com. 2021 gründete der selbsterklärte «serial entrepreneur» das KI-Softwareunternehmen Unique. ­Manuel Grenacher ist verheiratet und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Kilchberg.

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znxuQzCL