"IT hat die nette Eigenschaft, sich regelmässig neu zu erfinden"
Das Thema Open Source gewinnt immer mehr an Reife – auch bei der Schweizer Grossbank UBS. Tobias Murer, CTO von UBS Wealth Management & Swiss Bank, klärt im Gespräch mit der Netzwoche, wie sich die Open-Source-Strategie in Unternehmen vom Verbot zum kontrollierten Einsatz gewandelt hat.
Herr Murer, Sie sind seit Oktober 2007 bei der UBS, wie sah denn damals der Einsatz von Open-Source-Software (OSS) aus?
Zu dem Zeitpunkt war absehbar, dass die «goldene» Phase der Banken-IT, in der signifikant in Eigenentwicklungen wie zum Beispiel in eine CORBA-Implementation oder in ein umfangreiches Workbench-Framework investiert wurde, zu Ende geht. Der Einsatz von OSS hatte im Rahmen dieser «Eigenbau»-Strategie keine strategische Bedeutung und wurde sehr restriktiv gehandhabt. Eine wenig entwickelte Technologie-Management-Disziplin und die dadurch bedingte mangelnde Kontrolle führten bei der Verwendung von OSS zu einem gewissen Wildwuchs.
Wie sieht Ihre Open-Source-Strategie aus und welche Projekte sind für die Zukunft geplant?
Der bewusste Einsatz von OSS in Bereichen, die sich dafür eignen, ist prominenter Teil der heutigen Technologiestrategie, die auch die Reduktion von Eigenentwicklungen auf ein Minimum vorsieht. Der Umgang mit freier Software ist integraler Bestandteil des Technologiemanagements und keine isolierte Aktivität mehr. Eins der geplanten Vorhaben hat zum Ziel, die Entwicklung und das Hosting von Anwendungen mit reduzierten Anforderungen auf der Basis von OSS zu realisieren.
Welche konkreten Open-Source-Tools nutzen Sie bei der UBS und nach welchen Kriterien werden sie ausgewählt?
Ein Schwerpunkt des Einsatzes von OSS liegt im Bereich der Java-Anwendungen, in dem Open-Source-Applikations-Frameworks und Entwicklungswerkzeuge verwendet werden. Zum anderen bieten wir für die Endbenutzer Firefox als alternativen Browser. Bei der Auswahl von OSS wird generell beurteilt, ob sich der Einsatz im untersuchten Bereich eignet. Zudem werden generelle Technologie-Auswahlkriterien wie Qualität, Reife, Architektur, Integration, Security und mehr OSS-spezifische Kriterien wie Lizenzbedingungen berücksichtigt.
Warum sollte eine Bank OSS verwenden? Welches sind die Vorteile speziell für die UBS?
In den für OSS geeigneten Bereichen ist häufig freie Software ausreichend oder sogar die verbreiteste Lösung. Wichtig und interessant für uns ist die gute Verfügbarkeit der nötigen Expertise bei den Entwicklern im Haus und im Markt, die sich sehr rasch für ein Vorhaben mobilisieren lässt. In unserer an Standards orientierten Technologiestrategie kann OSS eine Alternative zu kommerziellen Lösungen sein und uns damit mehr Bewegungsfreiheit bieten.
Wie rechnet sich eigentlich die Verwendung von OSS für die UBS? Können Sie anhand eines konkreten Business Case zeigen, ob sich freie Software für UBS lohnt?
Ein konkreter Case im Bereich Source-Code- Management (SCM) zeigt, wie sich die Verwendung rechnen kann. Früher wurden zwei kommerzielle SCM-Systeme verwendet, für deren Support und Unterhalt je ein Team von zwei bis fünf Personen notwendig war. Für die Nutzung der Tools mussten die Entwickler speziell ausgebildet werden, was zu Kosten und einer geringen Akzeptanz bei den Entwicklern führte. Mit dem heutigen Einsatz der OSS-Lösung Subversion lässt sich der Aufwand für Support und Unterhalt durch eine Person leisten. Damit hat sich die Schulung auf ein Minimum reduziert und die Akzeptanz beim Entwickler ist sehr gut.
Gerade im Bankenbereich gibt es aufgrund der rechtlichen Situation doch ein gewisses Risiko beim Einsatz von OSS. Welche konkreten Risiken sehen Sie bei deren Verwendung?
Der bewusste Umgang mit Risiken ist gerade für uns essenziell. Wir müssen die wichtigsten jeweils im Umfeld von OSS genannten Risiken wie die rechtliche Situation oder Reputationsthemen ausreichend adressieren. Für besonders erwähnenswert halte ich die strategischen Risiken im Umgang mit OSS, da diese häufig unterschätzt werden. Wie bei kommerzieller Software gilt es, den ganzen Lebenszyklus der Technologie über Strategie, Einführung und Entsorgung abzudecken und Themen wie strategische Ausrichtung, Qualität, Integration, Verbreitung und Support zu berücksichtigen.
Welches sind die grössten Herausforderungen bei der Implementierung von OSS?
Der bewusste, professionelle Umgang mit Risiken und die Integration in ein ausgereiftes Technologiemanagement inklusive Kontrollfunktionen zähle ich zu den grössten Herausforderungen. Ein weiterer zentraler Punkt ist das gemeinsame Verständnis innerhalb der IT über Zweck, Möglichkeiten und Einschränkungen des Einsatzes von OSS. Die IT hat ja die nette Eigenschaft, sich regelmäs sig neuzu erfinden und neue Technologien für alte Probleme bereitzustellen. Durch die Open-Source-Bewegung haben sich diese «Innovationszyklen» eher noch beschleunigt. Es ist eine grosse Herausforderung, die Technologielandschaft kontrolliert und evolutionär zu entwickeln und gleichzeitig neue Technologien anzuwenden.
Verwenden Sie auch im privaten Bereich OSS?
Natürlich. Aktuell muss ich mich allerdings auf die Verwendung beschränken, da mir die Zeit fehlt, OSS selbst mit zu ent wickeln.