Die Blockchain zündet Stufe drei
Das Hyperledger-Projekt hat zu seinem ersten globalen Treffen nach Basel geladen. Mehr als 700 Besucher informierten sich über den Stand der Blockchain für Unternehmen, diskutierten über Use Cases und erhielten Einblick in die Schattenseiten der Technologie. Nach dem Hype scheint die Blockchain nun in der Realität anzukommen.
Erstmals haben sich die Mitglieder des Open-Source-Blockchain-Verbunds Hyperledger getroffen. Austragungsort des ersten Hyperledger Global Forums war die Messe Basel. Mehr als 700 Entwickler, Firmenvertreter und Blockchain-Interessierte trafen sich hier, um sich über den Stand der verschiedenen Projekte unter dem Dach von Hyperledger zu informieren, wie der Veranstalter, die Linux Foundation, sagte. Das Publikum repräsentierte die Vielfalt innerhalb von Hyperledger. IT-Grossunternehmen wie IBM, Cisco, Intel oder Swisscom waren mit von der Partie. Aber auch Start-ups zeigten in den Hallen der Messe Ihre Lösungen.
Brian Behlendorf, Executive Director von Hyperledger, begrüsste die Teilnehmer des ersten Hyperledger Global Forums. (Source: Netzmedien)
Die Blockchain, so zeigte der Event, entwächst allmählich dem Hype um Kryptowährungen und Initial Coin Offerings (ICOs). Es standen am Hyperledger Global Forum weniger Versprechungen, Start-up-Finanzierungen und Visionen, sondern technische Herausforderungen, Anwendungsszenarien und die Frage "Wozu brauchen wir die Blockchain überhaupt?" im Zentrum. Auch Kritik war zu hören. Am prominentesten formulierte sie Cybersecurity-Experte Bruce Schneier, der die Keynote zum Auftakt des zweiten Kongresstags hielt.
Auch die Blockchain braucht Vertrauen
Schneier brachte drei Thesen mit nach Basel, die Eindruck hinterliessen. Die Erste: "Private Blockchains sind zu 100 Prozent uninteressant." Konsens und Transaktions-Sicherheit zwischen mehreren Parteien liessen sich auch ohne Blockchain schaffen, sagte er. Nummer 2: "Public Blockchains sind als technisches System cool, aber ihr konkreter Nutzen müsse noch bewiesen werden." In den meisten Fällen schaffe die Technologie keinen Mehrwert. Und die dritte These: "Der Blockchain-Technologie ist Vertrauen nicht einfach mathematisch inhärent, Menschen ver- oder misstrauen ihr genauso, wie anderen Mechanismen auch."
Bruce Schneier: "Schafft die Blockchain wirklich neues Vertrauen oder verschiebt sie es nur?" (Source: Netzmedien)
Vertrauen war das entscheidende Stichwort von Schneiers Vortrag. Seiner Ansicht nach baut die Gesellschaft ganz auf dem Vertrauen in Menschen, Institutionen und Systemen auf. "Es ist das Vertrauen, dass sich mein Sitznachbar im Bus nicht plötzlich auf mich stürzt, das alles in Gang hält", so Schneier. Die Blockchain verschiebe nun das Vertrauen, weil wir nicht mehr einander oder einem Intermediär, sondern dem System der verteilten Datenbank, seinem Code und seinen Entwicklern trauen müssten. Es gebe genügend Gründe, dies nicht zu tun – etwa die hohe Volatilität von Kryptowährungen, Hard Forks, Betrugsfälle oder die Dominanz weniger grosser Anbieter. Um erfolgreich zu sein, benötige deshalb auch die Blockchain Vertrauen. "Dazu braucht es immer eine Form von Regulierung ausserhalb des Systems", lautete Schneiers Fazit.
Das erste Hyperledger Global Forum lockte mehr als 700 Besucher nach Basel. (Source: Netzmedien)
Tipps von IBM
Die von Bruce Schneier geforderten Anwendungsbeispiele der Blockchain waren auf dem Hyperledger Global Forum in Breakout-Sessions und Demos zu sehen. Gari Singh, CTO von IBM Blockchain, stellte die Mitarbeit des Unternehmens bei Hyperledger Fabric und das Angebot für Firmenkunden vor. Seine Erfahrungen aus verschiedenen Projekten fasste er so zusammen:
Am Anfang müsse stets das Problem beziehungsweise der Use Case des Unternehmens stehen, erst dann komme die Frage, ob die Blockchain als Lösung tauge.
Blockchain erfordere die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Konkurrenten, denn sie entfalte ihr Potenzial nur mit möglichst vielen Teilnehmern. Dies habe auch IBM selbst lernen müssen, sagte Singh. So biete man die eigene Blockchain-Plattform auch für die AWS-Cloud an, obwohl Amazon einen eigenen Blockchain-Service entwickle.
Der Aufbau eines Partner-Konsortiums für eine Blockchain-Lösung stelle den grössten Aufwand dar und müsse zuerst in Angriff genommen werden. Dazu brauche es Unterstützung der Geschäftsleitung.
Technologie-Experten sollten früh eingebunden werden.
Die Technologie entwickle sich im Verlauf des Projekts weiter und gleiche sich dem Business-Ziel an. Wenn zu Beginn noch nicht alle Features implementiert seien, sei das kein Problem. Wichtiger sei ein Prototyp, auf dem man aufbauen könne.
Die Mitarbeit an einer Open-Source-Lösung wie Hyperledger sei der Entwicklung einer eigenen Lösung vorzuziehen.
Die Blockchain selbst umfasse nur ein Viertel der ganzen Lösung. Die Integration in den Rest der Anwendung müsse deshalb mitgedacht werden.
Eine Blockchain-Lösung müsse auf verschiedenen (Cloud-)Infrastrukturen lauffähig sein, um für Partner attraktiv zu sein.
Gari Singh, CTO von IBM Blockchain, berichtete über seine Erfahrungen mit Kundenprojekten. (Source: Netzmedien)
Wenn der Smart Contract den Killer bezahlt
Krypto ist nicht nur für Unternehmen interessant, auch Kriminelle befassen sich mit dem Thema, wie Simon Dyson, Forensiker des Yorkshire & Humber Regional Cyber Crime Unit, in seinem Referat zeigte. Tatsächlich seien (Cyber-)Kriminelle unter den ersten gewesen, welche die Technologie für sich zu nutzen versuchten - etwa mit der Dark-Web-Börse "Silk Road". "Dem ersten Use Case für Bitcoin", wie Dyson sagte. Die Pseudo-Anonymität von Kryptowährungen, die dezentrale Speicherung von Daten und die virtuelle Natur der Blockchain lockten auf der einen Seite illegale Aktivitäten an, und stellten auf der anderen Seite die Cyber-Forensiker und Polizeibehörden auf die Probe.
Die Blockchain sei für Kriminelle einerseits ein Werkzeug, sagte Dyson. Sie nutzten die Technologie etwa als Zahlungsmittel für illegale Geschäfte, für die Geldwäsche, für die Erpressung mit Ransomware, als Kommunikationsmittel oder via Crypto Miner als Einkommensquelle. Ein weiteres Thema seien ICOs. Im Blockchain-Hype hätten manche dieses Instrument genutzt, um an Ressourcen zu gelangen. Eine Studie der Satis-Gruppe sei zum Schluss gekommen, dass hinter 78 Prozent aller ICOs eine betrügerische Absicht stehe. Zuletzt hätten Cyberkriminelle Smart Contracts für sich entdeckt. Das gehe so weit, dass eine Zahlung für einen Auftragsmord automatisch ausgelöst werde, sobald der Killer sein Ziel ausgeschaltet habe.
Cyber-Forensiker Simon Dyson zeigte, wie Kriminelle die Blockchain benutzen und ihre Schwachstellen ausnutzen. (Source: Netzmedien)
Daneben präsentierte Dyson die Blockchain als Angriffsziel von Cyberverbrechern. Die Vergangenheit habe bereits verschiedene Wege offenbart, wie sich Schwachstellen im Code von Blockchains ausnutzen liessen. Bugs, Reentrancy-Probleme, Manipulationen am zeitlichen Verlauf, DDOS-Attacken oder die Schaffung von Vorteilen im Konsens-Algorithmus - Dyson stellte eine Reihe davon vor. Ebenfalls vorgekommen sei, dass Betrüger legitime ICOs kapern und das eingezahlte Kapital in eigene Kanäle umleiteten.
Die technologische Entwicklung der Blockchain schreite rasch voran, sagte Dyson. Für die Behörden stelle sich dadurch die Herausforderung, am Ball zu bleiben. Für Unternehmen gelte die Devise, Angriffsverktoren im Blick zu behalten und vor der Umsetzung einer Blockchain-Lösung die Sicherheit ernst zu nehmen. So sei es wichtig, über den Speicherort der Daten im Bild zu sein und einen Plan zu haben, was im Fall eines Sicherheits-Vorfalls passieren soll.
Die Messe Basel bot den Hyperledger-Mitgliedern Platz, um sich auszutauschen. (Source: Netzmedien)
Der Beginn von Phase 3
Wo stehen die Blockchain und Hyperledger heute? Antworten auf diese Frage gab es von Casey Kuhlman, CEO von Monax. Das Unternehmen, das Smart Contracts anbietet und massgeblich zum Projekt Hyperledger Burrow beiträgt, entwickelt seit 2014 Permissioned-Blockchain-Lösungen für Unternehmen. In dieser Zeit habe die Branche zwei Phasen erlebt, sagte Kuhlman. Eine Dritte sei gerade angebrochen:
Die "Hä?"-Phase. Der Idee von Blockchain für Unternehmen sei zu Beginn mit viel Unverständnis begegnet worden. "Nichts, was wir gesagt haben, ergab für irgendjemanden einen Sinn", berichtete Kuhlman. Auch das Leistungsversprechen der Technologie blieb lange unklar. Monax, damals noch Eris Industries genannt, habe deshalb vor allem Aufklärungsarbeit betreiben müssen. Hierbei habe sich die Open-Source-Kollaboration als hilfreich erwiesen. Denn wer mitwirken könne, lerne schnell dazu.
Die "Hype"-Phase. Ende 2015 sei die Blockchain abgehoben. Der "Economist" brachte das Thema auf seiner Titelseite. Konsortien wie Hyperledger entstanden. Neue Tools senkten die Einstiegshürden für Entwickler. Firmen hätten sich dutzendfach bei Monax gemeldet, weil der CEO den Aufbau einer Blockchain-Lösung gefordert habe. "Alle wollten plötzlich Blockchain machen, konnten aber nicht sagen warum", sagte Kuhlman. Dies habe Monax nicht nur von seiner Arbeit abgelenkt, es habe auch gezeigt, dass der Wunsch selten durchdacht war. So habe sich kaum ein Unternehmen die Frage gestellt, wie die Blockchain in das Geschäft passe. Auch die Zusammenarbeit mit Partnern, ohne die eine Blockchain nicht funktioniere, sei oft nicht eingeplant gewesen.
Die "Naja"-Phase. 2019 bricht nun die dritte Phase der Blockchain-Entwicklung an, wie Kuhlman sagte. Unternehmen stellten sich nun endlich die Frage: "Was bringt uns das eigentlich?". Die Technologie werde von einem Hype-Objekt zu einem alltäglichen IT-Instrument, für das sich nur noch der CIO interessiere. Sie werde quasi "normal" und produktiv.
Monax-Chef Casey Kuhlman: "Blockchains werden breit zum Einsatz kommen - und niemanden wird es interessieren." (Source: Netzmedien)
Um den Übergang in die dritte Phase zu schaffen, in der mit der Blockchain wirklich Geld verdient werde, seien noch einige Herausforderungen zu meistern, sagte Kuhlman. Erstens müsse die User-Experience der Lösungen drastisch verbessert werden. Die Installation einer Blockchain-Lösung müsse so einfach sein, wie bei Software-as-a-Service. Zweitens müsse die Branche Wege finden, um die verschiedenen Blockchains - public, permissioned, private - miteinander zu verbinden. Erst wenn es gelinge, das ganze Spektrum der Krypto-Welt in Einklang zu bringen könne der Durchbruch gelingen. Etwa so, wie das Internet die verschiedenen Netzwerke der Welt miteinander verband.