Nicolas Durville im Interview

Was Zühlke im Bereich Life Sciences vorhat

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Zühlke engagiert sich in den unterschiedlichsten Branchen als Partner für Business-Innovation für seine Kunden. Seit Sommer 2018 hat das Unternehmen mit Nicolas Durville einen neuen CEO für die Schweiz. Für ihn ist klar, dass sich das Rennen für die Unternehmen in der digitalen Transformation nicht nur durch Technologie entscheidet, sondern durch die Unternehmenskultur.

Nicolas Durville, CEO, Zühlke (Source: Zuehlke)
Nicolas Durville, CEO, Zühlke (Source: Zuehlke)

Sie sind seit Juli 2018 CEO von Zühlke. Wie ist es Ihnen in Ihrer neuen Rolle bisher ergangen?

Nicolas Durville: Ich bin sehr gut gestartet. Es war ja auch ein vorbereiteter Übergang von Philipp Sutter an mich. Ich freue mich sehr über die enorme Dynamik im Markt. Viel Innovation, spannende Kunden, eine gut gefüllte Projektpipeline, was will man mehr. Bei Zühlke herrscht ein guter Spirit und ich habe sehr fähige und inspirierende Menschen um mich. Das treibt mich an und macht Spass. Besonders bereichernd finde ich auch den Austausch mit den CEOs bei Kunden, um noch besser zu verstehen, was sie beschäftigt.

Was beschäftigt denn die CEOs bei Ihren Kunden zurzeit?

Bei allen geht es mehrheitlich um digitale Themen. Wenn man aber etwas tiefer eintaucht, merkt man, dass viele Kunden in der Commodity-Falle sitzen.

Was meinen Sie damit?

Es gibt kaum mehr Unterscheidungsmerkmale zwischen verschiedenen Angeboten im Markt. Denken Sie etwa an die Banken. Viele sind austauschbar geworden mit ihren Dienstleistungen und Produkten. Dieselbe Entwicklung sehen wir aber auch bei den Versicherungen und bei den Telkos. Man darf nicht in die Falle tappen und nachbauen, was die Mitbewerber schon umgesetzt haben. Dennoch sehen wir gerade bei den Banken immer wieder dasselbe Muster. Bank A sieht bei Bank B eine neue Lösung und dann will Bank A die gleiche Lösung wie Bank B haben. So verschafft man sich keinen kompetitiven Vorteil. Die erfolgreichen Kunden hingegen haben den Mut, auch einmal etwas Neues auszuprobieren, etwas zu entwickeln, was die anderen noch nicht haben.

Über welche Themen sprechen Sie mit Ihren Kunden?

Machine Learning und Nutzung der Daten sind für fast alle ein Riesenthema. Die heisse Luft in diesem Thema kühlt sich langsam ab und es gibt immer mehr konkrete Projekte, in die wir involviert sind. In diesen Bereich investieren wir seit über fünf Jahren und sind deshalb im Kunden- wie auch im Talentmarkt gut aufgestellt.

Zum Beispiel?

Etwa Robo Advisors, die wir gemeinsam mit Banken entwickeln, oder Lösungen zur Störungsvorhersage, wie wir sie für die SBB konzipieren und umsetzen, oder Prozessautomatisierung in Spitälern. Big Data haben zwar die meisten Unternehmen auf dem Schirm, aber es ist ernüchternd, wie wenig die meisten mit ihren Daten machen. Es wäre so viel möglich. Banken etwa könnten aufgrund des Kundenverhaltens schon früh erkennen, ob ein Kunde dabei ist, abzuspringen und frühzeitig Massnahmen treffen, ihn zu behalten, wenn er ein erwünschter Kunde ist. Dafür werden bestimmte Muster verwendet und man kann so voraussagen, wie loyal sich ein Kunde verhalten wird.

Welche Themen gibt es sonst noch?

Im Industriesektor sind unsere Kunden auch häufig mit der Commodity-Falle konfrontiert. Das angebotene Produkt selbst ist nicht mehr differenzierend. So überlegen sich auch Anlagenbauer, wie sie ihre Geschäftsmodelle in Richtung Services umbauen können, sogenannte Servitization. Der Spezialist für Sicherheits- und Zutrittslösungen Dormakaba ist ein gutes Beispiel dafür, wie man klassische Produkte mit smarten Dienstleistungen erweitern und dabei neue Geschäftsmodelle entwickeln kann. Denn wer ein Schliesssystem für sein Unternehmen braucht, den interessiert nicht, was für ein Schloss er an der Türe hat. Er möchte eine korrekt gesicherte Türe, eine funktionierende Zutrittskontrolle und vielleicht auch noch wissen, wer wann durch welche Türe geht. Und dafür bezahlt er einen gewissen Betrag pro Monat. Ein anderes Beispiel ist Carsharing von Mobility. Wenn jemand so ein Auto mietet, interessiert ihn im Normalfall nicht, was für ein Auto er bekommt, sondern er möchte einfach mobil sein. Und dann bezahlt er für die Zeit der Mobilität einen Betrag. Das ist Servitization. Wenn man aber in Unternehmen die Geschäftsmodelle hin zu Services entwickeln möchte, erfordert das auch einen kulturellen Wandel in den Organisationen. Wenn man früher in den R&D-Abteilungen stolz war, ein neues physisches Produkt zu entwickeln, muss man heute die nicht-physische, digitale Seite eines Produkts höher gewichten. Kunden möchten heute ein Gesamtpaket, das deren Probleme löst, ein Gesamterlebnis. Nach den letzten sechs oder sieben Jahren, die von der digitalen Transformation massgeblich geprägt waren, ist das eigentlich mein grösster Take-away. Digitalisierung ist keine Frage von Technologie oder Machbarkeit, sondern eine Frage des Change-Managements und der Unternehmenskultur.

Zühlke ist in sehr vielen Branchen aktiv – wie behalten Sie den Überblick?

Wir sind in verschiedenen Branchen-Teams organisiert, die sich sehr gut mit den Besonderheiten der einzelnen Branchen auskennen. Die Herausforderung ist aber eine andere. Verstehen die Kunden überhaupt, was Zühlke macht? Wie Sie richtig bemerkt haben, sind wir in vielen Branchen unterwegs, von Banking über Versicherungen bis zu Life ­Sciences. Unsere Story ist aber nicht so sehr mit einer bestimmten Branche verbunden. Wir sehen uns vielmehr als Partner für Business-Innovation für die Kunden, wir unterstützen sie bei der Entwicklung, von der Idee bis zum erfolgreichen Produkt. Wir können über verschiedenste Branchen hinweg Produkte und Lösungen entwickeln. Kunden, mit denen wir zusammengearbeitet haben, sagen oft, dass sie mit Zühlke arbeiten, weil wir Innovation umsetzen und die Dinge mit unseren Talenten auch auf den Boden bringen. Wenn ein Kunde eine Idee für ein neues Produkt hat, sind wir da und realisieren das Produkt. Wir möchten die Kunden aber schon vorher beraten, wenn sie noch gar nicht genau wissen, was sie wollen, aber merken, dass sie in der Commodity-Falle sitzen. Dazu bieten wir sehr erfolgreich Beratungsdienstleistungen in den Bereichen Digitale Strategie & Transformation und Customer Experience an. So können wir Kunden von der Idee bis zum erfolgreichen Produkt end-to-end begleiten.

Wie möchten Sie Zühlke positionieren?

Die zukünftige Positionierung ist dieselbe wie heute. Wir sind der Partner für Business-Innovation für unsere Kunden, aber wir werden uns noch viel mehr darauf ausrichten, die Projekte mit unseren Kunden nicht nur erfolgreich abzuschliessen, sondern auch die Kunden nachhaltig erfolgreich zu machen. Wir möchten uns in langfristigen Partnerschaften engagieren, in denen wir nach der Entwicklung eines Produkts nicht aufhören, sondern in einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess weiter gemeinsam mit den Kunden an den Produkten arbeiten.

In welchen Branchen möchten Sie den Footprint von Zühlke vergrössern?

Ich glaube, dass wir im Bereich Life Sciences noch viel mehr machen werden. Diese Branche steht vor der nächsten Transformation. Die Pharmaindustrie etwa entwickelt immer mehr Devices. Gleichzeitig gibt es einen Trend hin zu immer mehr personalisierter Medizin, weg von der breiten Wirkung eines Medikaments für möglichst viele Menschen hin zu einer sehr gezielten Wirkung für eine bestimmte Krankheit für ganz bestimmte Menschen. Auch hier kommt der Servitization-Gedanke zum Tragen. Man könnte sich vorstellen, dass solche Behandlungen nur dann etwas kosten, wenn sie wirken. Es gibt bereits einige wenige Behandlungsmethoden, die so verrechnet werden. Die Pharmaindustrie verkauft damit also plötzlich keine Medikamente mehr, sondern Gesundheit.

Gesundheit-as-a-Service also?

Genau. Ein weiterer spannender Bereich ist der Retail. Man hört oft, dass es für den Handel düster aussieht. Ich bin aber nicht dieser Meinung. Klar ist für mich, dass die Ladenflächen noch einmal massiv schrumpfen werden und sich der Handel neu erfinden muss. Ich bin überzeugt, dass Mixed-Reality-Ansätze dabei eine grosse Rolle spielen werden. Technologie wird die Ladengeschäfte in Zukunft massiv verändern. Ich habe kürzlich mit einem CEO eines Unternehmens gesprochen, das Sanitärprodukte verkauft. Wir stellten uns vor, dass sich die Kunden gleich im Laden ansehen könnten, wie ihre neuen Badezimmerplättli in ihrem alten Badzimmer aussehen würden. Über eine Mixed-Reality-Anwendung wäre das möglich. Und man bräuchte auch noch weniger Ladenfläche dafür. Vielleicht wird man im Modehandel in Zukunft auch eine Art persönliches Körperprofil haben, das man wie Log-in-Daten mit dem Modegeschäft teilt, wenn man etwas einkaufen möchte. So könnten auch Onlinehändler ihr Retourenmanagement verbessern, weil die Kunden viel weniger retournieren würden. Heute bestellt man S, M und L und zwei Drittel schickt man wieder zurück. Das kostet viel Geld und ist ökologisch nicht nachhaltig. Wir haben das Know-how auch für Mixed-Reality-Projekte im Haus. Wir haben im industriellen Umfeld bei ThyssenKrupp und Jungheinrich etwa schon solche Anwendungen realisiert.

Sie haben vorher auch von kulturellem Wandel im Zusammenhang mit Servitization gesprochen. Was müssen Unternehmen tun, wenn sie die digitale Transformation schaffen wollen?

Wenn wir uns mit Kunden austauschen, kommt die Sprache schnell auf die technisch angepeilte Lösung. Technisch machbar ist heutzutage vieles. Damit eine technische Lösung aber auch den gewünschten Nutzen bringen kann, muss auch eine Innovationskultur im Unternehmen geschaffen werden.

Und wie macht man das?

Es geht darum, die richtigen Menschen mit dem richtigen Mindset im Unternehmen zu haben und zu fördern. Am Beispiel der Banken sehen wir aber immer wieder, dass sie vor allem Leute in Führungspositionen haben, die langjährige Erfahrung mit den etablierten Geschäftsmodellen der Branche haben und das besonders gut verstehen, was sie immer schon gemacht haben. Aber so kommt ein Unternehmen in puncto Innovation nicht weiter. Es bräuchte viel mehr Führungskräfte mit dem anderen Mindset: Mutige, Querdenker, solche, die wissen, wie man ein Start-up führt, wie man scheitert und wieder aufsteht und wieder etwas Neues ausprobiert. Viele Unternehmen in der Schweiz sind nicht sehr auf Mut ausgerichtet. Vielmehr geht es um Effizienz, KPIs, darum, die Maschine am Laufen zu halten. Bloss keine Experimente! Bei Innovation geht es aber um Leadership. Es geht darum, eine innovationsfördernde Fehlerkultur vorzuleben. Aber so etwas wie Fehlerkultur gibt es in der Schweiz kaum. Das Gegenteil ist der Fall: Wer Fehler macht, schadet seiner Karriere. Aber Innovation bedeutet, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Das bedeutet es auch bei uns. Ich versuche auch, das vorzuleben. Ein weiterer wichtiger Punkt ist Vertrauen. Wenn man den Menschen nicht vertraut, kommt der Change nicht.

Wenn Sie eine Rangliste erstellen müssten, in welchen Branchen eine gute Innovationskultur herrscht, wie wäre die Reihenfolge?

Was die Innovationskultur angeht, sind die Telkos und Start-ups am weitesten. Sie sind natürlich auch getrieben durch technologischen Fortschritt und harte Konkurrenz. Im oberen Mittelfeld sehe ich gewisse mittelgrosse Schweizer KMUs im Industriesektor. Sie haben den Vorteil, dass sie nicht zu gross sind, um träge zu werden, aber auch nicht zu klein, und so lange genug Schnauf haben. Sie haben dennoch schlanke Strukturen, sind oft noch inhabergeführt, können schnell entscheiden und wagen Neues. Grossen Aufholbedarf sehe ich bei Versicherungen und Banken. Bei den Banken ist der Druck im Geschäft mit der Vermögensverwaltung noch zu wenig gross. Zudem haben auch die massiven Compliance-Vorschriften und die Regulierung gewisse Innovationen im Keim erstickt.

Wie gelangt Zühlke an Aufträge? Kommen die Kunden mit einer Idee zu Ihnen oder haben Sie eine Idee und suchen dann den passenden Kunden?

Es gibt beides. Viele Leads für neue Projekte erhalten wir über Empfehlungen bestehender Kunden. 75 Prozent unserer Kunden sind aber Bestandskunden, mit denen wir bereits in engen Partnerschaften verbunden sind und deren Geschäft wir sehr gut kennen. Ein Viertel machen Neukunden aus, die wir aktiv angehen. Es genügt aber nicht, einfach eine Linkedin-Kampagne zu fahren und schon rennen einem die Kunden die Türen ein. Die Kunden sind viel anspruchsvoller geworden. Es wird auf Kundenseite sehr genau analysiert und abgewogen, welchen Beitrag wir als Zühlke für sie bezüglich Business-Innovation leisten können. Welche Ideen haben wir? Welche Anwendungsfälle können wir als Beispiele vorzeigen? Welche Empfehlungen können wir abgeben? Die Beratung fängt oft schon während des Verkaufsgesprächs an und geht dann in ein Mandat über. Aber so wollen wir das auch.

Welche Bedeutung haben Start-ups für Zühlke?

Start-ups sind ein sehr interessantes Geschäft für Zühlke. Wir haben mit Zühlke Ventures unsere eigene Gesellschaft, die vor allem im Medtech-Umfeld in Start-ups investiert. Wir finanzieren Unternehmen, von denen wir überzeugt sind, dass sie den Nerv des Marktes treffen und ein grosses Wachstumspotenzial haben. Neben der Finanzierung können wir Start-ups auch als Trusted Partner begleiten, oft auch über VR-Mandate. Das ist auch der wichtigste Unterschied zwischen uns und reinen Investoren – bei uns im Haus ist nicht nur das Finanzierungs-Know-how, sondern auch das Technologie- und Domänenverständnis vorhanden. Gemeinsam mit unserem Projektgeschäft haben wir mit Zühlke Ventures eine sehr starke Value Proposition im Start-up-Markt.

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