Den Erregern auf der digitalen Spur
Die Spitalhygiene ist eine relativ junge Disziplin, die viel Potenzial für Digitalisierung birgt. VieleProzesse zur Prävention von Infektionen werden noch manuell ausgeführt. Das Erreger-Monitoring könnte hier Abhilfe schaffen.
Das Kantonsspital Baden (KSB) ist für die Grundversorgung von rund 300 000 Einwohnerinnen und Einwohnern im östlichen Teil des Kantons Aargau verantwortlich. Um nahe bei den Patientinnen und Patienten zu sein, hat das KSB zusätzlich zu Baden mehrere externe Standorte. Am KSB selbst arbeiten mehr als 2000 Mitarbeitende in total sieben medizinisch-pflegerischen und administrativen Departementen. Für die optimale Betreuung arbeiten Spezialisten verschiedener Fachrichtungen in interdisziplinären Zentren wie dem Zentrum für Bildgebung oder dem Tumorzentrum eng zusammen.
Der Fachbereich Infektiologie und Spitalhygiene gehört zum Departement der Inneren Medizin. Das spezialisierte Team von sechs Experten befasst sich mit der Abklärung, Betreuung und Therapie von Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichsten Infektionen, aber auch mit der Prävention und Überwachung derselben. Zur Gewährleistung der Spitalhygiene im ganzen Spital wurden übergreifende Strukturen wie eine Hygiene- und eine Qualitätskommission definiert.
Ziel der Spitalhygiene
Die Spitalhygiene ist eine relativ junge eigenständige Disziplin und wurde in vielen Spitälern der Schweiz erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts mit entsprechenden Konsiliardiensten und Kliniken eingerichtet. Bis zu diesem Zeitpunkt war grundsätzlich jeder Chefarzt selbst für die Hygiene in seinem Bereich verantwortlich. Die zentrale Aufgabe der Spitalhygiene ist die Verhütung von nosokomialen Infekten und die Verhinderung der Ausbreitung von «Problem»-Keimen wie multiresistenten Bakterien. Ebenso soll durch weitere Massnahmen die Entstehung multiresistenter Erreger verringert oder verhindert werden. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass viele Patienten bereits bei Eintritt in das Spital schwer krank sind oder möglicherweise gar ein geschwächtes Immunsystem haben und entsprechend anfällig sind für infektiöse Erkrankungen und komplizierte Verläufe.
Viel Potenzial für Digitalisierung
Am KSB arbeiten drei Ärzte und drei Beraterinnen für Spitalhygiene zusammen, um die Übertragung von Infektionen und die daraus resultierende Erkrankung von Patienten, Besuchern und Personal zu verhindern. Das eingespielte Team ist auf die Zusammenarbeit und Mitarbeit aller Fachbereiche angewiesen. Die Klinik arbeitet auch mit externen Stellen zusammen und ist in nationalen Projekten wie beispielsweise der «Swissnoso» zur Prävention postoperativer Wundinfektionen aktiv.
Die bestehenden Prozesse und Abläufe werden grösstenteils manuell ausgeführt. Es werden Beobachtungen gemacht, Schulungen und Coachings durchgeführt sowie retrospektive Auswertungen erstellt. Eine Unterstützung durch digitale Systeme fehlt. Damit besteht kein aktuelles, kontinuierliches und automatisiertes Monitoring des Infektionsstatus am KSB und auch kein Frühwarnsystem zur Verhinderung oder effizienten Eindämmung von Infektionen. Die begrenzten personellen Ressourcen sind insbesondere bei einer Übertragungssituation problematisch, da in diesem Fall das ganze Team mit der Bekämpfung des Infektionsherdes absorbiert ist.
Im Frühjahr 2020 wurde in Zusammenarbeit mit der internen Informatik und dem externen Partner Indema eine Situationsanalyse durchgeführt. Dabei wurde ermittelt, ob und wie bestehende elektronische Daten aus medizinischen Applikationen für eine automatische Surveillance und ein Monitoring verwendet werden können. Resultat war die Erkenntnis, dass nicht nur zeitlich und personell aufwändige Prozesse durch Digitalisierung effizienter gestaltet werden können, sondern dass auch neue Anwendungen und Daten für eine proaktivere Arbeit der Spitalhygiene bereitgestellt und neue Einblicke generiert werden können.
Herausforderungen bei der Lösungsentwicklung
Als Pilot wurde das Erreger-Monitoring ausgewählt und ein Proof of Concept zur automatischen Darstellung einer Erregerkurve umgesetzt. Der Nachweis eines Erregers im Spital wird aufgrund einer mikrobiologischen Probe (z. B. Abstrich oder Blutkultur) und der anschliessenden Analyse durch das Labor des KSB erbracht. Die Resultate werden im Laborinformationssystem (LIS) erfasst und über eine Schnittstelle zusammen mit weiteren Daten zum Patienten im Klinikinformationssystem (KIS) gespeichert. Die Mitarbeitenden der Spitalhygiene haben Zugriff auf das KIS und die einzelnen Patientenakten und stehen in direktem täglichen Austausch mit dem Labor. Eine regelmässige und vollständige Auswertung der Laborresultate zu allen relevanten Erregern und deren Verbreitung am KSB war aufgrund der manuellen und der damit zeitaufwändigen Prozesse bisher nicht möglich.
Für den Proof of Concept arbeitete ein interdisziplinäres Team, bestehend aus internen und externen Personen aus der Spitalhygiene, dem Labor und der KSB-Informatik zusammen. Ein gutes Prozess- und Datenverständnis war für die Analyse und Umsetzung genauso essenziell wie die transparente und klare Kommunikation im Projektteam. Die involvierten Expertinnen und Experten verfügen alle über Spezialistenwissen und liefern mit ihrem Know-how und den Erfahrungen die Bausteine für die Lösung.
Eine weitere Herausforderung war die Datenqualität der Quellsysteme. Für eine automatisierte und verlässliche Darstellung der Erregerkurve mussten die Daten und die Prozesse der Datengenerierung analysiert und darauf basierend Entscheidungen gefällt werden. Die Datenbereinigung und Validierung muss in enger Abstimmung mit den Fachverantwortlichen erfolgen, damit die Interpretation korrekt erfolgt. Dies ist nur möglich, wenn eine gemeinsame Sprache gesprochen wird. Dafür ist ein interdisziplinäres Team mit einer regelmässigen und offenen Kommunikation im Rahmen des Projekts ein entscheidender Erfolgsfaktor. Für eine nachhaltige Verbesserung und Sicherstellung der Datenqualität sollte unbedingt der Prozess der Dateneingabe beim Quellsystem analysiert und verbessert werden.
Wenn eine Lösung gefunden ist, ist damit die Arbeit noch lange nicht zu Ende. Quellsysteme können sich ändern, Fehler bei der Dateneingabe sich einschleichen, Zuständigkeiten sich ändern und so weiter. Wie in vielen anderen Bereichen ist auch ein Spital ein sehr dynamisches und menschliches Umfeld und gerade deshalb muss gewährleistet werden, dass eine einmal etablierte Lösung immer wieder auf ihre Funktionalität und Integrität überprüft wird. In einem Bereich wie der Spitalhygiene (und somit auch der Qualitätssicherung) kann es gravierende Folgen haben, wenn falsche Daten produziert werden. Es empfiehlt sich deshalb, auch für den Unterhalt einer solchen Lösung klare Zuständigkeiten zu schaffen und die Vernetzung der verschiedenen Quellsysteme immer wieder klar und transparent zu kommunizieren.
Fazit
Eine digitale Lösung wie hier beschrieben ist nicht nur den universitären Zentren vorbehalten, sondern für alle Spitäler denkbar und mit einem überschaubaren Aufwand umsetzbar. Mit den zukünftigen und wachsenden Anforderungen an die Qualität und Qualitätsüberwachung ist es absolut essenziell, dass entsprechende Daten langfristig und zuverlässig aufbereitet und analysiert werden können, ohne dass hierzu unnötig menschliche Ressourcen eingesetzt werden müssen.
Einmal eingeführt, erscheint die Lösung beinahe simpel. Doch nur wenn die Analyse und Konzeption sorgfältig gemacht und die richtigen Komponenten, Daten und Instrumente definiert sind, gestaltet sich die Umsetzung der Lösung als einfach.
Es gibt allerdings einige Fallstricke auf dem Weg, die viel Zeit kosten können. Die wohl wichtigste Erkenntnis ist, dass von Anfang an eine sehr enge und regelmässige Kommunikation zwischen den Fachexperten stattfinden muss. Erst dann können die richtigen Definitionen erstellt, im Projektverlauf überprüft und bei Bedarf angepasst werden.
Es sind keine komplexen Anwendungen oder umfangreichen Auswertungen notwendig, damit die Spitalhygiene substanziell entlastet und ein Erkenntnisgewinn erzielt werden kann. Durch die neuen digitalen Möglichkeiten kann die Effizienz verbessert und eine Reduktion der nosokomialen Infekte erreicht werden. Zentral für den Erfolg ist die Zusammenführung der Kompetenzen und Erfahrungen aus den verschiedenen Bereichen.