Servicemodelle sind der Backbone für digitale Spitäler
Das elektronische Patientendossier zwingt Spitäler, ihre heute mehrheitlich fragmentierten Patientendaten in den verschiedensten medizinaltechnischen Systemen zu konvergieren und den Informationsfluss der Patientenprozesse zu automatisieren. Servicemodelle bieten die notwendigen Architekturen dazu.
Wenn ein Patient heute in ein Spital eintritt, untersucht, behandelt und wieder entlassen wird, dann wird er in verschiedensten komplexen IT-Systemen erfasst und dokumentiert. Sei dies in der Planung der Ressourcen in Radiologie, Röntgen, Ultraschall, Kardiologie, MRI, Behandlung und Pflege. Diese höchst sensiblen Daten und Bilder werden in den unterschiedlichsten medizinal technischen Systemen verarbeitet und für Diagnosen und Therapien herangezogen. Diese proprietären und hochspezialisierten Systeme sind oft isoliert und nicht mit dem zentralen Klinikinformationssystem verbunden. Daten müssen dann in manuellen Schritten zusammengetragen werden. Dazu kommen auch die verschiedensten Administrationssysteme wie etwa die finanzielle Abrechnung der Behandlung. Eine Gesamtsicht des Patienten mit all seinen Daten fehlt heute weitgehend.
Mit dem Bundesgesetz über das elektronische Patientendossier sind Spitäler damit herausgefordert, die administrativen IT-Systeme, Klinikinformationssysteme, Fachanwendungen und die Medizinaltechnik zu konvergieren und einen möglichst medienbruchfreien Informationsfluss zu ermöglichen. Auch wird damit der Druck nach mehr Effizienz und Transparenz erhöht. Kein leichtes Unterfangen in einer heute auf Spezialisten-Silos aufgebauten Organisationsstruktur, wo die funktionalen Zusammenhänge der verschiedenen involvierten Systeme vielfach nur die behandelnden Ärzte wirklich verstehen.
Servicemodell zur Steuerung der Spitalprozesse
Diese notwendige Transparenz kann mit einem Servicemodell geschaffen werden, das entlang der Wertströme abgebildet wird und sowohl die administrativen und fachspezifischen IT- sowie auch die Medizinaltechnik-Systeme umfasst. Das Servicemodell bildet somit den Architektur-Blueprint zur Repräsentation der Informationsflüsse und der End-to-End-Business-Prozesse in einem Spital. Damit wird das Servicemodell zu einem unverzichtbaren Backbone für die Steuerung der Digitalisierung der Spitalprozesse.
Ein zentrales Ergebnis aus dem Servicemodell bildet der Servicekatalog, der alle modularen und steuerbaren Elemente als zusammenhängende Spitalservices abbildet. Der Servicekatalog zeigt auf, wie die IT- und Medizintechnik-Services konkret zusammen funktionieren, um einen gewünschten Mehrwert für die behandelnden Spitalteams und Patienten zu schaffen.
Auf der Basis des Servicekatalogs können auch die Kosten für jeden Service transparent ermittelt werden, weil sämtliche technischen wie auch betrieblichen Leistungen im Verhältnis der Beanspruchung enthalten sind. So kann die Kostentransparenz geschaffen und eine Verrechnung verursachergerecht abgebildet werden. Und nicht nur das, durch ein Modell, in dem man nur bezahlt, was man auch bezieht, können damit diese Kosten aktiv beeinflusst werden.
Einen wesentlichen Einfluss hat das Servicemodell auf die Organisation innerhalb des Spitals. Die Teams, Rollen und Fähigkeiten sind um die Services herum organisiert, um eine klare End-to-End-Service-Ownership inklusive des gesamten Service-Lifecycles zu gewährleisten. Wenn alle beteiligten Rollen die Gesamtsicht der Services haben, wird eine schnellere und bessere Entwicklung und Bereitstellung von Services mit agilen Ansätzen ermöglicht.
Ein weiterer Vorteil des Servicemodells liegt in der gezielten Steuerung und Überwachung der beteiligten externen Partner. So ein komplexer Spitalservice basiert auf einem Multiprovider-Ökosystem, wo jede Partei ihren Beitrag zum reibungslosen Betrieb in diesem hochsensiblen Umfeld sicherstellen muss. Durch die Transparenz der Zusammenhänge der beteiligten Systeme und Parteien können Auswirkungen von Änderungen besser erkannt oder auch die rasche Behebung von Störungen viel zielgerichteter durchgeführt werden.
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Eine organisatorische Trennung von IT und Medizintechnik ist nicht mehr sinnvoll
Martin Andenmatten, CEO und Gründer von Glenfis, spricht im Interview über die Herausforderungen im Gesundheitsbereich, über Anwendungsbeispiele von Servicemodellen und über Datenschutz. Interview: Maximilian Schenner
Wo sehen Sie heute die Herausforderungen im Spitalumfeld?
Martin Andenmatten: Die fortschreitende Digitalisierung greift massiv in die kritischen Businessprozesse ein, die heute mehrheitlich von der hochkomplexen Medizintechnik und den unterstützenden IT-Prozessen geprägt sind. Ein gegenseitiges Verständnis über die Fähigkeiten und den daraus resultierenden Möglichkeiten oder auch Einschränkungen ist unabdingbar. Die gesetzlichen Auflagen, wie etwa das elektronische Patientendossier, der politische Druck auf die Kosten, wie aber auch die wachsende Konkurrenz zwingen Spitäler, wirtschaftlicher zu handeln. Eine organisatorische Trennung zwischen IT und Medizintechnik ergibt keinen Sinn mehr, weil die Systeme nun besser integriert werden müssen.
Wie kann ein Servicekatalog dabei unterstützen?
Der Servicekatalog bietet zwei Sichten. Einerseits werden hier die verschiedenen beteiligten Systeme, Komponenten und Leistungen gebündelt aus der Sicht eines zentralen Service dargestellt. Dies hilft, die Abhängigkeiten und Informationsflüsse besser zu verstehen und nutzen zu können. Andererseits bietet er eine einfachere, für den Kunden verständliche Sicht auf Services, ohne dass er alle Details im Hintergrund verstehen muss. Die Kosten und Ergebnisse sind transparenter und helfen, Überraschungen zu vermeiden.
Welche Kosten und Ressourcen müssen Spitäler aufwenden, die sich für Servicemodelle interessieren?
Das Grundkonzept kann relativ schnell aufgebaut werden, wenn die übergeordnete Strategie und Ziele klar sind. Aufwändiger wird es mit der Konkretisierung der Servicemodelle, weil hier oft festgestellt wird, dass die notwendigen Informationen, Zuständigkeiten und Abhängigkeiten nicht zentral zur Verfügung stehen. Die Medizinaltechnik ist dabei eher gut dokumentiert, aber die klassische IT eher weniger.
Wie lange dauert es, Servicemodelle in die IT-Infrastruktur – inklusive Medizintechnik – des Spitals zu integrieren?
Es ist nicht nur eine Technologie-Betrachtung notwendig, sondern auch der Einbezug der beteiligten Teams und Prozesse. Hier können agile Methoden helfen, Integrationen schneller und stufengerecht umzusetzen und die neuen Verantwortlichkeiten zu verankern.
Was gilt es noch zu berücksichtigen, um den aktuellen Herausforderungen entgegenzutreten?
Es braucht organisatorische Anpassungen und eine veränderte Arbeitsweise in der Servicebereitstellung. Der Patient steht im Mittelpunkt und es gilt, seine Behandlung von der Aufnahme bis zur Entlassung als ein Wertstrom anzusehen, als die Patienten-Journey. Es gilt dabei nicht nur die technischen und prozessualen Aktivitäten im Fokus zu behalten, sondern besonders auch die oft auch subjektiv empfundenen emotionalen Erlebnisse während des Spitalaufenthalts zu berücksichtigen. Der Patient ist während der gesamten «Journey» dabei, während die am Service beteiligten Mitarbeitenden des Spitals immer nur eine Teilstrecke dieser Reise begleiten. Seine Geschichte ist im Patientendossier abzubilden und zu schützen. Diese Daten gehören dem Patienten.
Können Sie konkrete Implementierungsbeispiele für die Verwendung von Servicemodellen nennen?
Wir haben uns über die verschiedenen Projekte vertiefte Erfahrungen erarbeitet. Ein gutes Beispiel ist die Erarbeitung eines Servicemodells zur Realisierung eines Universalarchivs. Hier sollen alle Daten in Form von Dokumenten, Bilder, Videos und Signalen der Patienten zu einer Content-Plattform zusammengestellt und für Analysen, Befund-Entscheide oder sogar weitere Nutzung in Form von maschineller Intelligenz zur Verfügung gestellt werden. Das Servicemodell hat die Grundlage für den Informationsfluss und die Abhängigkeiten der beteiligten Medizinaltechnik erarbeitet. Andere Beispiele sind Servicemodelle zur Realisierung der elektronischen Patientendossiers. Hier haben diese Modelle geholfen, Transparenz zu schaffen und krankenhausinterne IT-Systeme so zu verbinden, dass ein medienbruchfreier End-to-End-Informationsfluss erreicht werden konnte.
Wie kann bei Modellen für die Verarbeitung von Patientendaten der maximale Schutz dieser Daten gewährleistet werden?
Die Verantwortung des maximalen Schutzes kann nicht bei einer externen Firma liegen, sondern muss durch das Spital wahrgenommen werden. Da müssen technische, organisatorische und prozessuale Massnahmen aufeinander abgestimmt sein. Was oft ungenügend ist, sind ein föderatives Identity und Access Management wie auch beherrschte starke Verschlüsselungstechnologien. Diese müssen in der alleinigen Kontrolle des Spitals liegen.