Digitalisierung ist Chefsache

« Viele Juristen haben Angst, dass es ihren Job irgendwann nicht mehr geben wird »

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LegalTech, künstliche Intelligenz, Bots und Blockchain – Anwälte und Juristen müssen sich genauso mit der Digitalisierung auseinandersetzen wie andere Berufsstände. Aber wie sieht die « law firm of the future » aus ? Günther Dobrauz-Saldapenna will als Leiter von PwC Legal Schweiz diese Frage beantworten.

Günther Dobrauz-Saldapenna, Leiter PwC Legal Schweiz
Günther Dobrauz-Saldapenna, Leiter PwC Legal Schweiz

Die Digitalisierung hält auch in der Rechtsberatung Einzug. Wie stehen Juristen und Anwälte LegalTech, künstlicher Intelligenz, Bots etc. gegenüber? Haben sie nicht zu Recht Angst, dass sie durch Technologie obsolet werden könnten?

Günther Dobrauz-Saldapenna: Es wird Dinge geben, die ein Algorithmus besser und schneller kann als ein Mensch. Das gilt aber für alle Branchen und alle Industrien. Und natürlich haben viele Juristen Angst, dass es ihren Job irgendwann nicht mehr geben wird. Aber Angst müssen nur diejenigen haben, die nichts richtig Werthaltiges für ihre Kunden schaffen und solche, die sehr repetitive Dinge tun, die schnell erlernbar sind …

… was eine Maschine besser könnte ?

Genau. Denn alles, was automatisierbar ist, wird automatisiert werden. Und alles, was automatisiert wird, wird rationalisiert werden. Wir Juristen und Anwälte müssen uns zum Wohle unserer Kunden selbst neu erfinden – und übrigens auch zu unserem eigenen Wohl. Ich kenne keinen richtigen Anwalt, der sich freut, wenn er die 27. Standard-GmbH gründen oder den 48. Standard-Leasing-Vertrag aufsetzen muss. Wenn man langweilige Dinge nicht mehr machen muss, kann man endlich wieder das tun, wofür man eigentlich Anwalt geworden ist, nämlich um Zeit mit seinen Mandanten zu verbringen, wichtige Probleme zu lösen und so Mehrwert zu schaffen. Technologie wird das Werthaltige nicht ersetzen, sondern uns mehr Zeit genau dafür verschaffen.

Wo steht PwC bei LegalTech und Digitalisierung im Vergleich zu den anderen Big-Four-Gesellschaften?

Alle vier grossen Wirtschaftsprüfer investieren stark in Digitalisierung und den Legal- und den LegalTech-Bereich. Sei es durch Übernahmen oder durch eigene Initiativen. Es ist auch eine logische Erweiterung der angestammten Tätigkeit. Bei PwC sind wir in diesem Bereich besonders gut aufgestellt. Bei uns im globalen PwC-Legal-Netzwerk arbeiten weltweit rund 4000 Anwälte in mehr als 90 Ländern, und LegalTech, wofür ich auch global verantwortlich bin, steht ganz oben auf der Agenda.

Und wie positioniert sich PwC Legal?

Diese Frage haben wir uns auch gestellt. Es ist klar: Die Welt braucht nun wirklich keine weitere klassische Law Firm. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich komme aus dieser Welt und ich habe allergrössten Respekt vor diesen Firmen. Aber wir wollen die ‹ law firm of the future› sein. Und ich glaube, dass diese ganz anders aussieht als heutige Kanzleien.

Wie denn ?

Es braucht dafür vier Dinge : Netzwerk, Technologie, kulturellen Wandel und ‹Adjacency› beziehungsweise Multidisziplinarität.

Erklären Sie das bitte.

Es braucht für die ‹ law firm of the future› ein richtiges und globales Netzwerk, mit einer starken Verzahnung der verschiedenen Bereiche und Standorte. Und es sind grosse Investitionen in neue Technologien nötig. Ein grosses Problem von Anwaltskanzleien ist, dass sie wenig Geld für diese Investitionen haben. Eine Anwaltskanzlei besteht ja typischerweise aus Partnern, und am Ende des Jahres werden die Überschüsse aus der Geschäftstätigkeit an diese ausgeschüttet. Es wird ein Minimum für allgemeine Dienste und die Büro-Infrastruktur zurückbehalten, aber bei Weitem nicht genug, um langfristig und strategisch in Technologie zu investieren. Hinzu kommt, dass viele Kanzleien von wenigen – und den ältesten – Partnern kontrolliert werden. Wer kurz vor der Pensionierung steht, wird kaum gross in die nächste Generation investieren. Wie will man so Technologiekompetenz aufbauen? Bei PwC haben wir eben diese Möglichkeiten, denn wir können hier im Legal-Bereich von der leistungsstarken IT-Infrastruktur des Gesamtunternehmens profitieren.

Was ist mit dem kulturellen Wandel?

Dieser ist sehr, sehr wichtig. Arbeitsmodell und Kultur müssen sich radikal verändern. Im Gegensatz zur Folgegeneration der Gordon Gekkos und Jordan Belforts, aus der ich selbst noch stamme, sind die heutigen Jungen nicht mehr primär auf Geld, Macht und Prestige fixiert, und das ist gut und richtig. Sie möchten flexible Arbeitszeitmodelle und die Möglichkeit haben, drei Monate Auszeit pro Jahr zu nehmen, statt jahrein, jahraus durchzuarbeiten. Wir bieten solche flexiblen Modelle an und haben bei PwC einen starken Fokus auf Diversity und Work-Life-Balance. Unser Geschäft ist ein Marathon gemeinsam mit unseren Kunden und kein Sprint. Und wir wollen nicht, dass die Leute ausbrennen.

Und was meinen Sie mit Adjacency?

Unter Adjacency verstehen wir in der ‹law firm of the future› sogenannte ‹benachbarte Fähigkeiten›. Es geht darum, für die Kunden Expertise aus verschiedenen Bereichen zusammenzubringen. Es gibt heute keine Mandate mehr, bei denen nur Legal beteiligt ist. Ein Beispiel: Wenn man für einen Kunden eine Banklizenz erwirkt, liegt der reine Rechtsanteil an diesem Mandat vielleicht bei 60 Prozent. Es bedarf aber zusätzlich Kapitalberechnungen, man muss Aussagen zur IT treffen, zum Risk-Management-System. Bei PwC können wir das alles aus einer Hand liefern, da wir alle Spezialisten dafür bei uns im Haus haben. Wir können wirklich alle Bereiche von Legal über Assurance bis Technologie abdecken und das weltweit. Ich bin überzeugt, dass diese interdisziplinären Leistungen unsere grosse Stärke sind. Und das ist auch für die Mitarbeitenden interessant, denn Anwälte haben es nicht nur mit Anwälten zu tun, sondern sie können sich interdisziplinär mit Leuten aus anderen Fachgebieten austauschen und dadurch persönlich wachsen.

Welchen Einfluss hat LegalTech auf die Finanzwelt?

Technologie hat einen grossen Einfluss auf alle Industrien. Überall gibt es den Druck, immer mehr Daten in immer kürzerer Zeit zu analysieren und auf Basis der daraus gewonnenen Erkenntnisse zu handeln. Auch Compliance ist ein wichtiges Thema, das durch Technologie unterstützt wird : Früher kümmerte sich ein Finanzinstitut kaum um die Rechtsnormen anderer Staaten. Die Schweizer Bank wickelte das Geschäft mit dem Kunden oft nur nach Schweizer Recht ab – egal woher dieser kam. Heute geht das nicht mehr. Unternehmen und Menschen müssen verschiedenen Rechtsnormen gerecht werden. Man muss einen spanischen Mandanten nach spanischen Regeln bedienen, einen deutschen Kunden nach deutschen Regeln etc. Denn wenn etwas schiefgeht, wird die Bank mit ziemlicher Sicherheit in Spanien beziehungsweise Deutschland vor Gericht gezogen. Das heisst, im Hintergrund muss ständig ein extrem flexibles System laufen, das die Compliance auf Produkt-, Prozess- und Kontaktebene sicherstellt. Das ist ohne Technologie gar nicht mehr zu bewältigen.

Wir wollen die ‹law firm of the future› sein. Und ich glaube, dass diese ganz anders aussieht als heutige Kanzleien.

Wie schätzen Sie die Bedeutung der Blockchain-Technologie für die Legal-Industrie und die Bankenwelt ein ?

Ich bin natürlich ein grosser Fan von Blockchain. Ehrlicherweise mehr von der Blockchain-Technologie als von darauf aufbauenden Kryptowährungen, denn Bitcoin und Co. sehe ich eher als Hype. Blockchain, da bin ich mir sicher, ist aber eine Technologie, die eine ähnlich transformative Kraft darstellt wie das Internet. Ich glaube, dass Blockchain ein ‹infrastructure layer› werden wird, wie das Internet oder die Elektrizität. Blockchain wird die Disintermediation weiter vorantreiben, bestehende Wertschöpfungsketten aufbrechen und neu zusammensetzen.

Wo steht PwC im Blockchain-Bereich?

Wir haben ein sehr grosses Angebot in diesem Bereich, das wir auch disziplinenübergreifend aufgebaut haben, womit wir wieder beim Thema Adjacency sind. Wir begleiten Blockchain-Projekte und ICOs etwa rechtlich, technisch, steuerlich, beraten rund um « Tokenomics », unterstützen beim Projektmanagement, bei der Strategie bis hin zu Fundraising und Accounting. Blockchain wird auch einen wichtigen Einfluss auf unsere eigenen Geschäftsmodelle haben. In einer Blockchain-Welt wird ein Audit anders ausschauen als heute, ebenso rechtliche Transaktionen. Wir haben also das Bewusstsein für die Veränderungen, die Blockchain für unser Geschäft und unsere Gesellschaft bringen wird. Es ist eines unserer Topthemen, die wir im Auge haben, und wir freuen uns, dass wir aus diesem Bereich auch bereits Talente anziehen können.

Digitale Fitness

Auf einer Skala von 1 bis 10, als wie « digital fit » bezeichnen Sie...

7 | sich selbst?
7 | die Schweiz?
6 | die Finanzbranche?
7 | PwC Leagal?

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Über PwC

PwC Schweiz ist das führende Prüfungs- und Beratungsunternehmen in der Schweiz. Als unabhängiges Mitglied im internationalen Netzwerk von PwC unterstützt PwC Schweiz die Wirtschaft und insbesondere Unternehmen und Einzelpersonen dabei, Mehrwert zu schaffen. Ob grenzübergreifend oder lokal ist PwC Partner für Wirtschaftsprüfung, Rechts- und Steuerberatung, Wirtschaftsberatung sowie Digital

Services. (Quelle: PwC Schweiz)

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New Suits – Appetite for Disruption in the Legal World

Im April 2019 erscheint das neue Buch von Michele DeStefano und Günther Dobrauz-Saldapenna mit dem Titel « New Suits – Appetite for Disruption in the Legal World », das die Expertise von 30 führenden Experten aus aller Welt vereint. Professoren von Universitäten wie Harvard, Oxford, Griffith, ESADE, Zürich, Stanford und Miami stehen darin neben Praktikern aus führenden Kanzleien, LegalTech-Innovatoren und Vordenkern aus angrenzenden Bereichen.
Das Buch beschreibt die Disruption der Rechtsindustrie, angetrieben von der fortschreitenden Technologie, neuen Geschäftsmodellen und veränderten Kundenerwartungen. Damit stehe die Rechtsbranche vor einem beispiellosen Wandel über die gesamte Wertschöpfungskette, sind die Autoren überzeugt. Viele Juristen befürchten den Technologietransfer und die Konvergenz anderer Bereiche mit dem Recht. Sie sehen LegalTech, KI und Bots primär als Bedrohung, die Herausgeber und Autoren dieses Buches sehen die Chancen. Auch wenn die Zukunft es erfordern mag, dass «wir neue Kleider anziehen» – es stellt für Anwälte eine enorme Chance dar, sich zum Wohle der Kunden und für sich selbst neu zu erfinden. Das Buch enthält Kapitel, die von Experten im Schnittpunkt von Recht, Innovation und Technologie verfasst wurden, und bietet eine globale Perspektive auf das vielfältige Ökosystem der Rechtsdienstleistung, das die Zukunft sein wird. Das Buch erklärt, warum Anwälte ihren «appetite for disruption» in der Rechtswelt erhöhen können und sollten. Sie sollten versuchen, systematisch die unbekannten Gewässer des zukünftigen Rechtsbereichs zu kartieren und sich inspirieren lassen, eine spannende und bereichernde Zukunft im Recht aufzubauen.
ISBN 978-3-7272-1035-8, Stämpfli Verlag, Bern

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ZB201807