Explainable AI

Wie KI Finanzinstitute im Compliance-Bereich unterstützen kann

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von Lars A. Ludwig, Geschäftsführer Targens, und Ruedi Becker, Geschäftsleitungsmitglied Targens Suisse

Nationale und internationale Auflagen fordern Finanzinstitute und Banken heraus. Ihre Einhaltung erfordert hochkomplexe Prozesse im Geschäftsalltag, die mit einem hohen Ressourceneinsatz verbunden sind. Dank künstlicher Intelligenz können Prozesse entschlackt und Mitarbeitende entlastet werden.

(Source: wladimir1804 - stock.adobe.com)
(Source: wladimir1804 - stock.adobe.com)

Die Compliance-Anforderungen in der Finanzbranche sind grosse Kostentreiber: Sie steigen stetig mit technologischen Innovationen, globalem Austausch und neuen Gesetzgebungen und verursachen einen hohen, aber unvermeidbaren Aufwand. Technologien auf Basis künstlicher Intelligenz (KI) unterstützen dabei, Geschäftsabläufe und Prozesse den Ansprüchen der modernen Arbeitswelt anzupassen und bieten gerade im Bereich Compliance viel Potenzial, um Mitarbeitende zu entlasten. Doch die Zurückhaltung gegenüber den Anwendungen ist trotz der Vorteile besonders im Compliance-Bereich sehr gross. Finanzinstitute und Banken fürchten das sogenannte "Blackbox-Problem"; der Fall, wenn Anwender und Anwenderinnen nicht nachvollziehen können, wie und warum die KI zu bestimmten Entscheidungen kommt. Auch in der Bevölkerung herrscht eine gewisse Skepsis – womöglich durch die Darstellung von KI in den Unterhaltungsmedien. Doch anders als in manchen Kinofilmen handelt es sich bei KI-Anwendungen in der Finanzwirtschaft keineswegs um vom Menschen völlig unabhängig denkende und intransparent agierende Systeme.

Kontrolliertes Lernen für KI-Systeme

Denn angenommen, ein System lerne kontinuierlich selbstständig hinzu, trifft es womöglich zu verschiedenen Zeitpunkten für die gleiche Frage unterschiedliche Entscheidungen. In der Finanzbranche, in der strenge Regularien gelten, sind solche KI-Systeme jedoch gar nicht zulässig. Daher kommt hier ein Teilbereich der KI, das sogenannte Machine-Learning (ML), zum Einsatz: Dabei werden Daten vom System zunächst lediglich erhoben, gesammelt und anschliessend der Prüfung eines Sachbearbeiters unterzogen. Erst, wenn diese positiv ausfällt, können die Daten zur Weiterentwicklung der KI in das System einfliessen. So ist zu jeder Zeit – wie bei einer "normalen", statischen Software – nachvollziehbar, auf welcher Grundlage das Tool Entscheidungen trifft. Diese Form der KI, die sogenannte Explainable Artificial Intelligence (XAI), kann auch für Compliance-Anwendungen zum Einsatz kommen.

Explainable AI im Einsatz

Am Beispiel der Sanktionslistenprüfung lassen sich die grossen Vorteile KI-basierter Systeme besonders gut erkennen. Tagtäglich müssen Finanzunternehmen Milliarden von Transaktionen weltweit auf Auffälligkeiten unter Berücksichtigung internationaler Richtlinien überprüfen. Hierbei greifen Banken und Finanzdienstleister auf Screening-Software zurück, die verdächtige Geldtransfers automatisch erkennt, stoppt und als Alert an die Mitarbeitenden sendet.

Das Problem: Bei bis zu 98 Prozent der Alerts handelt es sich um Vorgänge, die das System aufgrund der hinterlegten Kriterien als Gefahr erkennt, die tatsächlich aber völlig unproblematisch sind. Um den Betriebsablauf nicht weiter zu verzögern, müssen die Mitarbeitenden diese Fehlalarme so schnell wie möglich manuell wieder freigegeben, was Banken sehr viel Zeit und Geld kostet. Hinzu kommt, dass die Anzahl der Meldungen vermeintlich verdächtiger Transaktionen kontinuierlich wächst, da die Komplexität der staatlichen Vorschriften steigt.

An dieser Stelle können Machine-Learning-Lösungen entlasten und für zusätzliche Sicherheit sorgen: Die KI kann über die überwiegende Mehrheit der Meldungen (bis zu 80 Prozent) selbst entscheiden. Dabei bestätigen Tests, dass die KI in über 90 Prozent der Fälle zum gleichen Ergebnis kommt wie ein ausgebildeter Sachbearbeitender. Das schnelle und selbstständige Bearbeiten der Alerts durch die Anwendung ist eine grosse Zeitersparnis, ermöglicht enorme Kosteneinsparungen und setzt personelle Kapazitäten frei. Nun haben die Mitarbeitenden mehr Zeit für die Kontrolle der kritischeren Alerts, was die Qualität und Sicherheit der Bearbeitung deutlich erhöht. Zudem sammelt das Tool während des Bearbeitungsprozesses seine Lernerfahrung, die später für die Weiterentwicklung der KI genutzt wird. Dieses regelmässige Nachtrainieren der Anwendung stellt dann für die Entwickler und Entwicklerinnen die vermutlich grösste Herausforderung dar: Es gilt den idealen Zeitpunkt für die Datenauswertung zur Weiterentwicklung abzusehen und somit ein Nachtrainieren so früh wie möglich aber so spät wie nötig für einen reibungslosen Ablauf anzusetzen. Auch hierfür werden Algorithmen zur Unterstützung fortlaufend im noch jungen Forschungsfeld der XAI weiterentwickelt. Damit stehen Sicherheit und Planbarkeit – die obersten Gebote der Finanzbranche – auch bei KI-Anwendungen an oberster Stelle.

Das volle KI-Potenzial ausschöpfen

Prinzipiell können ML-Systeme mit jeder Art von Screening-Software verwendet werden und bieten ergo auch abseits der Finanzbranche grosses Potenzial. KI-Analysen können beispielsweise Kundenabwanderungen vorhersagen und dabei unterstützen, neue Produkte und Cross-Selling-Möglichkeiten zu identifizieren. Dennoch bleiben in Europa Unternehmen oft hinter ihren KI-Möglichkeiten auch in puncto Customer Support zurück. Den wohl häufigsten, direkten Berührungspunkt mit KI-Anwendungen haben Kunden branchenübergreifend zumeist in Form von Chatbots. Auch in der Finanzbranche sind diese Tools für Sprach- und Texterkennung besonders beliebt: Naturale Language Processing (NLP), Automatic Speech Recognition (ASR) und Natural Language Understanding (NLU) verstehen die menschliche Umgangssprache, erkennen semantische Zusammenhänge und können Rückschlüsse aus den gesammelten Informationen ziehen. Darüber hinaus bieten sie auch die Möglichkeiten von Social-Media- und Sentiment-Analysen. Die Prüfung von Texten unter Berücksichtigung zusätzlicher Datenquellen lassen Stimmungsschwankungen innerhalb einer Zielgruppe erkennen. So können Finanzberater frühzeitig auf die Bedürfnisse ihrer Kundschaft reagieren oder auch potenzielle Neukundinnen und Neukunden gezielter ansprechen.

Das alles zeigt: Ist die Skepsis gegenüber KI-Anwendungen einmal überwunden, können die Algorithmen Unternehmen zu reichhaltigen Kosteneinsparungen, mehr Sicherheit und optimierten Arbeitsprozessen verhelfen – besonders im Compliance Bereich. Eine vorgeschriebene Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Technologie kann auch in diesem Einsatzgebiet problemlos sichergestellt werden.

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